Potzel: „Wir haben in Afghanistan vielfältige Interessen“
Berlin: (hib/CRS) Der ehemalige Sonderbeauftragte der Bundesregierung für Afghanistan und Pakistan, Markus Potzel, hat vergangene Woche vor dem 1. Untersuchungsausschuss Afghanistan ausgesagt. Potzel gilt als Kenner der Region und begleitete im Namen der Bundesregierung den Doha-Prozess. Dort hatten die USA und die Taliban im Jahr 2020 das Abkommen verhandelt, mit dem der Abzug internationaler Truppen aus Afghanistan geregelt wurde. Der Untersuchungsausschuss beschäftigt sich mit der Zeit nach dem Doha-Abkommen bis zur chaotischen Evakuierung vom Flughafen Kabul im August 2021.
Während seiner Befragung musste Potzel unter anderem auch unangenehme Fragen beantworten, weil andere Zeugen, die früher ausgesagt hatten, ihm wegen seiner Entscheidungen und seines Auftretens schwere Vorwürfe gemacht hatten. Er habe die Berichte und Warnungen des ehemaligen Gesandten in der deutschen Botschaft, Jan van Thiel, nicht ernst genommen, so lautete ein Vorwurf. Er habe einen Tag vor der Schließung der Botschaft in Kabul dem Sicherheitsberater der Bundespolizei in der Botschaft die Anweisung gegeben, vor Ort zu bleiben und weiterzuarbeiten, lautete ein anderer. Außerdem hatten die Abgeordneten mehrere Mails von Potzel mit abfälligen Äußerungen über van Thiel in den Akten gefunden.
Potzel widersprach diesen Darstellungen teilweise. Er habe eng und gut mit dem ehemaligen Botschafter zusammengearbeitet. Die Eindrücke und Berichte von van Thiel seien immer ernst genommen worden und auch in die Entscheidungen eingeflossen, betonte der 59-jährige Diplomat mehrmals. Van Thiels Informationen seien jedoch nicht die einzigen gewesen. Die Entscheidungen in Berlin seien stets auf Basis von Informationen aus mehreren Quellen getroffen worden und die Zentrale sei immer gut informiert gewesen. Die Aussage des ehemaligen Sicherheitsberaters der Bundespolizei, Potzel habe ihm die Entsendung von KSK-Soldaten angeboten, begegnete er mit der Behauptung, diese Aussage vor dem Untersuchungsausschuss sei falsch gewesen.
Potzel, der heute als stellvertretender Sonderbeauftragter des UN-Generalsekretärs in Kabul arbeitet, konnte sich im Ausschuss häufiger nicht erinnern, was in den letzten Tagen vor der Evakuierungsoperation am Flughafen Kabul geschehen war. Vor allem den Obmann der CDU/CSU-Fraktion, Thomas Röwekamp, brachte das auf: „Der Zeuge kann sich immer dann nicht erinnern, wenn er gefragt wird, was er mit seinen eigenen Äußerungen meinte.“
Während dieser Teil der Befragung den Eindruck eher persönlicher Konflikte beim Personal des Auswärtigen Amtes (AA) zutage förderte, ging es auch um andere inhaltlich wichtige Fragen. Denn die Aussagen vieler Zeugen erhärten allmählich den Eindruck, die Bundesregierung sei im Untersuchungszeitraum bereit gewesen, mehr Risiken einzugehen als andere Nationen, um nach einem eventuellen Machtwechsel im Land bleiben zu können.
Warum ein Verbleib in Afghanistan für Deutschland als wichtig erachtet wurde, begründete Markus Potzel mit „vielfältigen Interessen.“ Es sei hilfreich, vor Ort zu sein, wenn deutsche Staatsbürger, Schutzbedürftige oder Ortskräfte evakuiert werden sollen, ebenso für Rückführungen, für die Terror- und Drogenbekämpfung. Außerdem müsse man im Land sein, um die Entwicklungszusammenarbeit weiterführen zu können.
Außerdem spielten Aspekte der deutschen Innenpolitik eine Rolle, führte Potzel aus. Zum Beispiel habe das Bundesministerium des Inneren (BMI) noch in den letzten Wochen Rückführungen durchführen wollen. „Es war Wahlkampf in Deutschland“ sagte der Zeuge.
Er habe in Doha fast jede Woche mit den Vertretern der Taliban gesprochen. Es habe eine Vertrauensgrundlage gegeben, berichtete Potzel. Sie hätten ihm persönlich versichert, dass sie kein Interesse daran hätten, dass die Botschaft verlassen werde und dass sie die Sicherheit der Auslandsvertretung gewährleisten würden. „Ich hatte keinen Grund das zu bezweifeln“ fügte der Zeuge hinzu. Deshalb habe er gedacht, dass eine Gefahr eher von kriminellen Banden ausgehen würde. Die Entscheidung, die Botschaft zu verlassen, sei erst dann gefallen, als die US-Amerikaner den Green Zone und ihre eigene Botschaft evakuiert hätten.
Die Evakuierung beschrieb der ehemalige Sonderbeauftragte der Bundesregierung als erfolgreich. Es habe eine Zusicherung der Taliban gegeben. „Sehr vielen, die in Gefahr waren, konnten wir helfen“, sagte er. „Es sind mir zwar Fälle bekannt geworden, in denen die Leute nicht außer Landes gebracht werden konnten, aber niemand musste sein Leben lassen.“
Auch in Doha, bei den innerafghanischen Friedensverhandlungen seien Absprachen mit den Taliban zuverlässig und belastbar gewesen. Sie seien einheitlicher aufgetreten als die afghanische Regierung, in der viele gegen Präsident Aschraf Ghani gearbeitet hätten. Das sei einerseits durch die Diversität der afghanischen Gesellschaft zu erklären. Andererseits sei die Regierung auch an Machtambitionen und Korruption gescheitert, so Potzel. Es habe ihn jedenfalls sehr überrascht, „dass sich die Kräfte, die wir ausgebildet haben, so schnell aufgegeben haben.“ Es habe nicht an mangelnden Fähigkeiten gelegen.
Die Bundesregierung habe, trotz der Ankündigung des US-Präsidenten Joe Biden, die US-Truppen zu einem bestimmten Datum aus dem Land zurückzuziehen, gehofft, dass es zu einer Vereinbarung kommen würde. Sie hätte gehofft, die Taliban überzeugen zu können, die Macht zu teilen. Das sei auch die Hoffnung der afghanischen Regierung gewesen.