Videokonferenzen in Gerichtsverfahren im Grundsatz begrüßt
Berlin: (hib/MWO) Um den Einsatz von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten ging es am Mittwoch, 18. Oktober 2023, in einer Öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses. Ein Gesetzentwurf der Bundesregierung (20/8095) sieht vor, die Durchführung von Videokonferenzen in der Zivilgerichtsbarkeit sowie in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, der Finanzgerichtsbarkeit, der Arbeitsgerichtsbarkeit und der Sozialgerichtsbarkeit weiter zu fördern. Dies wurde von den neun eingeladenen Sachverständigen grundsätzlich begrüßt. Kritisch hinterfragt wurden das Regel-Ausnahme-Verhältnis, die Geeignetheit für bestimmte Verfahren sowie die technischen Voraussetzungen. Darauf zielten auch die Fragen der Abgeordneten.
So veranschaulichte der Essener Rechtsanwalt Oliver Allesch anhand seiner Erfahrungen bei Zivilgerichten die Vorteile der Durchführung von Videoverhandlungen. Insbesondere in Verfahren ohne Beweisaufnahme sowie Verfahren ohne besondere emotionale Beteiligung der Parteien, frühe erste Termine und Durchlauftermine, sowie Verfahren, in denen es nur um Rechtsfragen gehe, sollten Verhandlungen per Bild- und Tonübertragung obligatorisch werden, erklärte Allesch, der von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eingeladen wurde, in seiner schriftlichen Stellungnahme.
Max Ehrl, Hauptgeschäftsführer der Bundesnotarkammer, sagte, in geeigneten Fällen könne die Zuschaltung von Verfahrensbeteiligten mittels Videokonferenz den Zugang zur Justiz erleichtern, für die Bürgerinnen und Bürger niederschwelliger ausgestalten, gerichtliche Verfahren beschleunigen und unnötige Reiseaufwendungen vermeiden. Eine zeitgemäße Digitalisierung rechtsstaatlicher Prozesse sollte sich aber nicht darauf beschränken, nur die verfahrensrechtlichen Grundlagen zu schaffen, sondern man müsse immer auch die technischen Umsetzung bedenken. Vor diesem Hintergrund erscheine ihm die verfahrensrechtliche Ausgestaltung zu unambitioniert, sagte Ehrl, der von der CDU/CSU-Fraktion eingeladen wurde.
Sabine Fuhrmann, die von der SPD-Fraktion eingeladene Vizepräsidentin der Bundesrechtsanwaltskammer, verwies darauf, dass in Deutschland nach wie vor ein Digitalisierungsdefizit bestehe, und es dringend notwendig sei, Gerichtsverfahren zukunftssicher zu gestalten. Die vermehrte Nutzung von Videokonferenztechnik lasse eine deutliche Beschleunigung der Verfahren erwarten, da nicht nur lange Anreisewege entfielen, sondern auch die Anzahl von Verlegungsanträgen rückläufig sein dürfte. Es gebe jedoch noch diskussionswürdige Punkte.
Auf Einladung der FDP-Fraktion stellte sich die Präsidentin des Deutschen Anwaltvereins, Edith Kindermann, den Fragen der Abgeordneten. Das Ziel des Entwurfs, den Einsatz von Videokonferenztechnik zu fördern und digitale Rechtsantragstellen einzuführen sei wichtig für den Rechtsstaat, betonte sie. Angesichts reduzierter Gerichtsstandorte sei es wichtig für Bürgerinnen und Bürger, aber auch für Anwälte, unmittelbar mit dem Gericht in Kontakt treten zu können. Elementar ist sei die technische und personelle Ausstattung der Gerichte. Gebraucht werde ein bundeseinheitliches Videokonferenzportal. Zudem müsse stets die Bedeutung der mündlichen Verhandlung im Auge behalten werden.
Auch Bettina Mielke, Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Nürnberg, hält den Entwurf für nachvollziehbar und grundsätzlich begrüßenswert. Doch sei die Videoverhandlung aus ihrer Sicht nicht immer ein vollwertiger Ersatz für eine mündliche Verhandlung in Präsenz. Ihr persönlicher Eindruck zeige, so die von der CDU/CSU-Fraktion eingeladene Richterin, dass die Nachfrage während der Hochzeiten der Pandemie am größten gewesen und seither eher wieder gesunken sei. Zu berücksichtigen sei zudem, dass der Entwurf den Einsatz von Videoverhandlungen und Videobeweisaufnahmen fördern wolle, Bund und Länder jedoch nicht verpflichtet würden, neue Videokonferenztechnik anzuschaffen.
Die auf Einladung der Grünen-Fraktion an der Anhörung teilnehmende Präsidentin des Oberlandesgerichts Celle, Stefanie Otte, erklärte, mithilfe der Videokonferenztechnik könne die mündliche Verhandlung zeitnah und mit geringem Aufwand durchgeführt werden. Voraussetzung sei dabei stets die Eignung des konkreten Einzelfalls. Es dürfe nicht unterschätzt werden, dass die Gerichtsverhandlung eine der wenigen Situationen sei, in denen Bürgerinnen und Bürger mit dem Staat in Kontakt kämen. Die Akzeptanz von Entscheidungen als wesentlicher Baustein eines funktionierenden Rechtsstaats sei aktuell von größter Wichtigkeit.
Lucia Rosenberger, Referatsleiterin beim Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbunds, begrüßte die Einführung einer eigenständigen Regelung für Videoverhandlungen in der Arbeitsgerichtsbarkeit, die auf deren Besonderheiten Rücksicht nehme und vorsehe, dass eine Videoverhandlung nicht durch den Vorsitzenden verpflichtend angeordnet, sondern nur auf Antrag eines Verfahrensbeteiligten oder von Amts wegen gestattet werden kann. Es dürfe keine Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses geben: Verhandlungen in Präsenz sollten die Regel, Videoverhandlungen die Ausnahme bleiben.
Wie Rosenberger war auch Bernhard Joachim Scholz vom Deutschen Richterbund, Richter am Bundessozialgericht, von der SPD-Fraktion eingeladen worden. Der Richterbund unterstützt Scholz zufolge die Intention des Gesetzentwurfs, die Durchführung von Videoverhandlungen im Sinne einer modernen, bürgerfreundlichen und effizienten Justizgewährung zu fördern. Videoverhandlungen würden sich in geeigneten Fällen durchsetzen und im gerichtlichen Alltag selbstverständlich werden, wenn alle am Verfahren beteiligten Akteure - einschließlich des Gerichts - sie als ideale Lösung ansähen. Vielerorts fehle jedoch noch eine ausreichende technische Ausstattung und das notwendige IT-Fachpersonal, erklärte Scholz.
Aus der Sicht von Robert Seegmüller, Vorsitzender des Bundes Deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen, Richter am Bundesverwaltungsgericht, entspricht das Ziel des Gesetzentwurfs der weiter fortschreitenden Digitalisierung in allen Bereichen des Rechts. Allerdings enge der Entwurf die Gerichte bei der Entscheidung über den Einsatz von Videokonferenztechnik zu stark ein. Das beeinträchtige die Fähigkeit der Gerichte, die Begegnung der Streitparteien im Einzelfall sachgerecht zu gestalten, erklärte der von der Unionsfraktion eingeladene Seegmüller. Auf eine gesetzliche Einengung des gerichtlichen Ermessens beim Einsatz von Videokonferenztechnik sollte daher ebenso wie auf ausdrückliche Begründungspflichten für die Entscheidung über ihren Einsatz verzichtet werden.
Wie die Bundesregierung in dem Entwurf schreibt, soll - um das Potential, das die heute verfügbare Videokonferenztechnik für eine bürgerfreundliche und flexible Verfahrensgestaltung biete, noch besser zu nutzen - über die mündliche Verhandlung hinaus in weiteren zivilprozessualen Verfahrenssituationen und bei anderen gerichtlichen Terminen die physische Präsenz an einem bestimmten Ort entbehrlich gemacht werden. Vor dem Hintergrund der zunehmend vorhandenen Videokonferenztechnik mit Aufzeichnungsfunktion soll laut Entwurf die vorläufige Protokollaufzeichnung künftig nicht nur in Ton, sondern auch in Bild und Ton möglich sein.
Dazu soll der Paragraf 128a der Zivilprozessordnung (ZPO) neugefasst werden. Künftig soll das Gericht (in Person der Vorsitzenden oder des Vorsitzenden) eine Videoverhandlung nicht mehr nur gestatten, sondern auch anordnen können. Dies erleichtere die Terminierung von mündlichen Verhandlungen und könne so zu einer Verfahrensbeschleunigung beitragen, heißt es in dem Entwurf.
Ferner ist vorgesehen, die Regelungen zur vorläufigen Protokollaufzeichnung zu erweitern. Zusätzlich zu der bereits zulässigen Tonaufzeichnung soll die Möglichkeit für das Gericht geschaffen werden, auch eine Bild-Ton-Aufzeichnung anzufertigen. Diese Aufzeichnungen sollen wie bisher die Grundlage für die Anfertigung des Protokolls über die mündliche Verhandlung und die Beweisaufnahme sein.
Schließlich solle die Möglichkeit geschaffen werden, sogenannte vollvirtuelle Videoverhandlungen in der Zivilgerichtsbarkeit zu erproben, bei der sich auch die oder der Vorsitzende nicht mehr im Sitzungssaal aufhält und eine Videoverhandlung beispielsweise auch aus dem heimischen Arbeitszimmer leiten kann.