„Die Gelder fließen“
Sabine Poschmann (SPD) im Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“
Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag: 01. Februar 2021)
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Die SPD-Wirtschaftsexpertin Sabine Poschmann ist optimistisch, dass die deutsche Wirtschaft relativ schnell wieder auf das Vor-Krisenniveau kommt. „Nach dem ersten Lockdown 2020 hat sich die Wirtschaft auch relativ schnell erholt“, sagte sie im Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“. „Wir haben ein soziales Netz gespannt, was Sicherheit für die Arbeitnehmer aber auch die Unternehmen bietet“, betonte Poschmann mit Blick auf die Verlängerung der Regelungen zum Kurzarbeitergeld und zur Insolvenzaussetzung.
Dass die Corona-Hilfen für den Mittelstand vielfach als zu bürokratisch empfunden werden, kann sie teilweise nachvollziehen. Man müsse jedoch schauen, „dass diese Steuergelder auch bei den Richtigen ankommen“, sagte die Mittelstandsbeauftragte der SPD-Fraktion. Daher seien die Anträge etwas umfangreicher, um möglichst viele Einzelfälle abdecken zu können.
Aussagen in der Presse oder im Netz, wonach Antragsteller noch keinen Cent erhalten hätten, sind aus Sicht der SPD-Politikerin nicht zutreffend. Von den November- und Dezemberhilfen seien Abschläge gezahlt worden. Die Überbrückungshilfe II, die bis Dezember gilt, sei zu mehr als 90 Prozent fix abgerechnet. „Die Gelder fließen – wenn auch mit Zeitverzug.“
Ob die Bürger später per Corona-Soli oder einer Corona-Steuer zur Refinanzierung der Krisenkosten herangezogen werden, vermag Poschmann heute noch nicht einzuschätzen, weil nicht bekannt sei, welche Summen für die Krisenbewältigung noch benötigt werden. „Wir haben in Deutschland dank einer vorsichtigen Finanzpolitik eigentlich eine gute Ausgangslage“, sagte sie. Bei einem guten Wachstum müsse eventuell gar nicht über Steuererhöhungen nachgedacht werden.
Das Interview im Wortlaut:
Frau Poschmann, der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung geht für 2020 laut Jahreswirtschaftsbericht von einem Minus von fünf Prozent statt der ursprünglich angenommenen 6,5 Prozent aus. Also alles nicht so schlimm?
Minus fünf Prozent ist besser als Minus 6,5. Aber natürlich ist nicht alles gut, auch wenn wir im europäischen Vergleich ganz gut dastehen. Zur Einordnung hilft vielleicht der Vergleich zum Einbruch 2009 als Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise. Damals war es ein Minus von 5,7 Prozent, aus dem wir uns auch wieder befreit haben. Ich bin optimistisch, dass wir relativ schnell wieder auf das Vor-Krisenniveau kommen. Nach dem ersten Lockdown 2020 hat sich die Wirtschaft auch relativ schnell erholt.
Für 2021 geht die Bundesregierung von einem Wachstum von drei Prozent aus – während im Herbst noch von 4,4 Prozent die Rede war. Mit welcher Entwicklung rechnen Sie?
Das ist von so vielen Parametern abhängig, die man heute noch nicht einschätzen kann. Wie ist die Entwicklung der Infektionszahlen? Wie entwickelt sich die Mutation? Was können wir mit dem Impfen erreichen? Dazu kann heute keiner eindeutige Antworten geben.
Von Beginn der Krise an hat die Bundesregierung sehr viele Steuergelder eingesetzt, um die wirtschaftlichen Folgen abzudämpfen. Irgendwann werden aber die Regelungen zum Kurzarbeitergeld und zur Insolvenzaussetzung auslaufen. Drohen dann Pleitewellen und ein deutlicher Anstieg der Arbeitslosenzahlen?
Wir haben ein soziales Netz gespannt, was Sicherheit für die Arbeitnehmer aber auch die Unternehmen bietet. Ich bin auch hier optimistisch, dass nach Überwindung der Krise die Arbeitnehmer wieder regulär arbeiten können. Unternehmensinsolvenzen wird es geben. Aber nicht in dem Umfang wie Skeptiker befürchten. Wenn die Wirtschaft wieder anläuft, gibt es einen großen Konsumnachholbedarf bei den Menschen.
Die Händler in den Innenstädten, die ohnehin unter Druck standen, und in der Krise nicht so abgefedert wurden wie etwa Gastronomen – halten die durch?
Meine Prognose ist, dass der Großteil durchhalten wird. Großhändler und Markenhersteller sind hier, wie ich höre, durchaus bereit, Waren zurückzunehmen und so zu unterstützen. In den Überbrückungshilfen gibt es ja auch die Regelung, das verderbliche Waren und Saisonware als Fixkosten angerechnet und so erstattet werden können. Das ist eine starke Hilfestellung für den Handel.
Dennoch werden die Corona-Hilfen für den Mittelstand vielfach als zu bürokratisch empfunden. Wie sehen Sie das als Mittelstandsbeauftragte der SPD?
Ich habe Verständnis für die Unternehmen, deren Liquidität zu Ende geht, wenn sie sich wünschen, dass die Hilfen schon nach ein paar Mausklicks kommen. Aber man muss schon schauen, dass diese Steuergelder auch bei den Richtigen ankommen. Daher sind die Anträge etwas umfangreicher, um möglichst viele Einzelfälle abdecken zu können.
Auch weil sonst mit Missbrauch zu rechnen wäre?
Ja, in der ersten Phase des Lockdown hat sich gezeigt, dass Soforthilfen – wenn auch nur zu einem sehr kleinen Teil – zu Unrecht kassiert wurden. Noch zur Ergänzung zur vorherigen Frage: Die Anträge werden ja vielfach von Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern bearbeitet, die sich mit so etwas auskennen.
Solo-Selbstständige haben aber oft keinen Steuerberater...
In dem Bereich sind die Anträge ja auch einfacher gehalten. Ich will aber durchaus mal deutlich machen, dass Aussagen in der Presse oder im Netz, wonach Antragsteller noch keinen Cent erhalten hätten, nicht zutreffend sind. Von den November- und Dezemberhilfen sind Abschläge gezahlt worden. Die Überbrückungshilfe II, die bis Dezember gilt, ist zu mehr als 90 Prozent fix abgerechnet. Die Gelder fließen – wenn auch mit Zeitverzug.
Sie werden wohl auch weiter fließen müssen, denn die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten haben den Lockdown unlängst erneut verlängert und noch verschärft. Richtig so?
Solange wir diese Zahlen bei den Inzidenzen haben, müssen wir noch durchhalten...
...aber die Zahlen gehen doch gerade runter?
Ja, aber sie sind dennoch so hoch, dass Krankenhäuser überlastet sind. Die sinkenden Zahlen zeigen aber auch, dass die getroffenen Maßnahmen Sinn machen. Das stimmt mich hoffnungsvoll. Noch nicht abschätzbar ist, wie sich die Mutationen entwickeln werden und wie wir mit dem Impfen vorankommen.
Sie zählen also nicht zu denen, die für Lockerungen ab Mitte Februar plädieren?
Klar würde ich mir das wünschen. Aber im Moment schätze ich es als unwahrscheinlich ein, dass dann alles geöffnet wird.
Vielleicht nicht alles, aber doch zumindest die Schulen. Schließlich gibt es schon seit Jahren die Einschätzung von ausbildenden Betrieben, dass die Qualität der Bewerber nachlässt und angesichts dessen Ausbildungsstellen nicht besetzt werden können. Ein weitestgehend ausgefallenes Schuljahr dürfte die Situation sicher nicht verbessern.
In den Schulen wurde ein großer Schritt hin zu mehr Digitalisierung geschafft. Gerade für Schüler in den weiterführender Schulen kann das ein Vorteil sein, weil auch das Wirtschaftsleben digital ist. Anders sieht es bei Grundschulen aus. Hier sollte noch im Februar der Schulbesuch im Wechselunterricht ermöglicht werden.
Der Termin für die Entscheidung über das weitere Vorgehen in Sachen Lockdown wurde zuletzt auf Initiative des Kanzleramtes vorverlegt – in eine Nicht-Sitzungswoche des Bundestags. Etwa um das Parlament leichter umgehen zu können?
Diesen Zusammenhang kann ich nicht erkennen. Es war eher so, dass die Entwicklung der Pandemie den dringenden Handlungsbedarf erforderlich gemacht hat.
In den Fokus ist seit der letzten Lockdown-Verlängerung die Ansteckungsgefahr während der Arbeit geraten, was zu einer verstärkten Forderung nach mehr Home-Office führt. Auf vielen Verwaltungsebenen scheint das aber nicht möglich, weil die technischen Voraussetzungen fehlen. Ist dem so?
Dass es in einzelnen Verwaltungen in Sachen Digitalisierung noch einiges zu tun gibt, kann man sicherlich nicht leugnen. Im Bereich der Bundestagsverwaltung ist hingegen viel möglich. Bei mir im Büro wurde die ohnehin vorhandene Möglichkeit des Home-Office nochmals ausgeweitet. Es ist schon richtig, Arbeitgeber in die Pflicht zu nehmen, damit sie Home-Office anbieten.
Frau Poschmann, die Krise kostet viel Geld und führt zu einer hohen Verschuldung des Bundes und der Länder. Kommt der Corona-Soli oder eine Corona-Steuer?
Das ist im Moment schwierig einzuschätzen, weil wir nicht wissen, welche Summen für die Krisenbewältigung noch benötigt werden. Wir haben in Deutschland dank einer vorsichtigen Finanzpolitik eigentlich eine gute Ausgangslage. Bei einem guten Wachstum müssen wir eventuell gar nicht über Steuererhöhungen nachdenken.
Das Gespräch führte Götz Hausding.
Sabine Poschmann ist Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Energie. Seit 2014 ist sie Mittelstandsbeauftragte der SPD-Fraktion.