Europäische Union

Podiumsdiskussion: Vorteile der Erweiterung überwiegen

Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit. Global gesehen leben über zwei Drittel der Menschen in autoritären oder diktatorischen Staaten. Die Erweiterung der Europäischen Union ist mit großen Herausforderungen verbunden aber ein lohnendes Unterfangen. Darüber waren sich die vier Mitglieder des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union einig, die am Tag der Ein- und Ausblicke es Deutschen Bundestages öffentlich auf einer Bühne im Paul-Löbe-Haus über den Erweiterungsprozess und die damit verbundenen internen Reformerfordernisse diskutierten. 

Zahlreiche interessierte Besucherinnen und Besucher kamen am Samstag, 7. September 2024, in das Paul-Löbe-Haus, um die Arbeit der dort üblicherweise tagenden Ausschüsse näher kennenzulernen. An der Podiumsdiskussion des Europaausschusses unter dem Titel „EU-Erweiterung und EU-Reformen“ beteiligten sich der Vorsitzende Dr. Anton Hofreiter (Bündnis 90/Die Grünen) und die Abgeordneten Christian Petry (SPD), Michael Sacher (Bündnis 90/Die Grünen) und Konrad Stockmeier (FDP). Moderiert wurde das Gespräch durch Dr. Kinan Jäger.

Beitrittsfähigkeit und geopolitische Spannungen

Zu Beginn der Diskussion stand die Frage des EU-Beitritts der Ukraine im Mittelpunkt. Anton Hofreiter betonte, dass es unbedingt gelingen müsse, die zerstörerischen russischen Angriffe auf die Ukraine zu beenden. Aber selbst unter Kriegsbedingungen gelinge es der Ukraine erstaunlich gut, die für einen Beitritt notwendigen Reformen zügig umzusetzen. Konrad Stockmeier verwies auf die positiven Erfahrungen mit der EU-Osterweiterung 2004 und 2007, von der insbesondere die deutsche Wirtschaft durch neue Märkte und zusätzliche Arbeitskräfte profitiert habe. 

Christian Petry betonte die enormen wirtschaftlichen Herausforderungen, die mit dem Wiederaufbau der Ukraine verbunden seien. Michael Sacher ging auf die fragile Situation in Georgien ein. Auch dort seien 20 Prozent des Territoriums von Russland besetzt, die derzeitige Regierung wende sich von Europa ab. Dennoch sei zum Beispiel in der Hauptstadt Tiflis ein starker europäischer Geist zu spüren. Bereits die Verhandlungen über einen möglichen Beitritt würden zur Stabilisierung der Region beitragen. 

Rechtsstaatlichkeit unverzichtbar

Anton Hofreiter kritisierte den ungarischen Regierungschef Viktor Orbán und warf ihm vor, zur Sicherung seiner Macht ein zunehmend kleptokratisches System aufgebaut zu haben. Ungarn leide inzwischen unter massiven wirtschaftlichen Problemen und es gebe zahlreiche Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit. Die EU müsse dagegenhalten und noch konsequenter gegen Ungarn vorgehen. Auch Konrad Stockmeier stimmte zu, dass Rechtsstaatlichkeit keineswegs ein Selbstläufer sei, sondern ein zentraler Wert, den nicht nur Beitrittskandidaten, sondern auch die alten Mitgliedstaaten erfüllen müssten. 

Auf die Frage, wie der Beitrittsprozess ablaufe, schilderte Christian Petry das langwierige Verfahren zur Übernahme des sogenannten Acquis, dass heißt der gemeinschaftlichen Regeln, Standards und Politiken, die die Gesamtheit des EU -Rechts darstellen. Das Verfahren dauere im Durchschnitt über zehn Jahre. Die Verhandlungen seien für die einzelnen Rechts- und Politikgebiete in über 30 sogenannte Kapitel unterteilt. Jedes Kapitel werde einstimmig eröffnet und nach Abschluss der Verhandlungen einstimmig geschlossen, was viel Zeit beanspruche, aber die Erfüllung der Standard sicherstelle. Für die aktuell in Rede stehenden zehn Staaten werde dieser Prozess noch diese Dekade fortdauern. Erst Anfang der 30er Jahre könne man mit weiteren Beitrittsschritten rechnen. Er hoffe, dass es in der Zwischenzeit bereits zu Vorstufen der Partizipation auf bestimmten Feldern komme, um den Staaten eine echte Perspektive zu geben.

EU braucht interne Reformen 

Interne Reformen der EU seien unverzichtbar, nicht nur um neue Mitglieder aufnehmen zu können, sondern auch unabhängig davon. Jedes Argument, das sich gegen eine Erweiterung der EU richte, werde aber letztlich durch das überragende Argument der Notwendigkeit einer geopolitischen Stabilisierung in Europa entkräftet, so Michael Sacher. Gerade Deutschland profitiere nicht nur wirtschaftlich, sondern auch ideell von der Erweiterung. 

Christian Petry ergänzte, dass damit langfristig auch der Beitritt zur Europäischen Währungsunion verbunden sei. Der Euro sei eine Erfolgsgeschichte, die auch den künftigen Mitgliedstaaten offenstehe. 

Zukunftsvisionen einer EU im Jahre 2044

Auf die Frage, wo er die Europäische Union in zwanzig Jahren sehe, zeichnete der Ausschussvorsitzende Anton Hofreiter in seinem Schlusswort ein optimistisches Bild. Die Erweiterung sei vollzogen und es sei gelungen, den Krieg aus Europa zu vertreiben. Mit Hilfe moderner Technologien sei es gelungen, den Wohlstand auszubauen. Europa habe die Zukunftsängste hinter sich gelassen und sei zu einem Kontinent des Aufbruchs und des Optimismus geworden. Konrad Stockmeier entwarf ein Bild des Europäischen Parlamentes, dessen Macht gewachsen sei und das mehr Mitspracherechte habe. Wählerinnen und Wähler stimmten bei den Europawahlen dann über europäische Fragen und nicht über nationale Politik ab. 

Christian Petry erinnerte an die Vision eines europäischen föderalen Bundesstaates. Europa werde die Digitalisierung, die Transformation seiner Wirtschaft hin zur Dekarbonisierung gemeistert haben und schütze seine Bürger. Es sei ein Leuchtturm der Demokratie und Freiheit mit einer freien, offenen und bunten Gesellschaft. Michel Sacher ergänzte den erfolgreichen Kampf gegen Desinformation. Bis dahin sei es gelungen, durch geeignete Kontrolle und Regulierung der digitalen Welt die Beeinflussung und Gefährdung der europäischen Öffentlichkeit durch autoritäre und autokratische Systeme zurückzudrängen. Europa sei ein grenzüberschreitender Kulturraum geworden. Auch hier werde die Europäische Union sich zunehmend manifestieren, etwa durch eine gemeinsame europäische Medienplattform. (EU-Ausschuss/23.09.2024)