Kinderkommission

Experten: Erste Lebensjahre entscheidend für gesund­heitliche Entwicklung

Zeit: Mittwoch, 15. Mai 2024, 15 bis 16.30 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal 2.200

Das gesundheitliche Wohlergehen in der frühkindlichen Phase trägt entscheidend zur späteren körperlichen und gesundheitlichen Entwicklung bei und es muss sichergestellt werden, dass jedes Kind die ihm zustehenden Leistungen erhält, mahnten die Sachverständigen im öffentlichen Fachgespräch der Kommission zur Wahrnehmung der Belange der Kinder (Kinderkommission) am Mittwoch,15. Mai 2024, zum Thema „Faktoren, die über Bildungs- und Entwicklungschancen entscheiden können: Gesundheit“.

„Frühe Hilfen“ in den Kommunen

Kinder haben ein Recht „auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit“, betonte Dr. Burkhard Rodeck, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V. Während der ersten drei Lebensjahre seien Wachstum und Entwicklung des Kindes besonders empfänglich für Umwelteinflüsse. Diese Jahre seien entscheidend für die spätere körperliche und gesundheitliche Entwicklung. In vielen Familien leide die Gesundheit jedoch gleich unter mehreren Belastungsfaktoren, wie einem geringen Einkommen, mangelnden Sprachkenntnissen, ungesunder Ernährung, fehlender Unterstützung seitens der Familie oder gar Gewalt innerhalb der Familie.

Genau da setzte das Konzept der sogenannten „Frühen Hilfen“ in den Kommunen an, die Familien in den ersten drei Lebensjahren von Kindern mit „Babylotsen“ und passgenauen Angeboten beistünden. In zahlreichen Kommunen könne der steigende Bedarf wegen Finanzierungsproblemen jedoch nicht mehr gedeckt werden. Die vorgesehenen Mittelerhöhungen reichten nicht. Um bundesweit 400 Babylotsen zu finanzieren wären laut Rodeck etwa 33,8 Millionen Euro nötig.

Er appellierte an die Regierungsfraktionen, die Bundesmittel für „frühe Hilfen wie im Koalitionsvertrag festgeschrieben zu dynamisieren“ und darüber hinaus den steigenden Bedarfen und Kosten mit mehr Geld und mit dauerhaft finanzierten Stellen zu begegnen. „Wir müssen das finanziell richtig gut unterfüttern.“ Lasse man dagegen Fehlentwicklungen in der kindlichen Entwicklung laufen und interveniere medizinisch erst später, beliefen sich die Kosten für die Gesellschaft auf ein Vielfaches. Nötig sei schließlich auch, die Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung zu stärken.

Die Rolle der Hebammen

Dr. Claudia Hellmers, Professorin an der Hochschule Osnabrück, erläuterte die zentrale Rolle der Hebammen für die frühkindliche Gesundheitsversorgung und die Unterstützung der Mütter und Familien. Die Hebammen seien die Expertinnen rund um die Vorbereitung, Durchführung und Nachsorge der Geburt bis in die Elternzeit hinein. Das neue universitäre Curriculum für den Hebammenberuf sei ein duales Studium, das die Anwärterinnen in sechs bis acht Semestern durch Lehre und Praxis auf ihr umfassendes Tätigkeitsfeld vorbereite.

Neben den fachlichen Kompetenzen werde den Studentinnen dabei eine ganze Bandbreite an Fähigkeiten vermittelt, von Aspekten der Persönlichkeitsentwicklung und Ethik über planerische Skills und der Steuerung des gesamten hochkomplexen Prozesses einer Geburt bin hin zu der Fähigkeit, die konkrete Lebenssituation der betreuten Frauen einzubeziehen, unter Achtung des Selbstbestimmungsrechtes der Frauen und Familien sowie kultureller Rahmenbedingungen und Diversitätsaspekte.

Präventive Unterstützung

Ihre umfassende Ausbildung qualifiziere die Hebammen in besonderer Weise für die Aufgabenstellungen in den „Frühen Hilfen“, die darauf zielten, die Gesundheitschancen für alle Kinder von Anfang an gleich zu gestalten, sagte Hellmers. Das Konzept der Frühen Hilfen könnten die angehenden Hebammen bereits im Praxisteil ihres Studiums kennenlernen.

Für psycho-sozial belastete Familien sei eine im Rahmen der Frühen Hilfe aktive Hebamme mit ihrem fachlichen Wissen und ihrer Vernetzung eine wertvolle Bezugs- und Vertrauensperson. Die hohe Wirksamkeit der präventiven Unterstützung durch Familienhebammen sei empirisch nachgewiesen. Allerdings: Die oft zeitintensiven Einsätze würden nicht ausreichend honoriert und es fehlten Stellen. „Wenn wir die Frühen Hilfen flächendeckend“ in die frühkindliche Gesundheitsversorgung „einbinden wollen, brauchen wir dafür die Finanzierung“, gab die Wissenschaftlerin der Politik auf den Weg.

Zu viel Bildschirmzeit, zu wenig Bewegung

Von insgesamt positiven Erfahrungen in seiner Praxis bei der Wahrnehmung der Vorsorgeuntersuchungen für Kinder durch die Familien berichtete Dr. Thomas Hacker vom Kinder-MVZ (Medizinisches Versorgungszentrum) Georgsmarienhütte. An den Vorsorgeuntersuchungen schätze er die vertiefenden Gespräche mit Eltern und Kindern. Durch die Dokumentation der Entwicklung des Kindes könne man frühzeitig auf ungünstige Verläufe und Einflüsse eingehen.

Die im weiteren Verlauf der Kindheit zeitaufwändigeren Untersuchungen würden dagegen seltener wahrgenommen. Lange Wartezeiten auf Termine schreckten viele ab. Das Praxissterben und Aufnahmestopps erschwerten es zudem, überhaupt einen Kinder- und Jugendarzt zu finden. Zu den größten Problemen bei den kleinen Patienten zählen heute laut Hacker die zu intensive und oft unkontrollierte Nutzung elektronischer Bildschirmmedien, Bewegungsmangel, schlechte Ernährung sowie Rückstände bei der Sprachentwicklung. (ll/15.05.2024)