Wochenzeitung „Das Parlament“ -
„Wir sollten weg von der Ideologie“
Vorabmeldung zu einem Interview in der Wochenzeitung „Das Parlament“
(Erscheinungstag: 21. Dezember 2024)
– bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung –
Der Ministerpräsident des Freistaates Thüringen, Mario Voigt (CDU), plädiert im Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ dafür, Landespolitik nicht ideologisch aufzuladen, sondern pragmatisch zu arbeiten. Die AfD forderte er auf, mit ihrer Sperrminorität im Landtag nicht nur zu blockieren, sondern auch etwas nach vorne zu bringen und sich Lösungsangeboten nicht zu verwehren.
Als Ministerpräsident wolle er in Thüringen „weg von der Ideologie, hin zu einem pragmatischen Ansatz“, beschreibt Mario Voigt (CDU) seinen Regierungsansatz in Thüringen. „Auch die Stimmen der Wähler, die fern unserer demokratischen Überzeugungen gewählt haben, müssen gehört werden, wenn es um konkrete Probleme im Land geht“, erläutert der Ministerpräsident im Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“.
Mario Voigt erklärt im Interview auch ein neues „Prälegislative Konsultationsverfahren“, das in Thüringen bei Gesetzentwürfen der Landesregierung künftig vorgeschaltet werden soll. „Wir werden parlamentarische Initiativen, von denen wir als Koalition überzeugt sind, dass sie eine gute Politik für Thüringen bedeuten, allen Fraktionen im Thüringer Landtag vor der Einbringung ins Parlament für eine Stellungnahme zuleiten“, so Mario Voigt und erläutert weiter: „Wir haben ein großes Interesse daran, auch die Ideen der demokratischen Opposition zu berücksichtigen und insbesondere daran, dass die Gesellschaft wieder stärker zusammenfindet.“
Mit Blick auf die Sperrminorität der AfD im Landtag fordert Mario Voigt von der Fraktion Verantwortung ein: „Wir dürfen nicht zulassen, dass in der Justiz fünf Jahre lang kein Richter oder Staatsanwalt berufen werden kann“. Der Ministerpräsident führt im Interview aus: „Die Thüringer Wähler haben entschieden, dass die AfD ein Drittel der Mandate hat. Das gehört zur Demokratie dazu. Wenn es die AfD ernst meint, in Thüringen nicht nur zu blockieren, sondern auch etwas nach vorne zu bringen, dann sollte sie sich Lösungsangeboten auch nicht verwehren.“
Das Interview im Wortlaut:
Der Landtagspräsident hatte vorsorglich schon das Verfahren für einen 3. Wahlgang erläutert und dann wurden Sie im 1. Wahlgang gewählt. Dabei hat Ihre Koalition keine Mehrheit im Landtag. Was ist da passiert?
Der 12. Dezember 2024 ist ein Tag des Aufbruchs und der Tag, an dem Thüringen seinen Ruf als politische Problembeschreibung verloren hat. Dass meine Wahl zum Ministerpräsidenten bereits im ersten Wahlgang erfolgreich war, weiß ich sehr zu schätzen. Ich begreife es auch als politisches Kapital, das ich einsetzen werde, um die Alltagssorgen der Thüringerinnen und Thüringer anzupacken. Wir haben uns als konkrete Ausgestaltung des neuen prälegislativen Konsultationsmechanismus für einen konstruktiven Dialog mit der demokratischen Opposition im Thüringer Landtag als CDU, BSW und SPD im Vorfeld der Ministerpräsidentenwahl verpflichtet. Damit haben wir nicht nur die Grundlage für eine erfolgreiche Wahl, sondern auch für einen Geist des Miteinanders gelegt.
Das heißt, Ihre Koalition hat jetzt in Wahrheit nicht vier, sondern weiter drei Koalitionspartner? Oder regiert die Linkspartei heimlich mit?
Meine Wahl zum Ministerpräsidenten im ersten Wahlgang ist nicht als plötzlicher Zuwachs eines weiteren Koalitionspartners durch die Hintertür zu verstehen. Die Linke ist dadurch auch nicht in eine Tolerierung eingetreten, sondern befindet sich nach wie vor in der Opposition. So betont es auch die Linke selbst. Gleichwohl habe ich bereits in meiner Antrittsrede im Thüringer Landtag alle Abgeordnete dazu eingeladen, durch ein gemeinsames Ringen um die beste Sache, konstruktiv an der Lösung der drängenden Themen in Thüringen mitzuwirken. Die besten Lösungen entstehen aber nicht hinter verschlossenen Türen, sondern im offenen Dialog miteinander. Zu einem solchen lade ich Die Linke herzlich ein. Sie sehen also: Von Heimlichkeit keine Spur.
Ist die Koalition mit 44 von 88 Sitzen für Sie eine Minderheitsregierung?
Wichtig zu betonen ist doch Folgendes: Wir verfügen in Thüringen über eine stabile Regierung und eine De-facto-Mehrheit. Es gibt einen gewählten Ministerpräsidenten und ein handlungsfähiges Parlament, auch weil gegen die Brombeer-Fraktionen keine Mehrheit gebildet werden kann. Wir haben den Anspruch, die Probleme der Leute in Thüringen zu lösen, dadurch Vertrauen zu gewinnen und den Freistaat gut zu führen. Für diese Zielstellung sind wir jederzeit bereit, mit einer demokratischen und konstruktiven Opposition zusammen zu arbeiten. Wir sind ausdrücklich kein Bündnis der Bequemlichkeit, sondern eine Allianz der Tat, die sich an den Alltagssorgen der Menschen orientiert.
Wie soll denn das „Prälegislative Konsultationsverfahren“ ganz konkret funktionieren?
Wir werden parlamentarische Initiativen, von denen wir als Koalition überzeugt sind, dass sie eine gute Politik für Thüringen bedeuten, allen Fraktionen im Thüringer Landtag vor der Einbringung ins Parlament für eine Stellungnahme zuleiten. Die inhaltlichen Anregungen werden wir uns dann in der Koalition ganz genau anschauen und – wenn sie nach unserer Einschätzung einen konstruktiven Beitrag für die jeweilige Initiative darstellen – auch entsprechend einarbeiten. Wir haben ein großes Interesse daran, auch die Ideen der demokratischen Opposition zu berücksichtigen und insbesondere daran, dass die Gesellschaft wieder stärker zusammenfindet. Allen Partnern in der Regierung ist es ein wichtiges Anliegen, dies als neue politische Kultur in Thüringen zu fordern und zu fördern – auch die Stimmen der Wähler, die fern unserer demokratischen Überzeugungen gewählt haben, müssen gehört werden, wenn es um konkrete Probleme im Land geht. Wir sollten weg von der Ideologie, hin zu einem pragmatischen Ansatz, das kann für alle Beteiligten gelten.
Macht das die Erarbeitung von Gesetzentwürfen nicht langsamer?
Das Gegenteil wird möglich sein. In Zeiten der Minderheitsregierung ist das Parlament häufig von plötzlichen Vorlagen seitens der Regierung überrascht worden, wodurch parlamentarische Abläufe verlängert wurden. Mit dem Konsultationsverfahren wissen wir frühzeitig, wie die Fraktionen zu Initiativen stehen und können als Landesregierung den parlamentarischen Weg sogar beschleunigen. Wenn wir mit Blick auf die Konsultationen vorausschauend agieren und die Opposition sich ähnlich engagiert einbringt, bin ich sehr zuversichtlich, dass wir auch in der gebotenen Kürze zu konkreten Verbesserungen für die Thüringerinnen und Thüringer kommen.
Macht Ihnen die Situation um die Sperrminorität Sorgen? Ohne die AfD können beispielsweise keine Verfassungsrichter gewählt werden.
Wir dürfen nicht zulassen, dass in der Justiz fünf Jahre lang kein Richter oder Staatsanwalt berufen werden kann. Deswegen werden wir alles dafür tun, dass das möglich wird und wir die Funktion des Staates gewährleisten. Es gibt bereits eingeübte Gesprächsformate zwischen den parlamentarischen Geschäftsführer im Parlament und dort gehört diese Diskussion auch hin. Die Thüringer Wähler haben entschieden, dass die AfD ein Drittel der Mandate hat. Das gehört zur Demokratie dazu. Wenn es die AfD ernst meint, in Thüringen nicht nur zu blockieren, sondern auch etwas nach vorne zu bringen, dann sollte sie sich Lösungsangeboten auch nicht verwehren.
Sie sind Ministerpräsident des Freistaates Thüringen, dort liegt Weimar. Die Weimarer Republik ist auch an Minderheitsregierungen gescheitert. Sind solche Warnungen auch heute noch angebracht?
Die Geschichte der Weimarer Republik lehrt uns viel, doch die heutige parlamentarische Demokratie in Deutschland ist eine andere. Sie ist gefestigt, resilient und auf einem Fundament aufgebaut, das aus genau diesen Erfahrungen der Vergangenheit erwachsen ist. Deshalb bin ich überzeugt: Geschichte wiederholt sich nicht. Gleichzeitig nehmen wir die Herausforderungen der heutigen politischen Landschaft sehr ernst. Wir erleben Veränderungen im Parteiensystem, die ein erhöhtes Maß an Verantwortung und Dialogbereitschaft von allen demokratischen Kräften erfordern. Unser Ansatz basiert auf tragfähigen Konzepten für eine enge und konstruktive Zusammenarbeit zwischen Parlament und Regierung. Die Verantwortung, die wir tragen, geht dabei über den politischen Alltag hinaus. Es ist unsere Aufgabe, das demokratische Fundament zu stärken und den Raum für radikale Kräfte einzuschränken. Dafür braucht es starke, gesprächsfähige Parteien in der Mitte und den klaren Willen, demokratische Werte zu bewahren.
Das Interview führte Christian Zentner.