Expertendiskurs um Füllstandsvorgaben für Gasspeicher
Berlin: (hib/HAU) Das Vorhaben der Bundesregierung, die im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) geregelten Füllstandsvorgaben für Gasspeicheranlagen bis 1. April 2027 zu verlängern, wird von Sachverständigen unterschiedlich beurteilt. Das wurde am Mittwoch während einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Klimaschutz und Energie zum Entwurf für ein zweites Gesetz „zur Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes“ (20/9094) deutlich. Positiv bewertet wurde die geplante Verlängerung der temporären Höherauslastung des Höchstspannungsnetzes bis 31. März 2027. Kritik gab es hingegen an der vorgesehenen Einführung eines Ausspeicherverbots für Speichernutzer bei Unterschreitung der gesetzlichen Füllstandsvorgaben ab April 2024.
Diskutiert wurde bei der Anhörung auch über eine Formulierungshilfe für einen Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen bezüglich einer Änderung des Herkunftsnachweisregistergesetzes. Dabei wurde die Schaffung eines solchen Registers grundsätzlich begrüßt. Zugleich sahen einzelne Sachverständige noch Anpassungsbedarfe und bemängelten den mit den Herkunftsnachweisen verbundenen bürokratischen Aufwand.
Tetiana Chuvilina, Leiterin Politik beim Übertragungsnetzbetreiber Tennet TSO GmbH, begrüßte die Verlängerung der temporären Höherauslastung des Höchstspannungsnetzes. Allein im Jahr 2023 seien so die Redispatchkosten für Ausgleichsmaßnahmen zum Engpassmanagement um 25 Prozent reduziert worden. Das seien 1 bis 1,5 Milliarden Euro pro Jahr. Angesichts der hohen Netzentgelte müssten alle Maßnahmen zur Senkung ergriffen werden. „1,5 Milliarden Euro pro Jahr sind da schon eine große Hausnummer“, sagte Chuvilina.
Die Regelung helfe auch bei Großstörungen, „weil wir so Lastabschaltungen minimieren können“. Auf Nachfrage räumte Chuvilina ein, dass eine Höherauslastung auch mit Netzverlusten verbunden sei. Diese Kosten seien aber wesentlich geringer als die Einsparungen beim Redispatch.
Aus Sicht von Sebastian Heinermann, Geschäftsführer der Initiative Energien Speichern (Ines), haben die Vorschläge der Bundesregierung zur Änderung des Gasspeichergesetzes nicht das Potenzial, um die Versorgungssicherheit weiter zu verbessern. Das vorgeschlagene Ausspeicherverbot könne sich sogar negativ auf die marktwirtschaftliche Speichernutzung und damit auf die Sicherheit der Gasversorgung auswirken, befand er. Heinermann machte deutlich, dass auch in diesem Jahr die Gasspeicher zu 100 Prozent gefüllt seien, ohne das staatliche Maßnahmen nötig gewesen seien. „Wir sollten nicht den Fehler machen, die Prozesse aus dem Krisenfall zu Lasten des Normalfalls zu optimieren“, sagte der Ines-Geschäftsführer.
Auf klare Ablehnung stieß bei ihm das geplante Ausspeicherverbot bei Unterschreitung der gesetzlichen Füllstandsvorgaben ab dem 1. April 2024. „Speicherkunden buchen keine Kapazitäten, die sie nicht benutzen dürfen“, sagte Heinermann.
Füllstandsvorgaben seien „richtig und wichtig“, sagte Timm Kehler, Vorstand im Verein Zukunft Gas und Geschäftsführer der Zukunft Gas GmbH. Beachtet werden müsse aber, dass hinter den Speichern betriebswirtschaftlich agierende Unternehmen stünden. So stärke das Gesetz in einer Notlage die Versorgungssicherheit, mindere aber die wirtschaftliche Attraktivität der Speicher, „da die Vermarktung der Kapazität eingeschränkt wird“.
Kehler forderte zudem dazu auf, zwischen Kavernen- und Porenspeichern zu differenzieren. Letztere verfügten technisch bedingt über vergleichsweise geringe Ausspeicherraten, sodass die zum 1. Februar vorgesehene Reserve von 40 Prozent „gar nicht mehr vollständig in der verbleibenden Heizperiode entnommen werden kann“. Ein Teil des Arbeitsgasvolumens bleibe dauerhaft im Speicher gefangen und könne nicht mehr genutzt werden. So wirke die Regelung kontraproduktiv und entziehe dem Markt nutzbare Gasmengen für den Winter, sagte er.
Sebastian Kemper, Geschäftsführer der Trading Hub Europe GmbH (THE), die als Marktgebietsverantwortlicher das deutsche Gasversorgungsnetz koordiniert, begrüßte die Regelungen vollumfänglich. Durch die vorgeschriebenen Speicherfüllstände werde sichergestellt, dass die deutschen Speicher bestmöglich gefüllt werden, um die Gasversorgung optimal abzusichern. Positiv herauszustellen sei, dass das Gesetz die Verantwortung für die Sicherstellung der Versorgungssicherheit eindeutig adressiere, „aber keine Eingriffe in den Markt vorsieht, solange dieser funktioniert“.
Ein Auslaufen des Gesetzes im Jahr 2025, wie ursprünglich geplant, würde laut Kemper zu einer Situation wie vor der Krise führen, „in welcher es weder Füllstandsvorgaben noch einen eindeutig benannten Verantwortlichen für die Sicherstellung der Versorgungssicherheit gibt“. Dies sei jedoch nicht erstrebenswert. Eine klare Zuweisung der Verantwortung für den Fall einer auch noch so unwahrscheinlichen Krise erachte er als „zwingend notwendig“.
Gerald Linke, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches (DVGW) begrüßte die Änderung des Herkunftsnachweisregistergesetzes (HkNRG) zur vollständigen Umsetzung der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie (RED II), und um die benötigte Rechtsgrundlage für nachgelagerte Rechtsverordnungen zu schaffen. Der Aufbau eines Herkunftsnachweisregisters sei von hoher Bedeutung, um den Handel und Import mit Wasserstoff und seinen Derivaten zu ermöglichen und Endverbrauchern den Bezug von klimafreundlichem Gas zu garantieren, sagte er.
Ein wichtiger Aspekt für den Markthochlauf von Gas, das aus oder auf Basis von erneuerbaren Energien erzeugt wurde, sowie von kohlenstoffarmen Gas sowie den Handel mit Herkunftsnachweisen sei der bilanzielle Gas-Bezug, sagte Linke und forderte entsprechende Präzisierungen innerhalb des Entwurfs der HkNRV, „um etwaigen Unsicherheiten, insbesondere auf Investorenseite entgegenzuwirken“.
Maximilian Rinck, Abteilungsleiter Handel und Beschaffung beim Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), kritisierte, dass für die Herkunftsnachweise „nach wie vor kein signifikanter Nutzen ersichtlich ist“. Gemäß dem Gesetz dienten sie lediglich dem Nachweis der Erneuerbaren-Eigenschaft, seien aber bislang nicht für den Nachweis einer mengenmäßigen Zielanrechnung - etwa aus Verpflichtungen beim Gebäudeenergiegesetz (GEG) - oder einer mengenbezogenen Förderung vorgesehen und generierten damit keinen Mehrwert. „Damit wird eine Chance vergeben, Herkunftsnachweise für den Aufbau eines liquiden Marktes für erneuerbare und dekarbonisierte Gase zu nutzen“, sagte Rinck.
Gleichzeitig drohten die zu engen Vorgaben im Wärmebereich Entwicklungen im Sinne des Klimaschutzes zu blockieren. Der Entwurf stelle gleichzeitig umfangreiche Ansprüche an die Ausstellung der Herkunftsnachweise, welche mit erheblichem bürokratischem Aufwand einhergingen, sagte der BDEW-Vertreter.
Bei einer Verlängerung bis April 2027, so sagte Andreas Schröder, Head of Energy Analytics (Quantitative) bei Independent Commodity Intelligence Services (ICIS), liefen die Vorgaben in Deutschland zeitlich nicht mehr synchron mit anderen EU-Ländern. Dadurch könne es zu Marktverzerrungen im EU-Binnenmarkt für Gasspeicher kommen.
Füllspeichervorgaben sind aus seiner Sicht ein weitreichender Eingriff in den Markt. Er könne obsolet oder sogar hinderlich werden, „wenn sich die Rahmenbedingungen des Marktes ändern“. ICIS erwarte in seinen Prognosen eine Lockerung der Marktentwicklung im globalen LNG-Markt schon im Verlaufe des Jahres 2025 und noch stärker im Jahre 2026, sagte er. Es gebe eine Vielzahl an Export-LNG-Anlagen, die 2025 und 2026 neu an den Markt drängten, was zu einem Überangebot führen und sich in günstigen Preisen niederschlagen könne. In dem Fall sei die Marktsituation vollkommen anders als in den Knappheitsjahren 2022 und 2023. „Wenn Flüssiggas günstig und ausreichend verfügbar wird, so sind Füllstandsvorgaben weniger wichtig für die Versorgungssicherheit“, sagte Schröder.