Schulze: Können uns keine Schneckenhausmentalität leisten
Berlin: (hib/HAU) „Wir sind viel zu langsam bei der Erreichung der globalen Nachhaltigkeitsziele.“ Diese Feststellung traf die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Svenja Schulze (SPD), am Mittwochabend während einer Sitzung des Parlamentarischen Beirates für nachhaltige Entwicklung. Nach jetzigem Stand werde kein Land auf der Welt die Ziele bis 2030 erreichen, sagte die Ministerin.
Zurückgeworfen worden sei die Entwicklung durch die Covid-19 Pandemie, durch die Klimakrise und durch Kriege. Dadurch seien erreichte Erfolge, ganz besonders in den ärmsten Ländern der Welt, zunichte gemacht worden. Weitere Probleme seien wachsende Ungleichheiten, fehlende Finanzierungen und viel zu langsam voranschreitende Strukturreformen, sagte Schulze.
Der Politik zu denken geben sollte aus Sicht der Ministerin auch ein Studienbefund, wonach die deutsche Bevölkerung die Zuversicht eingebüßt habe, „dass wir noch an den Zielen arbeiten“. Aber auch im Bundestag, so konstatierte sie, gebe es in Teilen eine skeptische Grundhaltung „zu der Sinnhaftigkeit von Entwicklungszusammenarbeit“. Solche Diskussionen halte sie für „sehr gefährlich und für sehr kurzsichtig“. Die Herausforderungen, die es in der Welt gebe, machten nicht an nationalen Grenzen halt, sagte Schulze.
Bei der Entwicklungszusammenarbeit würden Partnerschaften aufgebaut und werde gemeinsam an Krisen gearbeitet. „Das ist gut investiertes Geld“, betonte sie. Ein Blick in die Wissenschaft zeige: Mit jedem heute investierten Euro, mit dem weltweit Gesellschaften krisenfester gemacht würden, spare man später mindestens vier Euro an humanitärer Nothilfe.
„Unser Wohlstand in Deutschland beruht auf Weltoffenheit und darauf, dass wir eine Exportnation sind“, sagte die Ministerin. Wolle man den Wohlstand erhalten, könne man sich keine Schneckenhausmentalität leisten.
Schulze benannte auch die Wege, die es aus ihrer Sicht möglich machen, doch noch die Ziele der Agenda 2030 zu erreichen. Ganz zentral sei der Abbau von Ungleichheiten, „in den Gesellschaften und auch zwischen den Gesellschaften“. Es gehe dabei nicht nur um Einkommensungleichheiten, machte die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung deutlich. Es gehe auch um die Veränderung von Strukturen und Ursachen der Ungleichheiten. Ein wichtiger Punkt dazu sei die „feministische Entwicklungspolitik“. Schließlich sei Gleichstellung ein Menschenrecht, „was bisher noch in keinem Land der Welt erreicht ist“.
Die gleichberechtigte soziale und wirtschaftliche Teilhabe aller Bevölkerungsgruppen sei enorm wichtig. Aus wissenschaftlichen Studien sei bekannt, dass es deutlich weniger Hunger und deutlich weniger Armut, aber dafür mehr Stabilität in der Welt gäbe, „wenn die ganze Gesellschaft beteiligt ist, also auch Frauen gleichberechtigt Verantwortung übernehmen“. Daher verfolge sie das Ziel, dass 93 Prozent der Entwicklungszusammenarbeits-Projekte „auch auf das Thema Gleichstellung einzahlen“.
Als zweiten großen Hebel bezeichnete die Ministerin die internationale Finanzarchitektur. „Wir brauchen auch den privaten Sektor, der in nachhaltige Lösungen investiert“, betonte Schulze. Daher sei eine ehrgeizige Reform der Weltbank geplant. Erste Veränderungen dazu seien schon auf den Weg gebracht worden.
Enorme Auswirkungen auf den globalen Süden habe auch „unser Konsumverhalten“. Deutschland liege hier im Ranking unter dem G7-Durchschnitt. Deswegen müsse noch mehr getan werden, um die negativen Auswirkungen des Konsums in positive zu wandeln. „Dass das geht, zeigt zum Beispiel unsere Einsatz für die Wasserstoffproduktion“, sagte die Ministerin.