Gewalt im Fußball „gesamtgesellschaftliches Phänomen“
Berlin: (hib/HAU) Über Sicherheitsfragen im Fußball hat sich der Sportausschuss in seiner Sitzung am Mittwoch mit Sachverständigen ausgetauscht. Dabei spielten auch die vermehrten Angriffe gegen Schiedsrichter im Amateurbereich eine Rolle. Die Kriminologie Thaya Vester von der Universität Tübingen verwies auf den gesamtgesellschaftlichen Trend, dass „normdurchsetzende Personen“, wie Feuerwehrleute, Rettungskräfte oder kommunale Amtsträger, zunehmend Respektlosigkeiten und Angriffen ausgesetzt seien. Diese allgemeine beklagenswerte Entwicklung betreffe auch den Fußball und dort konkret die Schiedsrichter. Es handle sich also nicht um ein isoliertes Problem des Fußballsports, sondern auch um ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. „Dementsprechend sind bei der Bekämpfung und Verhinderung von Gewaltvorfällen im Fußball Politik und Gesellschaft ebenso gefordert wie der DFB und seine Landesverbände“, sagte Vester.
Der Vizepräsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), Ronald Zimmermann, machte darauf aufmerksam, dass sich 95 Prozent der Gewaltfälle in den untersten Ligen (8. Liga bis 13. Liga) abspielten. Die Spiele würden fast ausschließlich ehrenamtlich abgewickelt. Der DFB wünsche sich in Deutschland „gezielte Maßnahmen gegen die zunehmende Gewaltbereitschaft und gegen den zunehmend dramatischen Umgang miteinander“, sagte Zimmermann. Es brauche im Fußball Deeskalationsschulungen - für den Verein und auch den Schiedsrichter.
Hendrik Grosse-Leffert, Leiter Stabsbereich Sicherheit beim DFB, erläuterte die drei Säulen, auf denen die Sicherheitsmanagementstruktur des DFB aufbaue. So würden zum einen die Sicherheits- und Ordnungsdienste geschult. Es gebe inzwischen mehr als 80.000 geschulte Ordner. Die zweite Säule sei die Strukturoptimierung, die auf eine unabhängig zertifizierte Überprüfung der Strukturen in den Profispielklassen abziele. Seit sieben Jahren seien alle Proficlubs in einer unabhängigen Überprüfung, sagte er. Schließlich komme noch die Netzwerkarbeit hinzu. Gemeinsam mit der Politik seien Stadionallianzen vereinbart worden. Da sei eine sehr gute, kommunikative und dialogorientierte Plattform im lokalen Kontext für den Spieltag, sagte Grosse-Leffert.
Michael Gabriel, Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS) bei der Deutschen Sportjugend, warb dafür, die Fans als Teil der Lösung statt als Problem anzusehen. „Die Fußballfans in Deutschland sind sehr gut organisiert und müssen partnerschaftlich als Teil der Lösung angesprochen werden“, forderte er. Problematisch sei die „Renaissance des Hooliganismus und männlicher Härteideale“. Diese Gruppen entfernten sich von der eigentlichen Fanszene und seien auch von Fanprojekten weniger erreichbar, sagte Gabriel. Der KOS-Leiter verwies zugleich auf die prekäre finanzielle Situation bei den Fanprojekten. „Wir müssen überlegen, welche Felder wir liegenlassen müssen, anstatt uns neuen Phänomenen zuwenden zu können“, sagte Gabriel.
Jochen Kopelke, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, sprach von einer hohen Arbeitsbelastung der Polizeibeschäftigten im Zusammenhang mit Fußballspielen. Die hohe Zahl verletzter Polizisten gehe damit einher, „dass sich Polizeibeschäftigte insbesondere im Kontext von Fußballveranstaltungen immer wieder mit ehrverletzenden Schmähungen konfrontiert sehen, gegen die durch Verantwortliche überdies zu selten entschieden und eindeutig vorgegangen wird“. Dies sei mehr als inakzeptabel. Problematisch sei zudem, dass es - auch aufgrund der den Ultra-Gruppierungen teilweise eingeräumten Privilegien, wie eigene, nichtkontrollierte Räumlichkeiten im Stadion - bestimmten Fans gelinge, gefährliche Gegenstände wie überlange Fahnen, diffamierende und strafrechtlich relevante Banner sowie Pyrotechnik im Stadion zu benutzen, und oftmals auch gezielt gegen die Polizei zur Anwendung zu bringen, sagte Kopelke.