Opposition unzufrieden mit Bund-Länder-Beschlüssen zur Corona-Krise
Die erneute Verlängerung der Corona-Auflagen bis in den März hinein sorgt bei der Opposition teilweise für Unverständnis und Kritik. Redner der Opposition rügten am Donnerstag, 11. Februar 2021, im Bundestag vor allem die aus ihrer Sicht unzureichende Transparenz der Entscheidungen von Bund und Ländern sowie eine fehlende Perspektive für die Bürger und die Wirtschaft ein Jahr nach Beginn der Pandemie. Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) verteidigte in einer Regierungserklärung zur Bewältigung der Covid-19-Pandemie die jüngsten Beschlüsse und appellierte an die Bevölkerung, in dieser entscheidenden Phase der Pandemie ausdauernd und geduldig zu bleiben und die Auflagen konsequent umzusetzen.
Kanzlerin: Maßnahmen geeignet, erforderlich und verhältnismäßig
Merkel sprach von einer nationalen Kraftanstrengung, die jeden betreffe. Es sei bisher gelungen, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden. Dieser Erfolg habe einen hohen Preis gekostet: gravierende Einschränkungen der Freiheit, Einsamkeit, wirtschaftliche Sorgen und Existenzängste.
Sie sagte: „Ich vergesse keinen einzigen Tag, was die notwendigen Maßnahmen für jeden Bürger bedeuten“ und versicherte, die Auflagen würden keinen Tag länger als nötig aufrechterhalten. Merkel betonte erneut: „Die Maßnahmen sind geeignet, erforderlich und verhältnismäßig, um das Infektionsgeschehen auf ein beherrschbares Niveau zu bringen.“
„Mutanten können die Erfolge wieder kaputt machen“
Die Kanzlerin räumte ein, dass bei „traumhaften Inzidenzen“ im Sommer die Vorsicht nachgelassen habe und die Warnungen der Forscher nicht ausreichend beachtet worden seien. Daraus habe sich ein exponentielles Wachstum der Neuinfektionen ergeben. Inzwischen gingen die Infektionen durch die strikten Auflagen deutlich zurück. „Die notwendige Trendumkehr ist gelungen.“ Die jetzt verfügbaren Impfstoffe wertete Merkel als „Wendepunkt in der Pandemie.“ Sie verteidigte auch die Entscheidung, die EU mit der Beschaffung der Impfstoffe beauftragt zu haben. „In der schwersten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg halten wir Europäer zusammen, politisch wie auch epidemiologisch.“
Inzwischen haben laut Merkel mehr als 80 Prozent der Menschen in Pflegeheimen zumindest eine erste Impfung gegen das Coronavirus erhalten. Sie erneuerte das Versprechen, dass jeder, der wolle, bis Ende des Sommers geimpft werden könne. Sie warnte zugleich vor den aggressiven Mutationen des Virus, insbesondere den Varianten aus Großbritannien, Südafrika und Brasilien. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis die Mutationen die Oberhand gewännen. „Darauf müssen wir uns einstellen.“ Die Mutanten könnten die erreichten Erfolge wieder kaputt machen.
„Schwierige und widersprüchliche Lage“
Merkel nannte die aktuelle Lage schwierig und widersprüchlich. Daher hätten sich Bund und Länder auf eine Verlängerung der Auflagen bis zum 7. März verständigt. Es sei weiterhin nötig, die meisten Maßnahmen konsequent beizubehalten, darunter die Kontaktbeschränkungen, das Arbeiten im Homeoffice und die Hygieneauflagen. Die schrittweise Öffnung von Kitas und Schulen werde von den Ländern in eigener Verantwortung entschieden. Friseure sollen ab dem 1. März wieder öffnen dürfen.
Die Kanzlerin machte deutlich, dass weitere Öffnungsschritte nicht mit Daten verknüpft seien, sondern mit Inzidenzwerten. Ab einer Sieben-Tage-Inzident von 35 seien Öffnungen des Einzelhandels, der Galerien, Museen oder körpernahen Dienstleistungen denkbar. Es müsse aber unbedingt eine dritte Corona-Welle verhindert werden. Merkel betonte: „Dieser Winter ist hart, aber wir haben unser Ziel immer klarer vor Augen.“ Sie fügte hinzu: „Am Ende können wir es gemeinsam schaffen, diese Pandemie zu besiegen.“
AfD: Grundrechte müssen wieder in Kraft gesetzt werden
Von der Opposition kam teilweise harsche Kritik am Vorgehen der Bundesregierung. AfD-Fraktionschefin Dr. Alice Weidel rügte: „Das unwürdige Schauspiel geht in die nächste Runde.“ Mit Blick auf die Bund-Länder-Gespräche sagte sie, eine „Kungelrunde“ beschließe im Hinterzimmer weitreichende Eingriffe in das Leben und die Freiheit der Bürger. Die Kanzlerin lege vorher fest, was dabei heraus kommen solle und das Parlament dürfe hinterher ein bisschen darüber debattieren. Sie befand: „Was für eine peinliche Inszenierung, was für eine dreiste Zurschaustellung von Arroganz der Macht.“
Die Regierung nehme den Menschen wertvolle Lebenszeit, sie befördere Einsamkeit und wirtschaftlichen Ruin. Auf dem Arbeitsmarkt zeige sich eine Spur der Verwüstung, viele Unternehmen stünden vor der Insolvenz. Der Lockdown sei wirtschafts- und verfassungsfeindlich. Parameter würden willkürlich verändert, so gelte jetzt der neue maßgebliche Inzidenzwert von 35. Auch die Impfungen habe die Regierung „grandios versiebt“. Neuerdings müssten Mutanten für den Lockdown herhalten. Weidel forderte eine neu ausgestaltete Corona-Politik und den besonderen Schutz der Kranken und Hochbetagten. Die Grundrechte müssten wieder in Kraft gesetzt werden.
SPD: Impfungen der entscheidende Hebel zur Besserung
SPD-Fraktionschef Dr. Rolf Mützenich räumte ein, die vergangenen Wochen seien für alle Bürger extrem anstrengend gewesen, viele seien an ihre Grenzen gekommen. Die jetzt getroffenen Beschlüsse seien eine weitere Last, aber angemessen, notwendig und gut begründet. Er mahnte, die Erfolge seien zerbrechlich. Bei der Rückkehr zu einem weniger beschränkten Alltag müsse Transparenz gewährleistet sein. Es sei sinnvoll, zuerst Kinder und Jugendliche zu entlasten.
Mützenich betonte, es gehe darum, soziale Stabilität und wirtschaftliche Zuversicht zu schaffen. Dabei sei es richtig gewesen, mit aller staatlichen Kraft einzugreifen. So komme die Wirtschaft in Deutschland besser durch die Krise als die anderer Länder. Er fügte hinzu: „Impfungen bleiben der entscheidende Hebel zur Besserung.“ Es gebe Anlass, zuversichtlich in das neue Jahr zu starten.
FDP: Es gibt eine Erschöpfung in der Gesellschaft
Nach Ansicht der FDP war die Regierungserklärung dringend notwendig. Selten zuvor sei die Politik so erklärungsbedürftig gewesen, sagte FDP-Fraktionschef Christian Lindner. Er kritisierte jedoch, dass die Beschlüsse von Bund und Ländern längst bekannt gewesen seien, bevor sie im Parlament behandelt würden. „Ich rate ab, diesen Umgang mit dem Parlament zu ständigen Staatspraxis werden zu lassen.“ Wenn das Parlament vorher einbezogen würde, gäbe es die Möglichkeit, Maßnahmen darzustellen, wissenschaftliche Grundlagen zu hinterfragen und alternative Strategien einzubringen.
Der FDP-Chef gestand zu: „Wir haben es unverändert mit einer gefährlichen Pandemie zu tun.“ Es gebe inzwischen aber eine Erschöpfung in der Gesellschaft. Die Erwartungen an die Bund-Länder-Runde seien groß gewesen. „Diese Hoffnungen sind enttäuscht worden, denn viele Menschen haben sich mehr erwartet als einen frischen Haarschnitt.“ Die Regierung hangele sich von einem Gipfel zum nächsten, ohne eine Perspektive zu geben. Das sei „einfallslos, aber nicht alternativlos“. Lindner rügte, dass mit dem neuen Inzidenzwert von 35 statt 50 die wesentliche Entscheidungsgrundlage ausgetauscht worden sei. Das gefährde die Glaubwürdigkeit und befördere Zweifel.
CDU/CSU: Wir müssen Katastrophen üben
Widerspruch kam von CDU/CSU-Fraktionschef Ralph Brinkhaus, der daran erinnerte, dass die für politische Entscheidungen maßgeblichen Inzidenzwerte 50 und 35 bereits im Infektionsschutzgesetz (IfSG) aufgeführt seien und damit nicht willkürlich. Er warf der FDP vor, aus der Krise parteipolitisch Kapital schlagen zu wollen. Das sei „erbärmlich“. Die rückläufigen Infektionszahlen zeigten, dass der Lockdown wirke. Der CDU-Politiker äußerte sich allerdings betroffen über die vielen Toten unter Hochbetagten. „Da müssen wir uns fragen, ob wir alles richtig gemacht haben.“
Brinkhaus forderte eine Strategie zur langfristigen Stärkung der Gesellschaft nach der Pandemie. Das gelte ebenso für Schulen wie für den Öffentlichen Gesundheitsdienst, der mit dem zusätzlichen Geld jetzt auch nachhaltig modernisiert werden müsse. Aktuell sei auch ein besseres Management bei der Vergabe von Impfterminen nötig. Hier sei eine Strategie erforderlich, auch für 2022. Brinkhaus mahnte: „Diese Pandemie wird nicht die letzte Katastrophe sein.“ Er fügte hinzu: „Wir müssen Katastrophen üben, das muss die Lehre aus dieser Pandemie sein.“
Linke: Es muss Schluss sein mit Selbstgerechtigkeit
Kritik am Krisenmanagement der Bundesregierung kam auch von Linksfaktionschef Dr. Dietmar Bartsch, der wie Lindner beklagte, dass erst nach den Beschlüssen von Bund und Ländern der Bundestag damit befasst sei. Dies sei inakzeptabel. „In der Krise zeigt sich die Stärke der Demokratie und ihrer Institutionen und der Bundestag gehört dazu.“ Bartsch hielt der Regierung außerdem Selbstgefälligkeit vor. So würden Vorschläge der Opposition wenig beachtet. Er rügte: „Sie haben das Land im Sommer und Herbst nicht auf den Corona-Winter vorbereitet.“
Bartsch ging auch auf die vielen Corona-Opfer in Alten- und Pflegeheimen ein und sagte: „Das Sterben in den Heimen ist vielleicht das dunkelste Kapitel der letzten Jahrzehnte.“ Er forderte die Bundesregierung auf, selbstkritischer zu werden und Fehler einzugestehen und nannte als Beispiel die verzögerte Massenimpfung in Deutschland. Verzweifelte Bürger warteten auf Impftermine, die Unzufriedenheit wachse. Auch für die Kinder werde die Lage immer schwieriger, zudem bangten Hunderttausende um ihre wirtschaftliche Existenz. Bartsch befand: „Es ist nicht nur das Virus, das krank macht, sondern auch der Umgang damit.“ Es müsse Schluss sein mit Selbstgerechtigkeit.
Grüne: Bund-Länder-Runde hat nicht geliefert
Grundsätzlich einverstanden mit dem erneut verlängerten Lockdown sind die Grünen, die allerdings auch ein effektiveres Krisenmanagement fordern und eine langfristige Perspektive für die Gesellschaft. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sagte, wenn von Perspektiven und Stufenpläne die Rede sei, heiße das nicht, dass geöffnet werden solle. Es geht darum, allen klarzumachen, „woraufhin wir gemeinsam arbeiten“. Der Bund-Länder-Runde warf sie vor, „nicht geliefert“ zu haben.
Die Grünen-Politikerin kritisierte, dass die Wirtschaftshilfen bei den Betroffenen zu spät ankämen. Zu lange seien Kleinunternehmer ohne Hilfe geblieben. „Die Wirtschaftshilfen sind ein riesiges Versagen der Bundesregierung.“ Auch die Regelung für das Homeoffice habe viel zu lange gedauert. Für Schüler und Lehrer müsse es mehr Sicherheit geben. Göring-Eckardt forderte gemeinsame politische Anstrengungen, um die Corona-Krise und andere Herausforderungen anzugehen: „Diese 20er-Jahre können die goldenen 20er-Jahre werden, wenn wir zeigen, dass wir Krisen tatsächlich gemeinsam bewältigen.“ (pk/11.02.2021)