Evakuierung der Deutschen aus Kabul war eine Herausforderung
Berlin: (hib/CRS) Der 1. Untersuchungsausschuss Afghanistan hat in seiner gestrigen Sitzung einen Beamten des Auswärtigen Amtes (AA) zum zweiten Mal befragt. Der Zeuge, der zum Zeitpunkt der Evakuierung aus dem Kabuler Flughafen Leiter des Krisenreaktionszentrums (KRZ) des Auswärtigen Amtes in Berlin war, berichtete, die Krisensitzung am 13. August 2021, also zwei Tage vor dem Kollaps der afghanischen Regierung, sei für seine Arbeit sehr wichtig gewesen. Denn dort sei beschlossen worden, die Evakuierung vorzubereiten.
Die Mitglieder des Untersuchungsausschusses waren vor allem an den Listen der zu Evakuierenden interessiert. Daraufhin berichtete der Zeuge von dem Krisenvorsorgesystem des AA, dem sogenannten „Elefand“. Dieses System sei zu Zeiten gesetzlich verankert worden, als es noch kein Internet gegeben habe. Die Grundidee sei, deutsche Staatsbürger im Ausland zu registrieren, um im Krisenfall schnell handeln zu können. Doch sei jedem im Auswärtigen Amt auch klar, dass diese Liste nie repräsentativ gewesen sei und das betreffe nicht nur Afghanistan.
Im März 2021 seien in Afghanistan ungefähr 80 deutsche Staatsbürger registriert gewesen. Und im August habe die Zahl der Registrierten immer noch bei einer zweistelligen Zahl gelegen. „Es gibt aber immer eine Dunkelziffer“, sagte der Leiter des KRZ. Man sei von 300 Menschen ausgegangen, „letztlich waren es zwischen vier- und fünfhundert.“
Außerdem würden sich mehr Leute in die Liste eintragen, sobald sich eine Krise zuspitze. Der Beamte betonte jedoch, dass dies die Evakuierungsoperation nicht sonderlich beeinflusst habe. Denn es habe ausreichende Flugkapazitäten gegeben. Auch die Bundeswehr, zuständig für die Durchführung von Evakuierungsoperation, habe jederzeit Zugriff auf „Elefand“.
Dennoch sei die Evakuierung der deutschen Staatsbürger nicht unproblematisch gewesen. Die Aussage des Beamten machte deutlich, dass sich Berlin offenbar vor einem Dilemma gestellt sah. Einerseits sollten die Staatsbürger aus einer Gefahrensituation herausgeholt werden, andererseits sollten keine falschen politischen Signale ausgesandt werden. „Es hatte damals schon längere Zeit eine Reisewarnung für Afghanistan gegeben“, berichtete der Zeuge den Abgeordneten, die gefragt hatten, warum es keine Ausreiseaufforderung gab. Im März habe es eine „schwach formulierte“ Ausreiseaufforderung gegeben. Das Auswärtige Amt sei unsicher gewesen, ob diese wiederholt werden sollte. Es sei klar gewesen, dass auch die Taliban mitlesen würden - ebenso wie die Regierung in Kabul und die afghanische Bevölkerung. Es sollte kein politisches Signal gesendet werden, dass Deutschland Afghanistan aufgegeben habe. Angesichts der Tatsache, dass sich damals nur 80 registrierte deutsche Staatsbürger in Afghanistan befanden, hätte man in dieser Situation sehr wenige Menschen erreicht, aber gleichzeitig eine schlechte politische Wirkung erzielt, so der Zeuge.
Die Verlegung der deutschen Botschaft zum Flughafen Kabul sei ebenfalls problematisch gewesen. „Das macht man nicht gerne“, sagte der Zeuge. Denn am Flughafen habe man weder die notwendige Infrastruktur noch die Sicherheit, um die diplomatische Arbeit fortzuführen. Dort sei man von anderen abhängig. Im Falle Kabuls kam erschwerend hinzu, dass die Bundeswehr zum Zeitpunkt der Evakuierung nicht mehr im Land war. Da der Flughafen, laut Aussage des Zeugen, „mit Abstand der wichtigste Punkt in Kabul“ war, habe Berlin noch im März 2021 beschlossen stets Kontakt zum Betreiber zu halten.
Die Lage habe sich am Samstag, 14. August 2021, dermaßen verschlechtert, dass unter Einbindung der Staatssekretäre am Nachmittag die Verlegung der Botschaft zum Flughafen beschlossen worden sei. An diesem Abend habe er kein klares Bild gehabt, wie sich die Lage im Flughafen darstellte, führte der Zeuge aus. Er habe aber die Entscheidung dem deutschen Gesandten Jan Hendrik van Thiel weitergegeben und der habe den Umzug „sehr gut umgesetzt“. Die Kritik, er habe van Thiel vorgeworfen, ohne Weisung die Botschaft geschlossen habe, wies der Zeuge zurück: „Mir ist nicht bekannt, dass er irgendetwas weisungswidrig gemacht hat.“ Das damalige Handeln van Thiels bedürfe ohnehin keiner Weisung, betonte der Leiter des KRZ.
Die Evakuierungsoperation aus Kabul sei die größte in der Geschichte gewesen, unterstrich der Beamte. Man sei nicht für eine solch große Operation eingestellt gewesen. Das habe auch beim ihm persönlich Spuren hinterlassen und er merke, dass es alle Beteiligten umtreibe. Das Geschehen habe den „massiven Änderungsbedarf gezeigt“ und ein Erneuerungsprozess angestoßen worden, so der Zeuge.