Gesetzliche Regelungen zur Barrierefreiheit gefordert
Berlin: (hib/HAU) Zur Herstellung von Barrierefreiheit braucht es aus Sicht von Sachverständigen gesetzliche Regelungen. Selbstverpflichtungen und weitere Aktionspläne reichten nicht aus, hieß es während einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion mit dem Titel „Mehr Tempo für Barrierefreiheit und einen inklusiven Sozialraum“ (20/4676) am Montagnachmittag.
Christiane Möller vom Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband sagte während der Anhörung, das Prinzip der Freiwilligkeit habe „jahrzehntelang“ nicht funktioniert. Es müsse also über gesetzliche Regelungen „mit angemessenen Übergangsfristen“ gesprochen werden, forderte sie. „Das Thema ist kein ,nice to have' für Menschen mit Behinderungen“, betonte Möller. Das Vorhandensein und die Nutzbarkeit einer barrierefreien Infrastruktur oder barrierefreier Produkte und Dienstleistungen sei entscheidend für die Frage: „Bin ich drin oder bin ich draußen in dieser Gesellschaft?“
Auf den vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) angestoßenen „Aktionsplan für ein diverses, inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen“ ging Janina Bessenich, Geschäftsführerin der Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie, ein. Sie kritisierte, dass die Beteiligung von Menschen mit Behinderungen an dem Prozess sehr beschränkt sei und sich das Vorhaben des BMG nur auf bestimmte Bereiche beschränke. Es habe zudem schon viele Aktionspläne gegeben, obwohl es eigentlich darum gehen müsse, „dass alle Gesetze im Bereich des BMG dafür sorgen müssen, dass Barrierefreiheit sichergestellt ist“.
Janina Jänsch vom Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen äußerte die Hoffnung, dass die Inhalte des Koalitionsvertrages zum Thema Barrierefreiheit zeitnah umgesetzt werden. Bislang seien mehrere Initiativen gestartet worden, auf deren Zwischenergebnisse sie gespannt sei. Aktuell erhalte ihr Bundesverband über den Deutschen Behindertenrat immer wieder Zwischeninformationen. „Wir würden uns auch sehr über Zwischenergebnisse freuen“, sagte sie.
Er sei ein Freund des Ordnungsrechtes, sagte Jonas Fischer vom Sozialverband Deutschland (VdK). Selbstverpflichtungen, egal ob in Sachen Mobilität, beim Bauen und Wohnen oder bei privaten Anbietern von Produkten und Dienstleistungen, reichten nicht aus. „Wir brauchen gesetzliche Regelungen“, betonte Fischer. Ein Mehr an Barrierefreiheit könne nicht länger warten.
Volker Sieger von der Bundesfachstelle Barrierefreiheit bei der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See erwartet noch in dieser Legislaturperiode „eine große Barrierefreiheitsreform“, ähnlich wie es im Koalitionsvertrag festgelegt sei. Zentrales Element müssten Verpflichtungen der Privatwirtschaft sein. „Ohne eine Barrierefreiheit bei Dienstleistungen und bei Produkten wird es keine gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen geben“, sagte er.
Dass die Handlungsfelder bei dem BMG-Aktionsplan ohne Beteiligung der Menschen mit Behinderungen vorgegeben worden seien, stieß auf Kritik von Anieke Fimmen vom Sozialverband Deutschland. „Wir hätten uns sehr gewünscht, an der Erarbeitung der Kriterien beteiligt zu werden“, sagte sie. Die Forderung nach mehr Beteiligung gelte aber für alle Prozesse zum Thema Barrierefreiheit.
Helmut Vogel vom Deutschen Gehörlosenbund schloss sich der Kritik an. Bei dem Prozess im BMG brauche es eine Steuerungsgruppe, an der der Behindertenrat beteiligt ist und die die Partizipation sicherstellt, sagte Vogel. Bei den Planungen gebe es noch viele Unklarheiten. Aus Sicht von Vogel wäre es richtig, noch mal von Grund auf anzufangen, um 2025 auch wirklich einen Aktionsplan zu haben.
Die derzeitige Möglichkeit, von der Umsetzungsfrist für eine vollständige Barrierefreiheit des ÖPNV abweichen zu können, ist nach Auffassung von Irene Vorholz vom Deutschen Landkreistag wichtig und sollte fortbestehen. In der Praxis lägen nach wie vor unverändert vielfach die Ausnahmetatbestände vor. Es sei von den Landkreisen als Trägern des ÖPNV nicht beeinflussbar, dass beispielsweise alle Haltestellen barrierefrei sind. Dies werde von anderen Trägern verantwortet.
Hartmut Reinberg-Schüller vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) forderte eine stärkere Bewusstseinsbildung aller Beteiligten bei Planungen und Umsetzung von baulichen Maßnahmen zur Barrierefreiheit. Schaue man heute auf teilweise ausgebaute barrierefreie Haltestellen sehe man, „dass dann das ein oder andere eben nicht barrierefrei ist“. Es mangle oft am Erfassen des Systems Barrierefreiheit, sagte er.
Der Einzelsachverständige Daniel Hlava, Professor für Gesundheits- und Sozialrecht an der Frankfurt University of Applied Sciences, verwies darauf, dass bereits heute die Versagung von angemessenen Vorkehrungen zum Teil als eine nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verbotene Diskriminierung angesehen werde. Eine ausdrückliche dahingehende Regelung im AGG wäre sehr zu begrüßen, befand er. Einer Übergangsfrist bedürfe es hingegen nicht. Es gehe schließlich darum, im Einzelfall geeignete Maßnahmen zu suchen und zu ergreifen, damit Menschen mit Behinderung die Überwindung noch bestehender Barrieren ermöglicht werde.
Eine inklusive Gesellschaft entstehe nicht von selbst, heißt es in der Stellungnahme des Einzelsachverständigen Eberhard Eichenhofer. Sie entstehe vor allem dann nicht, „wenn die bestehende Gesellschaft einzelne wie Gruppen wegen ihres Geschlechts, Alters, einer Behinderung, ethnischer Herkunft oder sexueller Orientierung tatsächlich die rechtlich gebotene Gleichbehandlung vorenthält“. Die Stellung von Menschen mit einer Behinderung müsse daher im Zeichen von Inklusion verbessert werden. Die Aufnahme des Begriffs „angemessene Vorkehrungen“ in das deutsche Recht würde aus seiner Sicht dazu entscheidend beitragen.