Fraktionen unterstützen Kampf gegen sexualisierte Gewalt gegenüber Kindern
Härtere Strafen für Täter und eine wirksamere Prävention sieht der Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder (19/23707) vor, den der Bundestag am Freitag, 20. Oktober 2020, in erster Lesung zusammen mit einem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen (19/23676) beriet. In dem Entwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD sind vor dem Hintergrund der durch das Internet begünstigten Zunahme solcher Delikte unter anderem die Verschärfung des Strafrechts, die Erweiterung der Ermittlungsbefugnisse sowie eine verbesserte Qualifikation von Richterinnen und Richtern sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälten vorgesehen.
Mit einer begrifflichen Neufassung der bisherigen Straftatbestände des „sexuellen Missbrauchs von Kindern“ als „sexualisierte Gewalt gegen Kinder“ solle das Unrecht dieser Straftaten klarer umschrieben werden. Im Anschluss an die anderthalbstündige Debatte wurden der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen und der Antrag der Grünen in den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz überwiesen.
Ministerin: Strafrecht allein reicht nicht
Wie Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) eingangs der Debatte betonte, gibt es kaum widerlichere und erschütterndere Verbrechen als sexualisierte Gewalt gegen Kinder. Sie träfen ins Mark und forderten dazu auf, mit allen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu handeln. Sie sei daher froh, einen Gesetzentwurf vorstellen zu können, der genau diesen Ansatz verfolge.
In einem Dreiklang sollten die Strafen erhöht werden, sollten Ermittlerinnen und Ermittler jede Möglichkeit bekommen, um solche schrecklichen Straftaten verhindern zu können, und sollte die Gesellschaft in die Lage versetzt werden, die Opfer besser zu schützen. Es reiche nicht, allein mit dem Strafrecht zu reagieren.
CDU/CSU: Mehr für den Kinderschutz tun
Thorsten Frei (CDU/CSU) sagte, er sei froh und dankbar, dass man anders als in der Vergangenheit nicht bei öffentlicher Empörung stehenbleibe, sondern es mit zahlreichen Maßnahmen schaffe, effektiv etwas für mehr Kinderschutz zu tun. Die Koalition habe deshalb entschieden, den Gesetzentwurf gemeinsam einzubringen, um ihn zu beschleunigen.
Jeder Tag, an dem der Gesetzentwurf früher im Gesetzblatt steht, sei ein guter Tag für den Kinderschutz. Im parlamentarischen Verfahren müsse die Diskussion über den Entwurf jetzt fortgesetzt werden, denn es könne noch viel mehr getan werden. Seine Fraktion gehe jeden Schritt mit, der mehr Kinderschutz bedeute.
SPD: Starken Fokus auf die Prävention legen
Auch Dirk Wiese (SPD) betonte den Dreiklang des Gesetzentwurfs. Die Strafrechtsschärfungen seien richtig und notwendig und keine reine Symbolpolitik. Gleichzeitig sei es richtig, einen sehr starken Fokus auf die Prävention zu legen. Auch die Qualifizierung der Justiz und die Stärkung des Kindes bei Anhörungen sei elementar, denn dies trage dazu bei, dass Taten verhindert werden.
Deswegen sei es wichtig, dass die Koalition hier einen Schwerpunkt setze und gemeinsam vorangehen werde. Gleichzeitig sei es wichtig, die Kinderrechte generell zu stärken und in in den Blick zu nehmen. Hier habe es in der vergangenen Woche eine grundsätzliche Verständigung gegeben, Kindeswohlprinzipien im Grundgesetz zu verankern.
AfD fordert öffentliches Register von Sex-Tätern
Die Opposition unterstützte den Gesetzentwurf, forderte aber gleichzeitig weitergehende Maßnahmen. Tobias Peterka (AfD) warf der Koalition vor, mit dem Gesetz viel zu lange gewartet zu haben und dabei in hektischen Aktionismus verfallen zu sein. Der Entwurf konzentriere sich auf die richtige Hochstufung der Tatbestände.
Es erschließe sich jedoch nicht, sagte der Abgeordnete mit Verweis auf psychische Schäden, warum sexualisierte Gewalt ohne Körperkontakt milder bestraft werden soll und warum es nur ein Jahr Mindeststrafe für Tauschbörsenbetreiber geben soll. Peterka forderte unter anderem die Untersagung von Kettenbewährungen und ein öffentlich einsehbares Register von Sex-Tätern.
FDP für eine evidenzbasierte Strafrechtspolitik
Dr. Jürgen Martens (FDP) sagte, es sei viel zu lange von sexuellem Missbrauch von Kindern gesprochen worden, als ob es einen zulässigen Gebrauch von Kindern gäbe. Es gebe Einigkeit in der Notwendigkeit zu handeln, um solche Taten zu bestrafen, zu verfolgen und, wo immer es gehe, zu verhindern. Die Frage sei jedoch, ob mit dem Gesetzentwurf immer das Richtige getan werde.
Martens sprach sich für eine evidenzbasierte Strafrechtspolitik aus. Die Heraufstufung der Taten zu Verbrechen ziehe Folgeprobleme nach sich. So würden mehr Richter und Staatsanwälte gebraucht. Bei Bagatellfällen bestehe die Gefahr der sogenannten Überstrafe. Auch neue Befugnisse der Ermittlungsbehörden nützten nichts, wenn diese nicht personell und sachlich besser aufgestellt werden, sagte Martens. Die FDP sehe den Schwerpunkt der Bekämpfung von sexualisierter Gewalt in der Prävention. Dafür seien im Justizhaushalt aber keine Mittel eingestellt.
Linke: Keine Toleranz für sexualisierte Gewalt
Dr. André Hahn (Die Linke) betonte, dass es im Kampf gegen sexualisierte Gewalt gegen Kinder keine Toleranz geben dürfe. Das Ziel des Entwurfs unterstütze seine Fraktion ausdrücklich. Allerdings habe sie Zweifel, ob dieses mit dem vorliegenden Entwurf erreicht werden kann. Mit Symbolpolitik lasse sich das komplexe gesellschaftliche Problem nicht bekämpfen. In der parlamentarischen Beratung müsse der Gesetzentwurf noch deutlich verbessert werden, gerade auch mit Blick auf die zahlreichen Anregungen und Vorschläge, die der Deutsche Anwaltverein dem Parlament übermittelt habe, unter anderem zum Wegfall der sogenannten minderschweren Fälle.
Für einen wirksamen Schutz der Kinder vor sexueller Gewalt werde ein Kulturwandel gebraucht, betonte Hahn. Schweigen schütze die Falschen. Lediglich ein Drittel der sexualisierten Gewalterfahrungen werde überhaupt mitgeteilt und nur ein Prozent von Ermittlungsbehörden oder Jugendämtern verfolgt. Das müsse sich dringend ändern.
Grüne: Trauma-Ambulanz für Kinder einführen
Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) sagte, es sei absolut richtig und wichtig, dass die Koalition diesen Gesetzentwurf vorlege und dass die Bekämpfung von sexualisierter Gewalt gegen Kinder ganzheitlich angegangen werde. Es sei gut, das die Union endlich bereit sei, nicht nur auf das Strafrecht zu schauen. Viele Vorschläge der Grünen zur Verbesserung der familiengerichtlichen Verfahren seien in das Gesetz eingeflossen. Kinderschutz im umfassenden Sinne gelinge jedoch nur durch einen Perspektivwechsel in Bezug auf Kinder als Rechtssubjekte auch im juristischen Verfahren und nicht nur als Objekte.
Kinderschutz brauche Prävention und den im Gesetz vorgeschlagenen Dreiklang, sagte Baerbock. Zudem müsse unbedingt eine Trauma-Ambulanz für Kinder eingeführt werden. Der Entwurf könne daher nur der Anfang einer notwendigen Debatte sein. Dies sei man den betroffenen Kindern schuldig, denn trotz der Gesetzesreform gehe die sexualisierte Gewalt gegen Kinder weiter.
Gesetzentwurf der Koalition
Wie es in dem Entwurf heißt, ist die Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder eine der wichtigsten gesellschaftspolitischen Herausforderungen unserer Zeit und zentrale Aufgabe des Staates. Trotz der Anstrengungen des Gesetzgebers bestehe weiterer Handlungsbedarf. Der Entwurf schlägt vor, den bisherigen Straftatbestand des sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Straftatbestände aufzuspalten, um den Deliktsbereich übersichtlicher zu gestalten und entsprechend der jeweiligen Schwere der Delikte abgestufte Strafrahmen zu ermöglichen.
Sexualisierte Gewalt gegen Kinder soll künftig bereits im Grundtatbestand als Verbrechen geahndet werden. Die Verbreitung, der Besitz und die Besitzverschaffung von Kinderpornographie sollen ebenfalls als Verbrechen eingestuft werden. Mit der Schaffung einer neuen Strafnorm soll zudem das Inverkehrbringen und der Besitz von Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild unter Strafe gestellt werden. Zu den weitergehende Ermittlungsbefugnisse der Strafverfolgungsbehörden gehören Anpassungen der Straftatenkataloge der Telekommunikationsüberwachung, der Onlinedurchsuchung sowie bei der Erhebung von Verkehrsdaten.
Fehlende Abschreckungswirkung der Strafen
Zur Begründung heißt es in dem Entwurf, die in den Jahren 2017, 2018, 2019 und 2020 bekanntgewordenen Missbrauchsfälle von Staufen, Bergisch Gladbach, Lügde und Münster zeigten in aller Deutlichkeit auf, dass das Strafrecht, das an sich bereits heute empfindliche Strafen für sexualisierte Gewalt gegen Kinder und die Delikte der Kinderpornografie vorsehe, nicht die erhoffte Abschreckungswirkung entfalte.
Ausweislich der Polizeilichen Kriminalstatistik seien die Fallzahlen für die Delikte der Kinderpornografie im Jahr 2019 im Vergleich zum Vorjahr um rund 65 Prozent gestiegen. Für die Delikte des sexuellen Missbrauchs von Kindern weise die Statistik für 2019 einen Anstieg von von rund elf Prozent im Vergleich zu 2018 aus. Das die Taten kennzeichnende schwere Unrecht spiegele sich jedoch nicht immer in den verhängten Strafen wider. Vor diesem Hintergrund sei eine deutliche Verschärfung der Strafrahmen nötig.
Bisherige Gesetze nicht ausreichend
Der Grundtatbestand der sexualisierten Gewalt gegen Kinder soll künftig ein Verbrechen sein mit einem Strafrahmen von einem Jahr bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe (bisher als Vergehen mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bedroht). Für die Verbreitung von Kinderpornografie sieht das Gesetz eine Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren vor (bisher drei Monate bis fünf Jahre) vor. Das gewerbs- und bandenmäßige Verbreiten soll künftig mit Freiheitsstrafe von zwei bis 15 Jahren geahndet werden können (bisher sechs Monate bis zehn Jahre). Der Verkauf, Erwerb und Besitz von Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild soll mit Geldstrafen oder bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden. Zur Begründung des Verbots heißt es, es bestehe die Gefahr, dass die Nutzung solcher Sexpuppen die Hemmschwelle zu sexualisierter Gewalt gegen Kinder absenke.
Zugleich seien Maßnahmen notwendig, um eine effektivere Strafverfolgung zu ermöglichen. Da der Grundtatbestand der sexualisierten Gewalt gegen Kinder und Kinderpornografie, die sexualisierte Gewalt zeigt, als Verbrechen eingestuft werden, soll auch in diesen Fällen die Telekommunikationsüberwachung, die Online-Durchsuchung sowie die Erhebung von Verkehrsdaten möglich sein. Mit einem ganzen Bündel weiterer Maßnahmen, die insbesondere auch die Prävention betreffen, soll der Schutz von Kindern vor sexualisierter Gewalt weiter verbessert werden.
Antrag der Grünen
Auch nach dem Willen der Grünen soll der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt deutlich erhöht werden. In ihrem Antrag (19/23676) fordern sie unter anderem, das Gerichtsverfassungsgesetz so zu ändern, dass spezifische Kenntnisse für Familienrichter auf den Gebieten des Kindschaftsrechts, des Kinder- und Jugendhilferechts, der Psychologie, der Pädagogik und der sozialen Arbeit festgeschrieben werden.
Die Grünen sprechen sich dafür aus, dass im Bundeszentralregister Verurteilungen wegen sexuellem Missbrauch von Kindern grundsätzlich zeitlich unbefristet und in das erweiterte Führungszeugnis aufgenommen werden. Für eine bessere Prävention sollen Kinder und Jugendliche besser vor Risiken durch Cybergrooming und Cybermobbing geschützt werden. (mwo/30.10.2020)