Zielbild für zukunftsfähige Schieneninfrastruktur gefordert
Berlin: (hib/HAU) Für die dringend benötigte Modernisierung der Schieneninfrastruktur in Deutschland braucht es eine langfristig gesicherte und bedarfsorientiert dimensionierte Finanzierung sowie klare Zielsetzungen. In dieser Einschätzung waren sich die zu einer öffentlichen Anhörung des Verkehrsausschusses am Montag geladenen Sachverständigen einig. Die in der Novelle des Bundesschienenwegeausbaugesetzes (BSWAG) (20/8288) geplanten Regelungen reichen ihrer Ansicht nach aber nicht aus, obgleich die Finanzierungsoption, wonach der Bund nicht nur in Ersatzinvestitionen, sondern auch in Unterhaltung und Instandhaltung der Infrastruktur investieren darf, auf Zuspruch traf. Unterschiedlich bewertet wurde indes die geplante Schaffung der gemeinwohlorientierten Infrastruktursparte (InfraGo) unter dem Dach des Bahnkonzerns.
Zentrale Fragen zum Zielbild, zur verkehrspolitischen Steuerung und zur Finanzierung der InfraGo sind aus Sicht des Vereins Allianz pro Schiene noch ungeklärt und wurden bislang auch nicht ausreichend mit dem Bahnsektor, der Fachöffentlichkeit und den Parlamentariern in Bund und Ländern diskutiert, bemängelte dessen Geschäftsführer Dirk Flege. Die von der Beschleunigungskommission Schiene empfohlene weitergehende Lösung - die Schaffung und gesetzliche Verankerung von zwei Schieneninfrastrukturfonds - muss aus seiner Sicht unbedingt weiterverfolgt werden. Die Novelle des BSWAG bewertete er als sehr guten Einstieg in die Bahnreform 2.0. „Das darf aber nicht das letzte Wort sein“, fügte er hinzu.
Die geplante Verschmelzung der DB Station & Service AG mit der DB Netz AG sei kein Fehler, bringe aber für sich nur geringen Nutzen, befand Peter Westenberger, Geschäftsführer vom Netzwerk Europäischer Eisenbahnen (NEE/Die Güterbahnen). Warum die InfraGo unbedingt zum 1. Januar 2024 starten solle, obwohl es noch keine abschließende Regelung der Verfassung, Arbeitsweise, Transparenz, Erfolgsmessung und behördlichen Begleitung für sie gebe, bleibe unklar. Zu konstatieren sei, so Westenberger, dass die Bundesregierung die Strategie verfolge, den Auftrag des Koalitionsausschusses möglichst ohne Gesetzesänderungen umzusetzen. Angesichts der großen Reichweite der notwendigen Veränderungen auf dem Weg zu einer attraktiven und wachsenden Schieneninfrastruktur sei jedoch die Änderung vorhandener relevanter Gesetze eine Aufgabe, die des politischen und legislativen Engagements des Bundestages bedürfe.
Ähnlich sah das Matthias Stoffregen, Geschäftsführer des Vereins Mofair. Er kritisierte die fehlende Planungssicherheit. Der Bund lasse durch die bisherigen Formulierungen weiterhin eine Finanzierung von Ausbau und Erhalt der Schieneninfrastruktur „nach Kassenlage“ offen. Ohne weitere Gesetzesänderungen bestehe aber die Gefahr, dass zwar nominell mehr Geld für die Schiene zur Verfügung gestellt werde, dieses aber in einem ansonsten unzureichend reformierten, dysfunktionalen System gleichsam versickere. Zum jetzigen Zeitpunkt sei noch völlig unklar, wie die „sehr sinnvollen“ Maßnahmenvorschläge der Beschleunigungskommission Schiene vom Dezember 2022 umgesetzt werden sollen, sagte Stoffregen. Insofern wirkten eine Beschlussfassung zum BSWAG jetzt und die Implementierung der InfraGO völlig am Gesetzgeber vorbei. Offenbar solle lediglich der willkürlich gesetzte 1. Januar 2024 als Starttermin der neuen Infrastrukturgesellschaft gehalten werden, „unabhängig von inhaltlichen Fragen“.
Markus Ksoll, Leiter Wirtschaft, Politik und Regulierung bei der Deutschen Bahn AG (DB AG), attestierte indes der Bundesregierung ein stimmiges Gesamtkonzept zur Reform des Systems vorgelegt zu haben. Dazu gehöre die Sanierung der Hochleistungskorridore, Zukunftsbahnhöfe, Serviceeinrichtungen sowie wesentlich mehr Aus- und Neubau. In den letzten Jahren hätten die Regularien des BSWAG einer schnellen und zielgerechten Verwendung von Mitteln für Schienenprojekte häufig im Wege gestanden, befand Ksoll. Verfügbare Mittel hätten teilweise nicht rechtzeitig abgerufen werden können, während andere Projekte wegen fehlender Voraussetzungen in Verzug geraten seien. Der vorgesehene Anstieg des Maßnahmen- und Budgetumfangs mache eine Flexibilisierung der Finanzierungsregularien unumgänglich, so der Bahnvertreter. Die Änderung des BSWAG sei ein wichtiger Teil davon und setze zudem mehrere Vorschläge der Beschleunigungskommission Schiene um.
Es brauche eine überjährige Finanzierung für die Schieneninfrastruktur, sagte Sarah Stark, Hauptgeschäftsführerin beim Verband der Bahnindustrie in Deutschland (VDB). „Infrastruktur ist ein Dekadenprojekt“, sagte sie. Ein Projekt wie etwa den digitalen Knoten Stuttgart könne man schlecht in einem Haushaltsjahr bauen und abbilden. Um hier Verlässlichkeit für die Unternehmen bereitzustellen, brauche es eine Durchfinanzierung von Projekten. Dies gehe einher mit einer Zieldefinition, was mit den steigenden Investitionen eigentlich erreicht werden soll. Daraus müssten entsprechende Kennzahlen abgeleitet werden, „die uns helfen zu überprüfen, ob wir auf dem richtigen Pfad sind“, sagte Stark.
Die Monopolkommission hält weiterhin eine eigentumsrechtliche Trennung der Eisenbahninfrastruktur vom restlichen DB-Konzerns für vorzugswürdig, betonte deren Vertreter Torben Stühmeier. Andernfalls werde das Behinderungs- und Diskriminierungspotenzial des integrierten DB-Konzern gegenüber Wettbewerbern auf der Schiene weiterhin bestehen bleiben. Erst eine eigentumsrechtliche Trennung werde dafür sorgen, dass sich das Eisenbahninfrastrukturunternehmen allen Nutzern der Infrastruktur gleichermaßen verpflichtet fühlt. Dadurch werde das Gesamtsystem Schiene gestärkt und insgesamt mehr Verkehr auf die Schiene gebracht.
Der Vorsitzende der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), Martin Burkert, sprach sich hingegen dafür aus, den Konzernverbund der DB AG, einschließlich des Schienennetzes, zu erhalten. Daher sei der aktuelle Beschluss des Aufsichtsrats für die EVG ein akzeptabler Kompromiss. Gelöst würden die Kernprobleme des Schienenverkehrs in Deutschland dadurch allerdings nicht, sagte er. Auch blieben noch Fragen offen, die einzelne Konzerngesellschaften und die zukünftige Finanzarchitektur betreffen. Burkert verwies darauf, dass die aktuelle schwierige Situation der deutschen Bahnen „weder durch die integrierte Struktur der DB AG noch durch fehlenden intramodalen Wettbewerb verursacht wurde“. Sie sei vielmehr die Konsequenz verkehrspolitischer Fehler der vergangenen Legislaturperioden.
Roman Hebenstreit, Vorsitzender der Verkehrs- und Dienstleistungsgewerkschaft vida in Österreich, sieht einen integrierten Konzern ebenfalls als vorteilhaft an. Benötigt werde eine ausreichende und vor allem rechtzeitige Investition in die Infrastruktur, sowie in das rollende Material und das Personal - ebenso wie ein Controlling und eine Steuerung der Struktur. Hebenstreit sprach von einem österreichischen Weg des „nutznießerorientierten Finanzierungsansatzes“, der nicht im Sinne der Profitmaximierung gewählt worden sei, „sondern um die nachhaltige Entwicklung der Schieneninfrastruktur zu gewährleisten“. Erwirtschaftete Überschüsse flössen wieder in das System zurück. „Die stabile Finanzierung aus öffentlicher Hand bedeutet, dass Österreich pro Einwohner im Verhältnis zu Deutschland oder auch dem EU-Durchschnitt, dass dreifache an Finanzmitteln in die Schieneninfrastruktur investiert“, sagte er.
Das Video zur Anhörung und die Stellungnahmen der Sachverständigen auf bundestag.de: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2023/kw41-pa-verkehr-bahn-968304