Der Bundestag hat am Freitag, 5. Juli 2024, eine Forderung der Opposition nach finanzieller Absicherung des gesetzlich verankerten Kohleausstiegs abgelehnt. Ein entsprechender Antrag der CDU/CSU-Fraktion mit dem Titel „Fairen Strukturwandel in den ostdeutschen Kohleregionen ermöglichen – Verunsicherungen beenden“ (20/9141) fand gegen die Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und AfD bei Zustimmung der Antragsteller und der Gruppe Die Linke nicht die nötige Mehrheit. Der Entscheidung lag eine Beschlussempfehlung des Wirtschaftsausschusses (20/12056) zugrunde.
Ein Antrag der Unionsfraktion mit dem Titel „Erfolgsgeschichte Strukturwandel weiterschreiben – Planbarkeit und Verlässlichkeit für die ostdeutschen Strukturwandelregionen sicherstellen“ (20/12102) wurde im Anschluss der Beratung an den federführenden Wirtschaftsausschuss überwiesen.
CDU/CSU: Erst Arbeitsplätze und dann Kohleausstieg
In der Debatte bewerteten die Koalitionsfraktionen und die Opposition den Verlauf des Strukturwandels in den ostdeutschen Kohlerevieren völlig gegensätzlich. Während Vertreter der Koalition die Erfolge herausstellten, wies die Opposition auf Defizite hin und kritisierte den enormen bürokratischen Aufwand bei den Maßnahmen zur Unterstützung des Strukturwandels. Sepp Müller (CDU/CSU) warf der Ampelkoalition vor, beim Strukturwandel das Pferd von hinten aufzuzäumen. Erst werde aus der Kohle ausgestiegen, und dann komme der Strukturwandel.
Richtig wäre aus Sicht Müllers hingegen, erst den Strukturwandel zu bewältigen und dann aus der Kohle auszusteigen. Der Abgeordnete erläuterte die Forderungen der Union, die besonders auf weniger Bürokratie setze, damit die Fördermittel effektiv eingesetzt werden könnten. „Erst Arbeitsplätze und dann der Kohleausstieg“, forderte Müller.
Regierung: Die Koalition steht zu ihrem Wort
Carsten Schneider (SPD), Beauftragter der Bundesregierung für Ostdeutschland, erklärte: „Die Koalition steht zu ihrem Wort.“ Er verwies auf geplante Großinvestitionen. Magdeburg und Dresden würden Zentren für Halbleitertechnologie werden.
Michael Kellner (Bündnis 90/Die Grünen), Parlamentarischer Staatssekretär für Wirtschaft und Klimaschutz, wies darauf hin, dass bereits jetzt mehr Arbeitsplätze in anderen Branchen entstehen würden als in der Kohlewirtschaft verloren gehen würden.
SPD: Strukturwandel kommt bei den Menschen an
Hannes Walter (SPD) versicherte, die Maßnahmen zum Strukturwandel kämen bei den Menschen an und nannte als Beispiel Berufsausbildungsprojekte und Investitionen in die soziale Infrastruktur.
Bernhard Herrmann (Bündnis 90/Die Grünen) sagte, wenn die Kohleverstromung unwirtschaftlich werde, werde sie abrupt enden. Und das werde vor dem bisher festgelegten Datum 2038 der Fall sein, gab sich Herrmann angesichts der wachsenden Stromerzeugung durch erneuerbare Energien überzeugt.
AfD: Wir brauchen die Kohle
„Es gibt keinen gesamtgesellschaftlichen Konsens zum Kohleausstieg“, sagte dagegen Enrico Komning (AfD). Der Kohleausstieg sei ein Projekt an den Menschen vorbei und einzig Ergebnis politischen Willens.
Die Bundesregierung komme mit der Abrissbirne. „Wir brauchen die Kohle“, sagte Komning, zumindest bis wieder genug Gas- und auch Atomkraftwerke zur Verfügung stehen würden. „Sie transformieren Deutschland zurück in die Steinzeit“, so der Abgeordnete. „Lassen Sie den Menschen ihre Kohle“, forderte er.
FDP: Mehr Geld allein ist keine Lösung
Gerald Ullrich (FDP) forderte, es müsse ein guter Rahmen angesichts der Veränderung in den Kohleregionen geschaffen werden. Mehr Geld allein sei keine Lösung: „Wir brauchen einen sinnvollen Einsatz der Mittel.“
Dr. Gregor Gysi (Gruppe Die Linke) stellte fest: „Der Osten ist und bleibt das Stiefkind aller Bundesregierungen seit der Herstellung der deutschen Einheit.“ Die Potenziale des Ostens seien weder erkannt noch genutzt worden.
Neuer Antrag der Union
Mit ihrem neuen Antrag (20/12102) will die Unionsfraktion die ostdeutschen Regionen im Strukturwandel stärken. 35 Jahre nach dem Mauerfall hätten sich die wirtschaftliche Entwicklung in Ostdeutschland und die Lebensqualität verbessert, aber es seien nach wie vor sowohl ökonomische als auch soziale Unterschiede zu erkennen. Im besonderen Fokus würden dabei die ostdeutschen Regionen im Strukturwandel stehen, heißt es in dem Antrag der Fraktion.
Die Unionsfraktion erläutert, dass das Lausitzer Revier in Brandenburg und Sachsen, das mitteldeutsche Revier in Sachsen-Anhalt und Sachsen sowie das ehemalige Braunkohlerevier Altenburger Land bis 2038 Mittel aus dem Investitionsgesetz Kohleregionen erhalten würden. Doch inzwischen zeige sich deutlich, dass die finanzielle Absicherung des Strukturwandels gefährdet sei. Großprojekte mit langem Planungs- und Genehmigungsvorlauf würden das Problem mit sich bringen, dass die Bundesmittel aus der ersten Förderperiode nicht mehr rechtzeitig bis zum Ende des Jahres 2026 abgerufen werden könnten.
Bisher sei unklar, wie die Bundesregierung dem Problem entgegenwirken wolle. „Diese Unsicherheit behindert die Projektentwicklung mit hemmt den Strukturwandel in den Kohlerevieren“, schreibt die Unionsfraktion. Außerdem würden Fragen zur angespannten Fachkräftesituation, zu den wasserwirtschaftlichen Folgen des Braunkohleausstiegs und der Energieversorgungssicherheit unbeantwortet bleiben.
„Wirtschaftliche, infrastrukturelle und kulturelle Projekte“
In ihrem Antrag erhebt die Unionsfraktion eine Reihe von Forderungen, zum Beispiel nach einer Flexibilisierung der Verwendung der Mittel in den Förderperioden. Außerdem müssten Investitionen in die Bildungs- und soziale Infrastruktur als Investitionen des Strukturwandels anerkannt werden. Standorte und industrielle Lastzentren müssten an das entstehende Wasserstoffkernnetz angeschlossen und die Schieneninfrastruktur müsse ausgebaut werden. Außerdem solle die Forschungslandschaft in den Kohleregionen weiter gestärkt werden.
„Die soziale Abfederung des Kohleausstiegs kann nur gelingen, wenn wirtschaftliche, infrastrukturelle und kulturelle Projekte gleichermaßen effizient umgesetzt werden können“, stellt die Unionsfraktion fest.
Abgelehnter Antrag der Union
In ihrem abgelehnten Antrag (20/9141) verlangte die Fraktion, die finanzielle Absicherung des gesetzlich verankerten Kohleausstiegs sicherzustellen. Gefordert wurde außerdem, „die Verunsicherung der Menschen in den Regionen durch widersprüchliche politische Signale innerhalb der Bundesregierung zu beenden, die auf einen überhasteten Kohleausstieg in Ostdeutschland abzielen“. In der Vorbemerkung des Antrags schreiben die Abgeordneten, der Zeitpunkt des Ausstiegs aus der Kohle 2038 als Ergebnis der sogenannten Kohlekommission sei „durch eine vorherige sorgfältig austarierte Einigung zwischen Wirtschaft, Politik, Klimaschützern und Wissenschaftlern“ vereinbart worden.
Weiterhin forderte die Fraktion sicherzustellen, dass Investitionen in erneuerbare Energieerzeugung in den Kohleregionen nicht von den Verpflichtungen zu Rekultivierung befreit werden. Zudem müssten die ostdeutschen Kohleregionen an das entstehende Wasserstoff-Kernnetz angeschlossen werden. (hle/emu/hau/05.07.2024)