Chancen und Hindernisse bei Modellprojekten „Smart Cities“
Berlin: (hib/VOM) Zu Stand und Perspektiven der von der Bundesregierung geförderten „Modellprojekte Smart Cities“ (MPSC) hat der Ausschuss für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen am Mittwoch in einer öffentlichen Anhörung Sachverständige befragt. Ziel der Modellprojekte ist es, in den Kommunen Digitalisierungsstrategien im Sinne einer nachhaltigen, integrierten und gemeinwohlorientierten Stadtentwicklung zu erarbeiten. Die Projekte haben eine Laufzeit von bis zu sieben Jahren. Dem Ausschuss lagen zum Thema Anträge der Unionsfraktion (20/6412) und der AfD-Fraktion (20/5618) vor. Der Unionsantrag fordert die Bundesregierung unter anderem auf, einen Smart-City-Stufenplan vorzulegen, der AfD-Antrag fordert die Ausarbeitung eines „nationalen Aktionsplans“.
Ariane Berger vom Deutschen Landkreistag sagte, die Potenziale der Digitalisierung könnten nur genutzt werden, wenn digitale Services, deren Entwicklung von der öffentlichen Hand finanziert wurde, flächendeckend allen Kommunen zur Verfügung stehen. In keinem der öffentlich finanzierten Digitalisierungsprojekte sei es bislang gelungen, eine derartige Nachnutzung zur Verfügung zu stellen. Die Nachnutzung scheitere häufig bereits technisch an der fehlenden Standardisierung dieser Services. Der Betrieb einer Nachnutzungsplattform sei jedenfalls in den ersten Jahren kein sich selbst tragendes Geschäftsmodell. Die Kommunen selbst verfügten nicht über die Mittel zur Finanzierung einer solchen Plattform.
Berger schloss daraus, dass das Design der Projekte nicht zum Bedarf der kommunalen Ebene passt. Um die Wirksamkeit seiner Digitalisierungsprojekte zu erhöhen, sollte der Bund ihrer Ansicht nach einen stärkeren Fokus auf digitale Infrastruktur legen, eine ressortübergreifende Steuerung dieser Projekte einrichten und die Kommunen bei der Nachnutzung begleitend unterstützen.
Alexander Handschuh vom Deutschen Städte- und Gemeindebund sagte, Smart Cities und Smart Regions könnten nur gut gelingen, wenn sie Unterstützung durch Bund und Länder erfahren. Man habe es mit sehr kurzen Innovationszyklen zu tun, das heißt, die in den Kommunen eingesetzten technischen Werkzeuge müssten in relativ kurzer Zeit nutzbar sein. Handschuh wies ferner auf die große Heterogenität der Kommunen hin, von Großstädten bis zu ganz kleinen Gemeinden.
Daraus folgt für ihn ein Beratungs- und Unterstützungsbedarf, der von einem „Kompetenzzentrum Smart Cities und Smart Regions“ abgebildet werden könnte. Dieses Kompetenzzentrum sollte eine Erstberatung der Kommunen im Hinblick auf Technik, Beschaffungsmöglichkeiten und Implementierung der Lösung, eine Vernetzung der Kommunen und einen Wissenstransfer leisten, und die Definition und Kontrolle sowie Nachvollziehbarkeit von Basisanforderungen an digitale Lösungen gewährleisten. Dazu gehören für Handschuh Datenschutz, Datensicherheit, offene Schnittstellen und Interoperabilitätsstandards.
Dieses Kompetenzzentrum sollte aus seiner Sicht auch den Einsatz von Lösungen sicherstellen, die kombinierbar und skalierbar sind, ohne notwendigerweise bereits ein abgeschlossenes Konzept „Smart Cities“ zu haben. „Smart Cities sollten zwar mit Anforderungen versehen, aber nicht am Markt vorbei entwickelt werde“, so Handschuh. Nur aus dem öffentlichen Sektor entwickelte Lösungen würden für eine sinnvolle Implementierung nicht ausreichen.
Steffen Heß vom Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering (IESE) sagte, die Ergebnisse der Modellprojekte müssten viel stärker sichtbar gemacht werden. Darüber hinaus sollte man seiner Ansicht nach diese Fördervorhaben stärker koordinieren. Einerseits sollten diese Projekte die Förderung von Lösungen berücksichtigen und etablierte Lösungen „in die Breite bringen“, andererseits sollten sich die Projekte auf Zukunftsthemen fokussieren. So bestünde die Chance, echte Reallabore zu etablieren und zu fördern. Diese „Satelliten“ könnten ein Smart-Cities-Kompetenzzentrum „mit Inhalten füttern“.
Heß begrüßte die zeitnahe Vorlage eines Smart-City-Stufenplans. Dabei sollte seiner Meinung nach auf konkrete Inhalte fokussiert werden. Das Kompetenzzentrum sollte einen klar definierten Auftrag haben, es sollte eine agile Einheit sein, die so viele Ressourcen wie nötig und möglich hat, um diese koordinierende Stellung einzunehmen. Er könne sich auch eine kuratierende Funktion vorstellen, so Heß, wobei allerdings stets darauf zu achten sei, dass existierende Angebote sinnvoll berücksichtigt werden müssten. Die „Stadt-Region“ müsse als interoperables System verstanden werden. Dies umfasse technische, menschliche und wirtschaftliche Systeme.
Frauke Janßen vom Deutschen Städtetag sagte, aus ihrer Sicht gebe es zu viele Reibungsverluste und Doppelarbeiten. Gebraucht werde ein integrierter Förderansatz. Maßnahmen sollten nicht mehr nach Ministerien oder Förderprogrammen, sondern thematisch beantragt werden können. Vernetzung und Nachnutzung müsse konsequent von Anfang an mitgedacht werden.
Daten seien die „Achillesferse“ von smarten Städten, betonte Janßen. Daher bauten viele Städte Datenplattformen auf oder hätten diese bereits. Es würden also technologische Richtungsentscheidungen getroffen. Aus Sicht des Städtetags fehle es dabei an Transparenz und Koordinierung. Janßen wünschte sich, dass der Bund dort mehr steuert, auch damit Städte mit vorhandenen Infrastrukturen diese auch anderen Kommunen zur Mitnutzung zur Verfügung stellen können. Auch spielten einheitliche Standards eine „enorm große Rolle“. Die Koordinierungs- und Transferstelle Modellprojekte Smart Cities (KTS) könnte dazu einen Beitrag leisten, so Janßen.
Matthias Kammer von „govdigital“ sagte, die verwendete Software werde meistens in der Kommune mit beteiligten Firmen entwickelt, um sie dort auszuprobieren und einzusetzen. Für die Nachnutzung solcher Software sollte aus seiner Sicht an der vorhandenen Infrastruktur angeknüpft werden. Es gebe viele kommunale Dienstleister, die meist an solchen Projekten noch nicht richtig beteiligt seien.
Vieles spreche dafür, in den Regionen dafür zu sorgen, dass diese Software zu Produkten wird, die dann auch vermarktet, vertrieben und anderen Kommunen zur Verfügung gestellt werden. „govdigital“ sei 2019 gegründet worden als Zusammenschluss von vielen kommunalen IT-Dienstleistern, der es ermögliche, dass innerhalb dieses Verbundes der Leistungsaustausch für Software möglich ist, ohne dass die Kommunen jeweils europaweit suchen müssten.
Professor Jörg Noennig (HafenCity Universität Hamburg) sagte, es gebe noch keine Smart-City-Science, man wisse noch nicht richtig, wie digitale Städte funktionieren, wie sie zu gestalten seien. Es fehle ein fundamentales Verständnis dafür, wie die digitalen urbanen Systeme integriert werden und welche Langzeitwirkungen die digitale Transformation im urbanen Kontext mit sich bringt. „Wir leben in digitalen Städten, aber wir haben keinen Smart-City-Führerschein“, so Noennig.
In den Modellprojekten werde viel Wissen entstehen, aber es sei nicht die Aufgabe der Kommunen, das Wissen zu generieren, das sei Aufgabe der Wissenschaft. Grundlagenforschung sei notwendig, um zu erkennen, wie die digitalen Städte funktionieren. Diese Grundlagen müssten übertragbar gemacht werden in die Planungsrealität, um dann die digitalen Städte mit kompetenten Experten ausstatten zu können, so Noennig.
Walter Palmetshofer von der Open Knowledge Foundation und dem Beirat des CityLAB Berlin trat dafür ein, die Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen. In der Smart City würden Daten generiert, daraus werde Wissen gemacht und im Idealfall Entscheidungen, die transparent getroffen werden sollten. Es gebe einen massiven Mangel an Personal, das die Städte voranbringen könnte, sagte Palmetshofer.
Michael Pfefferle, Bereichsleiter Smart City & Mobility beim Branchenverband Bitkom, sagte, in Deutschland gebe es immer noch keinen Plan für die flächendeckende Digitalisierung von Kommunen. In dem Smart-City-Stufenplan der Bundesregierung sieht er eine große Chance, weil er die Skalierung auf die Agenda setze. Wenige Kommunen würden durch mehrere Programme gefördert, der Großteil der Kommunen und Landkreise gehe damit leer aus.
Der Stufenplan ist aus seiner Sicht nur dann ein Erfolg, wenn seine Empfehlungen und Beschlüsse nachhaltig zur Skalierung, also zum „Roll-out“ in der Fläche, beitragen. Voraussetzung dafür sei, dass das Bundesbauministerium dem Stufenplan-Gremium zeitnah die Erkenntnisse aus den Modellprojekten Smart Cities vorlegt. Bundesweit verwendeten Kommunen Open-Source-Anwendungen. Die Modellprojekte zeigten jedoch, dass Open Source nicht automatisch zur stärkeren Skalierung führt. Open Source-Lösungen seien nur ein Teil des Marktangebotes und keine Voraussetzung für flächendeckende Digitalisierung in Deutschland.
Relevant für den Stufenplan sei daher, dass die Kommunen Wahlfreiheit haben, sich zwischen Software-Lizenzen zu entscheiden. Skalierung werde durch Tempo definiert. Im Fokus der Finanzierung müsse die Wiederverwendung von marktfähigen Lösungen stehen, betonte Pfefferle. Es brauche neue Formen der Dauerfinanzierung.
Professor Gesa Ziemer, Direktorin des City Science Labs der HafenCity Universität Hamburg, plädierte für eine offene Haltung für Experimentier- und Lernfreude. Motivierte kommunale Mitarbeiter kämen in ihr Lab und gingen dann wieder zurück in ihre Kommunen mit den Hierarchien, die nicht dazu motivierten, offen und angstfrei zu arbeiten. Es brauche eine Veränderung der Prozesse und vielleicht auch des Vergaberechts, sagte Ziemer.
Man könne derzeit kaum konkurrenzfähig arbeiten, es falle sehr schwer, überhaupt noch Programmierer zu bekommen. Man orientiere sich am öffentlichen Dienst, was ein „Riesenproblem“ sei, weil alle in der Wirtschaft viel mehr verdienten. „Das muss angepasst werden“, forderte die Professorin. Sie sei auch dafür, die Geodateninfrastruktur der Städte zu verbessern. Viele Daten lägen relativ unstrukturiert nebeneinander. Die Transferorganisation müsse gefördert werden, so Ziemer. Wenn das nicht passiere, lägen die Daten brach, wenn die Förderung zu Ende ist. Gut sei, dass die Arbeit am Stufenplan begonnen habe.
Tilman Zimmermann-Werner von der Sächsischen Energieagentur - Saene GmbH sagte, es gebe sehr gute inhaltliche Anknüpfungspunkte, beispielsweise bei der kommunalen Wärmeplanung, dem Einsatz erneuerbarer Energien oder bei der nachhaltigen Mobilität. Es gebe bereits bewährte Zusammenarbeit bundesweit zwischen den Energieagenturen bei verschiedenen Themen, aber auch mit der Deutschen Energieagentur. Damit seien Strukturen vorhanden, die gut genutzt werden könnten. Vor der Schaffung neuer Strukturen und Netzwerke sollte aus Sicht Zimmermann-Werners daher geprüft werden, ob nicht vorhandene Formate und Akteure thematisch erweitert und gestärkt werden können.
Eine große Rolle spiele bei Smart Cities die Akzeptanz, fügte Zimmermann-Werner hinzu. Vertrauen, Transparenz und ein klares Erwartungsmanagement seien Grundlagen, um das technisch Mögliche in das Machbare zu überführen. Hier sammelten die Energieagenturen umfangreiche Erfahrungen, etwa beim Ausbau der Windkraft oder bei intelligenten Verkehrssystemen.
Die Anhörung im Video und die Stellungnahmen der Sachverständigen auf bundestag.de: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2023/kw42-pa-wohnen-digitalisierung-nutzen-970200