Kritik an Entwurf zur Inflationsausgleichs-Sonderzahlung
Berlin: (hib/MWO) Ein Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, der eine Inflationsausgleichs-Sonderzahlung für berufliche Betreuer, Betreuungsvereine und ehrenamtliche Betreuer sowie eine Änderung des Betreuungsorganisationsgesetzes vorsieht (20/8864) war Thema einer öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestages am Mittwoch, 8. November 2023. Der Entwurf wurde von den Sachverständigen aus der Betreuungspraxis und den Kommunalverbänden als „erster Schritt“ begrüßt, der aber bei weitem nicht ausreiche. Gleichzeitig warnten sie vor einer Schließungswelle bei den Betreuungsvereinen.
Der Entwurf sieht im Schwerpunkt die Schaffung einer zeitlich begrenzt wirkenden Sonderzahlung für einen wirksamen Inflationsausgleich vor, deren Höhe sich am Tarifabschluss für den öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen vom 22. April 2023 orientieren soll. Neben der Zahlung an berufliche Betreuerinnen und Betreuer solle auch eine Regelung geschaffen werden, die ehrenamtlichen Betreuerinnen und Betreuern eine Sonderzahlung zum Ausgleich inflationsbedingter Mehrkosten gewährt werden.
Thorsten Becker, Vorsitzender des Bundesverbandes der Berufsbetreuer und -betreuerinnen, erklärte in seiner Stellungnahme, der im Entwurf verfolgte Ansatz beinhalte eine Reihe von entscheidenden Schwächen. Unter anderem werde verkannt, dass Berufsbetreuer und -betreuerinnen aus einer eventuellen Vergütungsanpassung nicht nur ihre erhöhten Betriebsausgaben, sondern auch ihren persönlichen Lebensunterhalt bestreiten müssen. Der Verband bleibe daher bei seiner Forderung, den Inflationsausgleich durch eine Erhöhung der Vergütung um 19,3 Prozent zu gewährleisten.
Auch Hans-Josef Göers vom Betreuungsverein Hilfswerk Bremen für Menschen mit Beeinträchtigungen, der wie Becker von der CDU/CSU-Fraktion benannt wurde, betonte, dass die rechnerischen Umsetzungen dieser Kostenentwicklungen im Gesetzentwurf den gegenwärtigen Rahmenbedingungen in Betreuungsvereinen nicht gerecht würden. Aus seiner Sicht sei die rechtliche Betreuung strukturell unterfinanziert. Um die vorhandenen und bevorstehenden Kostensteigerungen auszugleichen, müssten die Fallpauschalen monatlich je Klient um rund 26 Euro erhöht werden. Eine Ausgleichszahlung in Höhe von 7,50 Euro decke weder die Kostensteigerungen noch die künftigen Tariferhöhungen.
Der von der FDP-Fraktion als Sachverständiger benannte Geschäftsführer des Bundesverbandes freier Berufsbetreuer, Klaus Bobisch, erklärte in seiner Stellungnahme, die Behauptung in dem Entwurf, es werde gewährleistet, dass die gestiegenen Kosten insbesondere in den Bereichen Personal, Mobilität sowie Miet- und Sachkosten ausgeglichen werden, treffe nicht zu. Die Verbände hatten bereits in ihren Stellungnahmen zu dem Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums darauf hingewiesen, dass eine Inflationsausgleichs-Sonderzahlung von monatlich 7,50 Euro nicht ausreiche.
Dr. Lydia Hajasch von der Bundesvereinigung Lebenshilfe, die auf Vorschlag der SPD zur Anhörung eingeladen wurde, verwies darauf, dass es vorrangiges Ziel der Betreuung sei, die Autonomie und Selbstbefähigung der betroffenen Personen zu erhalten. Eine entsprechende qualitative Betreuung müsse sich in einer angemessenen Vergütung widerspiegeln. Mittlerweile könnten aber sowohl die Personal- als auch die Miet- und Sachkosten von den Betreuungsvereinen nicht mehr finanziert werden. Die mit dem Entwurf vorgesehene Sonderzahlung eines Inflationsausgleiches schaffe lediglich einen Ausgleich für die gestiegenen Personalkosten. Ebenso erscheine die Weitergabe der Kostensteigerungen an die rechtlich betreuten Menschen fragwürdig.
Kerrin Stumpf vom Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen begrüßte die Sonderzahlung für die ehrenamtlichen Betreuer und die Betreuungsvereine. Die Stimmung unter den Ehrenamtlichen ist Stumpf zufolge angespannt. Ehrenamt sei keine Selbstverständlichkeit, es müsse daher gefördert werden. Die Sonderzahlung müsse allerdings sofort gezahlt werden, denn die Teuerungen lägen jetzt schon vor. Die Höhe der Sonderzahlung und die fehlende Bezugnahme auf das Arbeitgeberbrutto zeigten, dass auch in diesem Gesetzgebungsverfahren Betreuungsvereine in ihrer Struktur nicht wahrgenommen werden. Aus Sicht der Ehrenamtlichen sei auch die Entnahme aus dem Vermögen des Betreuten eine große Erschwernis, betonte die von der CDU/CSU-Fraktion benannte Sachverständige.
Markus Trude, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Betreuungsrecht des Deutschen Anwaltvereins, erklärte, bei der Ausgleichszahlung werde verkannt, dass Berufsbetreuerinnen und -betreuer anders als Angestellte auch erhöhte Kosten im Rahmen ihrer Selbständigkeit zu schultern hätten. Es handele sich also nicht um einen Inflationsausgleich, sondern allenfalls um einen Kostenausgleich. Für viele Berufsbetreuer und -betreuerinnen wäre das Einkommen dann nicht mehr über auskömmlich, so die von der Fraktion DIe Linke benannte Sachverständige.
Sabine Weisgram von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege erklärte, das gesetzgeberische Ziel, der existenzbedrohenden Notlage der Betreuungsvereine entgegenzuwirken, werde mit dem Entwurf nicht zu erreichen sein, da die hierfür verantwortlichen Probleme nicht gelöst würden, Auch bei Umsetzung des vorliegenden Entwurfes sei das wirtschaftliche Überleben der Betreuungsvereine weiterhin bedroht, so die von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vorgeschlagene Expertin. Deshalb müsse die Inflationsausgleichs-Sonderzahlung rückwirkend zum 1. Januar 2023 in Kraft treten, zum anderen müssten die Kostenbestandteile, die aus der Rolle als Arbeitgebende entstehen, in die Berechnung der Sonderzahlung einfließen.
Auch die kommunalen Spitzenverbände halten den Entwurf für nicht weitgehend genug. Ihnen ist Gelegenheit zur Teilnahme an Anhörungen zu geben, wenn ein Gesetzentwurf wesentliche Belange von Gemeinden und Gemeindeverbänden betrifft. Andrea Vontz-Liesegang vom Deutschen Städtetag erklärte, eine Inflationsausgleichs-Sonderzahlung für Betreuer und Betreuungsvereine sei ein erster Schritt in die richtige Richtung. Die vorgesehene Berechnung des Inflationsausgleichs entspreche allerdings noch nicht vollumfänglich den tatsächlich entstehenden Kosten der Betreuer und Betreuungsvereine. Es bestehe die Sorge, dass der Betreuermangel und der Rückzug von Betreuungsvereinen sich infolge der Belastungen weiter verstärken werden und die kommunalen Betreuungsstellen als Ausfallbürgen die Betreuungen führen müssten.
Für den Deutschen Landkreistag nahm Dr. Irene Vorholz an der Anhörung teil. Die vorgesehene Inflationsausgleichs-Sonderzahlung für ehrenamtliche Betreuer, Vereinsbetreuer und Berufsbetreuer könne die Kosten der beträchtlichen Inflationssteigerung abfangen, erklärte sie. Allerdings sei zu kritisieren, dass für ehrenamtliche Betreuer lediglich ein Betrag von 24 Euro jährlich vorgesehen sei. Zu hinterfragen sei auch, dass die Sonderzahlung erst ab 1. Januar 2024 vorgesehen ist. Da die Zahlung an den TVöD anknüpft und dieser bereits umgesetzt werde, sollte ein früherer Zeitpunkt beziehungsweise ein schnelleres Verfahren geprüft werden.
Die Anhörung im Video, die Sachverständigenliste und die Stellungnahmen der Sachverständigen auf bundestag.de: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2023/kw42-de-inflationsausgleichssonderzahlung-971420