Botschafterin: Bidens Abzugsentscheidung war vorauszusehen
Berlin: (hib/CRS) Die ehemalige deutsche Botschafterin in den USA, Emily Haber, hat während ihrer Befragung im 1. Untersuchungsausschuss Afghanistan am Donnerstagabend beschrieben, wie kompliziert das Verhältnis zwischen Deutschland und den USA, und vor allem die Arbeit der Diplomaten in Washington D.C., während des Abzugs der internationalen Truppen war.
Haber, die als deutsche Botschafterin zwischen 2018 und 2023 in der US-Hauptstadt gedient hat, betonte, der Zugang zur US-Administration sei unter Trump erschwert gewesen. „Was uns gesagt wurde, konnte über Nacht zur Makulatur werden“, sagte sie. Das habe sich nach der Wahl Joe Bidens zum US-Präsidenten geändert, aber damit seien neue Hürden entstanden.
Deutsche Diplomaten hätten sich unter Trump in indirekten Gesprächen mit Senatoren, Experten und Denkfabriken über die US-Außenpolitik informieren müssen. Die Pandemie habe diese Bemühungen zusätzlich eingeschränkt. Gleichzeitig seien die internen Erörterungen in den USA über Afghanistan sehr intensiv und kontrovers gewesen.
Haber wies darauf hin, dass der Zustand der Beziehungen mit Blick auf Afghanistan auf beiden Seiten unterschiedlich wahrgenommen worden sei. In Berlin sei der Eindruck entstanden, die USA treffe intransparente Entscheidungen, während die US-Amerikaner immer der Meinung waren, sie hätten „uns bestens informiert“. Die Zeugin sprach oft von einem „Disconnect“.
Sie habe damals in den Gesprächen den Eindruck gewonnen, dass auch Präsident Biden die Entscheidung seines Vorgängers, aus Afghanistan abzuziehen, nicht ändern würde. „Es gab gute Gründe anzunehmen, dass der künftige Präsident an der Entscheidung festhalten würde“, sagte sie. „Wir alle wussten, wie der damalige Vize-Präsident öffentlich damit umgegangen war. Er hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass er da rausgehen wollte.“
Dennoch habe sich die neue Administration ernsthaft bemüht, alle Optionen in Erwägung zu ziehen, berichtete Haber. Vor seiner endgültigen Entscheidung habe Biden sogar ausdrückliche Kritiker eines Abzugs in den Prozess einbezogen: „Es mussten alle Fakten, aber auch die Kritik berücksichtigt werden.“ Bis zur Entscheidung hätten die US-Amerikaner auch stets von einem konditionsbasierten Ansatz gesprochen. Aus Sicht Bidens habe es jedoch immer zwei Optionen gegeben: Eskalation oder Abzug. Er habe seine Entscheidung vor dem Hintergrund der Annahme getroffen, dass ein Verbleib in Afghanistan nicht nur Gewalt provozieren, sondern auch mehr Truppen erfordern würde.
Die deutsche Botschaft in Washington D.C. habe der Bundesregierung in Berlin nicht berichtet, dass es unvermeidlich zu einem „worst case“ kommen würde, erzählte Haber, fügte aber sogleich hinzu, dass sie eher von „erratischen Signalen“ berichtet und darauf hingewiesen hätten, dass der Präsident eine lange Geschichte mit Afghanistan habe.
Sie berichtete weiter, wie widersprüchlich die Informationen am 14. August 2021 gewesen seien, jedem Tag, an dem Kabul von Taliban eingenommen wurde. Als aus Berlin die Nachricht gekommen sei, aus Kabul werde berichtet, dass die Amerikaner ihre Botschaft evakuierten, habe sie gleich das State Department angerufen. Ihr Gesprächspartner habe ihr mitgeteilt, es fände eine Sitzung im Weißen Haus statt und am Ende werde sie umgehend informiert.
Nach der Sitzung sei sie tatsächlich angerufen worden. Man habe ihr ausdrücklich gesagt, dass die Botschaft der USA nicht gänzlich evakuiert werde, sondern eine Kernmannschaft weiterhin bleibe. Die endgültige Evakuierung sei für das Monatsende geplant. Zu diesem Zeitpunkt habe sie nicht gewusst, dass die US-Truppen die „Green zone“ in Kabul, in dem sich auch die deutsche Botschaft befand, bereits verlassen hatten. Sie habe erst am Morgen des 15. August erfahren, dass die US-Botschaft evakuiert wurde. „Die Informationen aus Kabul korrespondierten nicht mit dem, was mir in Washington D.C. gesagt wurde“, unterstrich Haber.
Als zweiten Zeugen befragte der Ausschuss einen Soldaten, der beim Bundesnachrichtendienst (BND) offene Quellen bewertet hat. Nachdem feststand, dass dieser Zeuge entweder in den entscheidenden Tagen nicht im Dienst war oder sich an die meisten Vorgänge nicht erinnern konnte, beendete der Ausschussvorsitzende Ralf Stegner (SPD) die letzte Sitzung dieses Jahres. Der Ausschuss wird seine Arbeit in 2024 mit der Befragung von überwiegend politischen Entscheidungsträgern fortsetzen.