Experten: Hohe Mehrwegquote beachten
Berlin: (hib/NKI) Die Auswirkungen der EU-Verpackungsverordnung und die Stärkung der in Deutschland bereits existierenden Rücknahmesysteme für Mehrweg- und Einwegverpackungen sowie eine Warnung vor „überbordenden Governance-Strukturen“: Das waren am Mittwochvormittag Themen einer Öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz.
Auf Verlangen der CDU/CSU-Fraktion kamen die Pläne der EU-Kommission und die nationale Umsetzung der Verordnung über Verpackungen und Verpackungsabfälle zur Sprache. Der Antrag (20/8859) von CDU/CSU fordert bei den Verhandlungen über die EU-Verordnung für Verpackungen und Verpackungsabfälle einen technologieoffenen Ansatz und zudem, mit Blick auf kleine und mittlere Unternehmen auf „möglichst bürokratiearme Regelungen“ hinzuwirken. Die EU will im Rahmen des „New Deal“ die seit 1994 geltende Verpackungsrichtlinie ablösen. Die Regelungen der geplanten Verordnung sollen ab 2025 in allen europäischen Staaten gleichermaßen gelten. Übergeordnetes Ziel ist es, die Verpackungsabfälle um 15 Prozent pro Mitgliedstaat und Kopf bis zum Jahr 2040 im Vergleich zum Jahr 2018 zu verringern. Dazu schlägt die EU-Kommission mehrere Maßnahmen vor: Beispielsweise sollen Unternehmen den Verbrauchern einen bestimmten Prozentsatz ihrer Produkte in wiederverwendbaren oder nachfüllbaren Verpackungen anbieten, geplant ist auch das Verbot bestimmter Einwegverpackungen für Lebensmittel und Getränke, die in Restaurants oder Cafés verzehrt werden.
Kay Ruge, Dezernent beim Deutschen Landkreistag, ist gegen pauschale Mehrwegquoten, sie könnten seiner Meinung nach negative ökologische Auswirkungen haben. Der Hintergrund: Die EU macht nun Vorgaben für feste Mehrwegquoten. „Wir regen an, im weiteren Verfahren genau zu hinzuschauen“, sagte Ruge. Im Sinne einer europäischen Abfallhierarchie müsse aber eine Vermeidung von Abfällen zentrales Ziel aller Maßnahmen sein, um die vorhandenen Ressourcen möglichst effizient nutzen zu können. Dies gelte insbesondere für Verpackungen und vor allem für solche, die nicht oder nur schwer recycelbar sind. Mit den Vorgaben, ausschließlich erforderliche Mengen an Verpackungen zu benutzen oder gar auf Mehrwegsysteme zurückzugreifen, könnten eine erhebliche Entlastung der Abfallentsorger erreicht und positive Umweltergebnisse erzielt werden.
Peter Kurth, geschäftsführender Präsident beim Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft (BDE), richtete einen dringenden Appell an die Bundesregierung, den Verordnungsvorschlag der Europäischen Union zu unterstützen und sich für einen zügigen Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens noch in dieser Legislaturperiode einzusetzen. Damit pflichtet der BDE den Forderungen aus dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion bei. „Wir unterstützen ausdrücklich die Rechtsform der geplanten EU-Verordnung“, sagte Kurth. Sie sei erforderlich, um die von den EU-Mitgliedstaaten im Laufe der Zeit auf Grundlage der bisherigen Verpackungsrichtlinie etablierten zahlreichen unterschiedlichen nationalen Regelungen zum Umgang mit Verpackungen und Verpackungsabfällen zu vereinheitlichen. Die unterschiedlichen Regelungen führten zu einem erheblichen administrativen und logistischen Aufwand für Unternehmen und behinderten den Aufbau einer gesamteuropäischen hochwertigen Infrastruktur für Verpackungskreisläufe.
Tom Ohlendorf, Experte für Verpackungen beim WWF Deutschland, warnte vor einer weiter steigenden Zahl von Verbundverpackungen. Diese Verpackungen könnten „nicht, beziehungsweise nur unter hohem Aufwand und hohen Kosten, recycelt werden“. Anstatt sich zu überlegen, wie eine immer größere Menge an Verpackungen recycelt werden kann, „müssen Verpackungen vermieden werden“, sagte Ohlendorf. Dazu sei eine konsequente Umstellung nötig und auch eine Stärkung der Kreislaufwirtschaft.
Dirk Textor, Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung e. V. (bvse), unterstrich die Notwendigkeit, Rezyklate stärker als bisher in den Verbrauch einzubeziehen, da die Abfallmengen in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter zugenommen hätten. Aus diesem Grund sei es unausweichlich, sich Gedanken darüber zu machen, wie recycelte Kunststoffe eingesetzt werden könnten. Rezyklate einzusetzen, bewirke Rohstoffeinsparungen. Vor allem im Bereich der Verpackungen müsse sehr viel stärker als bisher der Einsatz dieser Produkte mitgedacht werden.
Isabell Schmidt, Industrievereinigung Kunststoffverpackungen (IK), warnte vor zu starken Regulierungsversuchen bei Kunststoffverpackungen. Die Branche sei längst dabei, den Gedanken der Kreislaufwirtschaft umzusetzen. Die von der EU vorgelegte Verpackungsverordnung drohe bei Umsetzung zu einem „Bürokratiemonster“ zu werden. Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion biete weitere sinnvolle Ergänzungen. Deshalb sei es wichtig, dass der nationale Gesetzgeber diese aufnehme und pauschale Verbote für Kunststoffverpackungen bei Einwegprodukten ablehne.
Tobias Bielenstein, Leiter Public Affairs bei der Genossenschaft Deutscher Brunnen (GDB), gab zu bedenken, dass in manchen EU-Ländern und vor allem in Deutschland der Anteil der Mehrwegquote im Bereich der Getränkewirtschaft bereits sehr hoch sei. Eine Steigerung der Mehrwegquote bei Bier halte er für nicht realistisch. „Ich erwarte nicht, dass die Mehrwegquote in diesem Bereich in Deutschland weiter steigt“, sagte Bielenstein. Vielmehr sei die Verlagerung der Einkaufsstätten mit einer strukturellen Verlagerung der Produktion auf Kosten der heute überwiegend regionalen Getränkehersteller zu befürchten. Zudem sei zu befürchten, dass die Resilienz der deutschen Getränkewirtschaft in puncto Versorgungssicherheit geschwächt würde, die heute durch eine dezentrale Struktur bestehe.
Auch Alexander von Reibnitz, Geschäftsführer von Die Papierindustrie, verwies auf die hohe Quote der Wiederverwertung. „Verpackungen aus Papier werden in Deutschland zu 85,1 Prozent recycelt und erfüllen damit bereits heute die für 2030 vorgegebene Zielquote von 85 Prozent“, betonte von Reibnitz. Die Altpapiereinsatzquote liege in Deutschland bei 79 Prozent. Diese ökologischen Erfolge der Kreislaufwirtschaft für Papier-, Pappe- und Kartonverpackungen müssten bei allen neuen Gesetzesvorhaben auf nationaler wie auf EU-Ebene „unbedingt berücksichtigt werden“, sagte er.
Barbara Metz, Bundesgeschäftsführerin der Deutsche Umwelthilfe (DUH), sieht zwar die positiven Ergebnisse in den Bereichen Mehrwegflaschen und Papierverpackungen, jedoch gelte es „die Mehrwegquoten auch in anderen Bereichen weiter zu stärken“. Die DUH fordere deshalb ein generelles Verbot von Einwegverpackungen für den Vor-Ort-Verzehr in der Gastronomie und die verpflichtende Einführung von Pfandsystemen für Einweggetränkeverpackungen EU-weit. Deutschland solle seine Vorreiterrolle nutzen, um sich in den Verhandlungen um die EU-Verpackungsverordnung mit seiner Expertise für ambitionierte rechtliche Rahmenbedingungen und für eine wirksame Mehrwegförderung einzusetzen. Da die Maßnahmen des EU-Verordnungsentwurfs nur mit etwa 60 Prozent zur Erreichung der Abfallvermeidungsziele beitragen könnten, seien die Mitgliedsstaaten in der Pflicht, weitere Maßnahmen zu ergreifen, um Verpackungsabfälle zu reduzieren.
Claas Oehlmann, Executive Director bei der Initiative Circular Economy beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), gab zu bedenken: Wer mehr Kreislaufwirtschaft wolle, der müsse einheitliche Regeln für den Binnenmarkt und auch auf EU-Ebene schaffen. Dazu brauche es „praxistaugliche und vollziehbare Regeln“, sagte Oehlmann. Neben Verpackungen für Konsumenten gelte es auch für die industriellen und gewerblichen Verpackungen ein EU-weit gültiges System zu schaffen. Die EU habe in dem Entwurf nun vorgeschlagen, dass Verpackungen, die zwischen Unternehmen ausgetauscht werden, zu 100 Prozent wiederverwertbar sein sollten, was aber nicht umweltgerecht sei, weil es zu mehr Leerfahrten und höherem Treibstoff- und Wasserverbrauch führe. Oehlmann: „In einem Exportland wie Deutschland muss sich der Gesetzgeber für praxisgerechte Regelungen einsetzen.“