Absage an „kultiviert verpackten“ Antisemitismus
Berlin: (hib/AW) Vertreter der Bundesregierung, aller Fraktionen, des Zentralrats der Juden sowie verschiedener Kultur- und Bildungseinrichtungen haben sich am Mittwoch in einer öffentlichen Sitzung des Kulturausschusses gegen Antisemitismus in der Kulturszene ausgesprochen. Die Verbreitung von Hass auf Juden und Israel sei nicht durch die Freiheit der Kunst gedeckt, lautete das einhellige Urteil.
Daniel Botmann vom Zentralrat der Juden in Deutschland konstatierte, dass in großen Teilen der Kunst- und Kulturszene in Deutschland eine „Empathielosigkeit“ gegenüber den Opfern der terroristischen Hamas-Angriffe am 7. Oktober 2023 in Israel herrsche. Selbst die wenigen Solidaritätsbekundungen seien oftmals „schwammig“ formuliert worden. Botmann attestierte der Kunst- und Kulturszene ein Problem mit Antisemitismus unter dem Deckmantel der Kunstfreiheit. Dies sei aber auch bereits vor den Hamas-Angriffen zu beobachten gewesen. Es müsse deutlich gemacht werden, dass der Kampf gegen Antisemitismus keinen Widerspruch zur Kunstfreiheit darstelle. Botmann plädierte unter anderem für die Aufnahme von Antisemitismusklauseln in die Förderrichtlinien des Bundes für den Kulturbereich.
Der Leiter der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main, Meron Mendel, sieht solche Antisemitismusklauseln hingegen kritisch. Das beste Mittel gegen Antisemitismus sei die öffentliche Debatte. Dies gelte vor allem im Umgang mit der Kritik an Israel in den postkolonialen Diskursen. Schon jetzt sei zu beobachten, dass Kulturveranstaltungen abgesagt und Künstler ausgeladen würden, wenn Kritik an Israel und seiner Politik befürchtet werde. Dies bedrohe die Kunstfreiheit. Kultureinrichtungen könnten auch nie sogenannte „safe spaces“ werden. Antisemitische Straftaten müssten stets von den Behörden und der Justiz geahndet werden. Es könne aber nie ausgeschlossen werden, dass es zu persönlichen Verletzungen in der Kunst kommt. Mendel widersprach damit auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth, die sich dezidiert dafür ausgesprochen hatte, dass Kultureinrichtungen „safe spaces“ werden müssten. Er vertraue bei allen Problemen auf die Selbstregulierung in den Kultureinrichtungen.
Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, hingegen monierte, dass die Selbstregulierung in der Kunst- und Kulturszene aktuell nicht funktioniere. Es sei eine deutliche Zunahme bei der Verbreitung eines „kultiviert verpackten“ Hasses auf Juden und Israel zu beobachten.
Marina Chernivsky von der Beratungsstelle bei antisemitischer Gewalt und Diskriminierung (OFEK) und Stella Leder vom Institut für neue soziale Plastik plädierten dafür, Kultureinrichtungen gezielt bei der Entwicklung von Schutzkonzepten oder Codes of Conduct zu unterstützen. Diese zu entwickeln, benötige viel Zeit und viele Diskussionen in den Kultureinrichtungen. Zudem müsse in vielen Kultureinrichtungen ein Bewusstsein für das Thema geschaffen werden, sagte Chernivsky. Es genüge auch nicht, das Problem Antisemitismus immer nur anlassbezogen zu behandeln. Das Problem sei strukturell und habe wie in allen Bereichen der Gesellschaft eine lange Tradition. Deshalb müssten auch strukturelle Veränderungen vorgenommen werden, sagte Chernivsky. Diesen Forderungen schloss sich auch die Leiterin des Jüdischen Museums in Frankfurt am Main, Mirjam Wenzel, an. Viele Kultureinrichtungen seien schlichtweg überfordert mit der Thematik. Stella Leder forderte die Bundesregierung und den Bundestag dezidiert dazu auf, entsprechende Programme aufzulegen und dafür auch die benötigten Finanzmittel zur Verfügung zu stellen.
Kulturstaatsministerin Roth führte an, dass Codes of Conduct derzeit in vielen Kultureinrichtungen des Bundes entwickelt würden. Ihr Haus unterstütze die Einrichtungen dabei.
Die Ausschusssitzung im Video auf bundestag.de: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2024/kw08-pa-kultur-50-sitzung-989958