Wochenzeitung „Das Parlament“ -
SSW-Abgeordneter Stefan Seidler: „In einer gesunden Demokratie fungieren Minderheiten oft als Seismografen“
Vorabmeldung zu einem Interview in der Wochenzeitung „Das Parlament“
(Erscheinungstag: 21. Dezember 2024)
– bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung –
Stefan Seidler, fraktionsloser Bundestagsabgeordneter des Südschleswigschen Wählerverbands (SSW), hat in einem Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ die Bedeutung des Schutzes von Minderheiten und demokratischen Strukturen in Deutschland betont. Gemeinsam mit den Fraktionen von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP hatte Seidler die Gesetzentwürfe zur Stärkung des Bundesverfassungsgerichts in den Bundestag eingebracht, die Bundestag und Bundesrat in dieser Woche beschlossen haben. „Wir sehen, dass die AfD dort, wo sie an Einfluss gewinnt, versucht, diese Strukturen zu ihren Gunsten aufzubrechen. Deshalb unterstütze ich diesen Entwurf ausdrücklich“, erklärte Seidler. Aus ähnlicher Überzeugung sei er auch einer der Initiatoren hinter der Prüfung eines AfD-Verbotsverfahrens.
Als Vertreter der dänischen und friesischen Minderheit forderte Seidler eine umfassendere Absicherung der nationalen Minderheiten in Deutschland. „In einer gesunden Demokratie fungieren Minderheiten oft als Seismografen. Wenn von rechts Druck ausgeübt wird, leiden Minderheiten häufig zuerst“, betonte er und verwies auf Beispiele wie die Friesen im Norden oder die Sorben im Osten, deren Rechte zunehmend in Frage gestellt würden. „Minderheiten sind kein Projekt“, fügte er hinzu und sprach sich für eine kontinuierliche Förderung sowie die Verankerung von Minderheitenrechten im Grundgesetz aus. „Eine gesunde Demokratie misst sich daran, wie sie mit ihren Minderheiten umgeht.“
Im Bundestag setzt der fraktionslose Abgeordnete auf Kooperation und Vernetzung, um seine Themen voranzubringen. Er arbeite eng mit Abgeordneten aus verschiedenen Fraktionen zusammen und engagiere sich in Parlamentskreisen wie dem für Minderheiten oder Meerespolitik. „Meine Währung ist Goodwill. Und diesen Goodwill kann man sich erarbeiten“, erklärte Seidler. Gleichzeitig sieht er Verbesserungsbedarf bei den parlamentarischen Rechten für Vertreterinnen und Vertretern nationaler Minderheiten. So schlägt er beispielsweise die Möglichkeit vor, Kleine Anfragen zu stellen oder Anträge auf die Tagesordnung des Plenums zu bringen. „Minderheitenschutz bedeutet auch, dass man denjenigen, die dann Minderheiten vertreten, ein kleines Trittbrett hinstellt, um auf Augenhöhe mitarbeiten zu können“, sagte Seidler.
Das Interview im Wortlaut:
Das Parlament: Herr Seidler, zusammen mit den Fraktionen von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP haben Sie als fraktionsloser Abgeordneter des Südschleswigschen Wählerverbands die Gesetzentwürfe zur Stärkung der Resilienz des Bundesverfassungsgerichtes in den Bundestag eingebracht. Warum ist eine verfassungsrechtliche Absicherung des Gerichts erforderlich?
Stefan Seidler: Wir als SSW, als Partei der dänischen und friesischen Minderheit, denken darüber nach, wie unsere Gesellschaft aufgestellt ist. Es geht darum, Minderheiten, aber auch unsere demokratischen Strukturen in Deutschland zu schützen. Wir sehen, dass die AfD dort, wo sie an Einfluss gewinnt, versucht, diese Strukturen zu ihren Gunsten aufzubrechen. Deshalb unterstütze ich diesen Entwurf ausdrücklich. Aus ähnlicher Überzeugung bin ich auch einer der Initiatoren hinter der Prüfung eines AfD-Verbotsverfahrens.
Das Parlament: Grundgesetzänderung und die Prüfung eines Parteiverbots – das sind schwergewichtige Vorhaben. Müssen wir uns Sorgen um unsere Demokratie machen?
Stefan Seidler: Ja, müssen wir. In einer gesunden Demokratie fungieren Minderheiten oft als Seismografen. Wenn von rechts Druck ausgeübt wird, leiden Minderheiten häufig zuerst. Wir sehen etwa bei den Friesen im Norden, dass von Rechtsaußen Fragen zu ihrer Existenzberechtigung gestellt werden. Oder bei den Sorben im Osten, wo die AfD an Einfluss gewinnt: Dort werden Mittel für Minderheitenbeauftragte oder gar ihr Status als Minderheit in Frage gestellt. Das bereitet mir große Sorgen. Wenn solche Angriffe passieren, müssen wir uns aufstellen, um unsere Gesellschaft zu schützen.
Das Parlament: Sind denn die nationalen Minderheiten in Deutschland Ihrer Ansicht nach gut genug abgesichert?
Stefan Seidler: Wir haben vier nationale Minderheiten. Die dänische Minderheit ist durch den Mutterstaat stärker abgesichert, aber die Friesen oder auch die Sinti und Roma sowie die Sorben sind finanziell oftmals von Projektmitteln abhängig. Doch Minderheiten sind kein Projekt. Wir brauchen eine stetige Förderung für Bildung, Kulturarbeit und Ehrenamt. Aber bei der Absicherung geht es natürlich um mehr als nur Geld: Eine gesunde Demokratie misst sich daran, wie sie mit ihren Minderheiten umgeht. Deshalb würde ich es eine gute Idee finden, Minderheitenrecht auch im Grundgesetz festzuschreiben.
Das Parlament: Wie kam es eigentlich dazu, dass Sie als fraktionsloser Abgeordneter den Gesetzentwurf mit eingebracht haben?
Stefan Seidler: Mir ist an einer guten Zusammenarbeit mit den Fraktionen und Gruppen gelegen. Das wird auch erwidert. Man ist da auch schon auf mich zugekommen. In diesem Fall hat mich das Thema beschäftigt. Ich bin dann auf die Fraktionsführungen zugegangen und wurde sehr offen empfangen. Bei anderen Anträgen, etwa einem Antrag zur maritimen Wirtschaft, hängt das sicherlich auch mit dem thematischen Fokus meiner Arbeit zusammen. Wir machen uns als SSW in diesem Bereich sehr stark und arbeiten fachlich da sehr versiert mit.
Das Parlament: Die allermeisten Abgeordneten können zur Unterstützung nicht nur auf ihr Büro zurückgreifen, sondern auf eine Fraktion – und sich auf bestimmte Themen konzentrieren. Wie managen Sie Ihren Parlamentsalltag?
Stefan Seidler: Ohne die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter meines Büros wäre es noch schwerer. Aber ich habe von Anfang an gesagt: Wir können nicht alle Themen abdecken, sondern konzentrieren uns auf die Themen, die für uns als SSW wichtig sind. Das sind zum einen die Minderheiten, aber auch Themen, die für unsere Heimatregion wichtig sind. Ich habe mir zum Beispiel den Küstenschutz ans Revers geheftet.
Das Parlament: Wie bringen Sie diese Themen ein?
Stefan Seidler: Ich habe ja keine politische Macht. Meine Währung ist Goodwill. Und diesen Goodwill kann man sich erarbeiten.
Das Parlament: Also geht es bei Ihnen vor allem ums Netzwerken mit gleichgesinnten Abgeordneten aus den Fraktionen?
Stefan Seidler: Ja, das passiert zum Beispiel im Parlamentskreis Minderheiten. Den habe ich zusammen mit Denise Loop von den Grünen gegründet. Ähnlich ist es mit dem Parlamentskreis Meerespolitik. Die Kolleginnen und Kollegen wissen, dass ich mich für maritime Themen einsetze, und haben mich gefragt, ob ich mit an Bord sein will. Es geht also darum, Netzwerke zu etablieren und mit guter Arbeit zu unterstützen. Und so bekomme ich meine Dinge dann auch durch. Nicht immer, aber immer öfter. Ich muss aber schon mehr laufen, die Strecken sind länger, und obendrein kommt hinzu, dass wir trotzdem diejenigen sind, die Informationen immer ganz am Schluss bekommen. Dann sind da noch die teils kurzen Fristen, um sich in Änderungsanträge einzuarbeiten, um sich eine Meinung zu bilden. Das ist die Krux des Fraktionslosen.
Das Parlament: Wäre es dann nicht eine Überlegung wert, sich einer Fraktion im Bundestag anzuschließen?
Stefan Seidler: Nein, überhaupt nicht. Der SSW ist eine unabhängige Partei. Die Leute im Norden wählen uns deswegen und weil wir die Themen, die uns dort wichtig sind, hier auf die Agenda bringen. Und ich kann auch hin und wieder schimpfen, wenn wir wieder mal vergessen werden. Das könnte ich nicht, wenn ich Teil einer Fraktion wäre – außerdem kann ich mich zu Wort melden, wenn ich es für richtig halte. Das ist die Freiheit, die ich als fraktionsloser Abgeordneter habe.
Das Parlament: Mit rund 60 Reden gehören Sie zu den aktivsten Abgeordneten in dieser Wahlperiode…
Stefan Seidler: Es ist nicht so, dass ich mich bei allen Themen zu Wort melde. Denn das Schlimmste, was passieren könnte, ist, wenn die Kolleginnen und Kollegen im Plenum sitzen und mit den Augen rollen und sagen: „Ach Gott, was will der Seidler denn jetzt schon wieder am Pult?“ Wir sind immer mit Augenmaß am Überlegen, wann es Sinn macht, sich einzubringen. Also bei Themen, bei denen es überraschen würde, wenn ich dazu nichts sagte.
Das Parlament: Sehen Sie Verbesserungsbedarf bei den Rechten für fraktionslose Abgeordnete im Bundestag?
Stefan Seidler: Ich würde mir wünschen, dass wir in der Geschäftsordnung des Bundestages ein paar Punkte einführen, die es den Vertreterinnen und Vertretern nationaler Minderheiten etwas einfacher machen, die parlamentarische Arbeit auch mitgestalten zu können. Als SSW werden wir niemals in Fraktionsstärke einziehen – und Minderheitenschutz bedeutet auch, dass man denjenigen, die dann Minderheiten vertreten, ein kleines Trittbrett hinstellt, um auf Augenhöhe mitarbeiten zu können. Ich denke, das ist auch legitim.
Das Parlament: Was meinen Sie damit konkret?
Stefan Seidler: Es geht zum Beispiel um Kleine Anfragen. Ich würde gar nicht Tausende Anfragen stellen wollen, das könnte gerne begrenzt sein, eben auf Themen, die uns als Minderheit wichtig sind. Die Möglichkeit, Anträge auf die Tagesordnung des Plenums zu bringen oder Entschließungsanträge einzubringen, wäre ebenfalls hilfreich. Auch eine beratende Teilnahme in anderen Ausschüssen, wenn es um für Minderheiten relevante Themen geht, wäre gut. Das sind so Sachen, da würde sich niemand ein Zacken aus der Krone brechen, wenn man den Abgeordneten der Minderheiten diese Möglichkeiten gibt.