Wasserstoff-Kernnetz: Experten sehen Finanzierung kritisch
Berlin: (hib/MIS) Der Ausschuss für Klimaschutz und Energie hat sich am Mittwoch in einer öffentlichen Anhörung mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG, 20/10014) befasst, mit dem die zweite Säule für den Aufbau der Wasserstoff-Infrastruktur entstehen soll. Dazu gehört neben der integrierten Netzentwicklungsplanung für Erdgas und Wasserstoff der Rahmen für die Finanzierung des Wasserstoff-Kernnetzes durch private Investoren.
Die meisten Sachverständigen begrüßten den Gesetzentwurf. Massive Kritik machte sich aber an der Finanzierungsfrage fest.
Die EnBW AG bezweifle, dass der Entwurf die gesetzten Ziele erreichen kann, sagte zum Beispiel Markus Baumgärtner von der EnBW Energie Baden-Württemberg AG. Der Finanzierungsrahmen für H2-Projekte müsse, wie alle Energiewendeprojekte, im weltweiten Wettbewerb um Kapital bestehen können, um ausreichend Kapital anzuziehen, erklärte der von der Unionsfraktion benannte Experte. Dafür müsse aus seiner Sicht der Selbstbehalt in Höhe von 24 Prozent deutlich gesenkt werden. Diese Forderung wurde von den meisten Sachverständigen geteilt.
Die Vereinigung der Fernleitungsnetzbetreiber (FNB) Gas seien bereit, ein angemessenes Risiko hinsichtlich der Finanzierung des Kernnetzes zu tragen, sagte Geschäftsführerin Barbara Fischer. Aber die Risiken seien für die Netzbetreiber „erheblich“, sagte die Expertin, die auf Vorschlag der SPD-Fraktion als Sachverständige sprach. Durch die staatliche Absicherung würden zwar einige davon abgemildert, aber vor allem der vorgesehene Selbstbehalt der Netzbetreiber stelle aus Investorensicht eine zusätzliche Risikokomponente dar.
Das unternehmerische Risiko ergebe sich für Fernnetzbetreiber vor allem daraus, dass der Erfolg des Markthochlaufes nicht in der eigenen Hand liege, stellte Thomas Gößmann von der Thyssengas GmbH fest. Die Rahmenbedingungen dafür, ob und wie die Netze genutzt würden, setze im Wesentlichen der Staat und beeinflusse damit massiv den Hochlauf, so der von der Union benannte Sachverständige.
Das Kernnetz sei ein politisch gesetztes Netz, stimmte Kirsten Westphal vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft zu. Es werde die Basis einer Europäischen Infrastruktur bilden. Dabei habe Deutschland einen großen Vorteil, nämlich das gute Gaspipeline-Netz, sagte die Expertin, die die SPD-Fraktion benannt hatte. Der Umstellung von bestehenden Gasleitungen auf Wasserstoff Vorrang einzuräumen vor dem Neubau mache die Transformation betriebs- und volkswirtschaftlich effizient.
Gabriël Clemens von der E.ON Hydrogen GmbH plädierte für einen zügigen Aufbau des Kernnetzes. Er sehe allerdings Handlungsbedarf beim Blick auf Kunden, die nicht unmittelbar über das Kernnetz versorgt würden, wie etwa energieintensive Unternehmen außerhalb von Ballungsgebieten. Für die müsse mit der gleichen Dringlichkeit das Anschlussnetz ausgebaut werden, forderte Clemens, der von der Unionsfraktion als Sachverständiger benannt worden war.
Matthias Dümpelmann von der 8KU GmbH unterstrich das: Die Gasverteilnetze und deren Umbau im Sinne einer Systemplanung müssten dringend die bisherigen Überlegungen ergänzen. „Das Kernnetz ist ein wesentlicher Baustein der Wasserstoff-Wertschöpfungs- und Lieferkette - aber er ist beileibe nicht der einzige“, sagte Dümpelmann, der auf Einladung der SPD sprach.
Philipp Ginsberg vom Deutschen Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW) ergänzte: Um ein Ineinandergreifen der verschiedenen Netzebenen zu gewährleisten, sehe er erheblichen Nachbesserungsbedarf auch bei angedachten Planungs- und Abstimmungsprozessen. So sollten, auch um die Wärmeversorgung in den Kommunen voranzutreiben, die Transformationspläne der Gasverteilnetzbetreiber frühzeitig Eingang in den Gesetzgebungsprozess finden, forderte Ginsberg.
Klaus Ritgen, Vertreter für die Kommunalen Spitzenverbände nannte es „essenziell“, dass die Kommunen und die kommunalen Betriebe von Beginn an in die Transformationspläne miteinbezogen würden. „Dies muss auch die kommunale Wärmespannung berücksichtigen“ sagte Ritgen.
Sebastian Heinemann von der Initiative Energien Speichern (INES) sagte, die im Antragsentwurf angenommenen Mengen für 2032 überschätzten den tatsächlichen Wasserstoffbedarf aller Voraussicht nach deutlich. Der von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen benannte Sachverständige plädierte dafür, die Speicherkapazitäten an der Bedarfsperspektive auszurichten.
In einem ähnlichen Sinne stellte Benjamin Pfluges von der Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie fest, das vorgeschlagene Kernnetz sei „nicht per se zu groß, in dieser Größe aber vermutlich zu früh“. Besser wäre es, so Pfluges, die Netzgröße im Ausbau flexibel zu halten und sie an die tatsächliche Nachfrage anzupassen. Pfluges war ebenfalls von der Grünen-Fraktion benannt worden.
Diplom-Ingenieur Helmut Waniczek sagte voraus, dass der Strompreis in Deutschland in absehbarer Zukunft „immer der höchste in Europa“ sein werde. Da zudem eine Umwandlung in Wasserstoff den Energiepreis verdreifache, sei weder die von der Bundesregierung gewünschte Versorgungssicherheit noch die Bezahlbarkeit gewährleistet, sagte der von der AfD-Fraktion benannte Sachverständige.
Weitere Informationen zur Anhörung und die Stellungnahmen der Sachverständigen auf bundestag.de: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2024/kw08-pa-klimaschutz-energiewirtschaftsgesetz-988976