Diskussion über Vorschläge zu EU-Reformen
Berlin: (hib/JOH) Der Europaausschuss hat am Mittwochnachmittag mit drei Teilnehmern der unabhängigen deutsch-französischen Expertengruppe zu institutionellen Reformen der Europäischen Union über deren Vorschläge diskutiert. Die zwölfköpfige Arbeitsgruppe war im Januar von Europa-Staatsministerin Anna Lührmann und ihrer französischen Amtskollegin Laurence Boone beauftragt worden und hatte am 19. September am Rande des Rats für Allgemeine Angelegenheiten in Brüssel ihren Bericht vorgelegt. Er umfasst unter anderem Vorschläge zur Sicherung der Rechtsstaatlichkeit und zum EU-Erweiterungsprozess.
Daniela Schwarzer von der Bertelsmann-Stiftung betonte in der öffentlichen Sitzung, die EU müsse sich auf die geplante Erweiterung um bis zu acht Staaten vorbereiten. „Erweiterung und Vertiefung müssen zusammengehen“, dies dürfe nicht auf die lange Bank geschoben werden, mahnte sie. Rechtsstaatlichkeit, demokratische Legitimation und Handlungsfähigkeit der Gemeinschaft müssten gestärkt werden, bevor die neuen Mitglieder beitreten, denn in einer erweiterten Union würden institutionelle Reformen noch schwieriger.
Warum das Thema Rechtsstaatlichkeit einen so zentralen Platz im Bericht der Arbeitsgruppe einnimmt, erklärte Thu Nguyen vom Jacques-Delors-Institut. „Rechtsstaatlichkeit ist die Basis für ganz praktische Fragen, wenn es um das Funktionieren der EU geht“. So könne der europäische Binnenmarkt nur funktionieren, wenn es in allen Mitgliedstaaten unabhängige Gerichte gebe. Auch die Verwendung von EU-Mitteln setze voraus, dass nationale Verwaltungen nicht durch Korruption unterwandert würden.
Die Arbeitsgruppe habe sich dagegen entschieden, bei schweren Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit den Ausschluss von Mitgliedstaaten zu empfehlen, erklärte Nguyen. Sie ziele stattdessen darauf ab, Anreize für Regierungen zu schaffen, sich an die rechtsstaatlichen Prinzipien zu halten. So sollte die Auszahlung von EU-Geldern noch stärker daran gebunden werden. Das mit dem Vertrag von Amsterdam 1997 eingeführte Verfahren zum Schutz der Grundwerte der EU nach Artikel 7 sollte zudem so ausgestaltet werden, dass ein Entzug von Stimmrechten im Rat im Falle von Verstößen auch durchgesetzt werden kann.
Nicolai von Ondarza von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) wies darauf hin, dass sich mit bis zu acht neuen Mitgliedern die Zahl der Sitze im Europäischen Parlament verdoppeln würde. Auch die Zahl der Kommissare und Kommissarinnen in der Europäischen Kommission würde entsprechend wachsen, womit sie nicht mehr handlungsfähig wäre. Die Arbeitsgruppe schlage deshalb vor, entweder ein Rotationsprinzip einzuführen oder die Hierarchie innerhalb der Kommission zu verstärken.
Für vielfache Nachfragen sorgte unter anderem der Vorschlag der Arbeitsgruppe, qualifizierte Mehrheitsentscheidungen nicht nur deutlich auszuweiten, sondern diese auch „neu auszubalancieren“ wie von Ondarza ausführte. Um die Interessen kleinerer Mitgliedstaaten zu wahren, könnten deren Stimmen stärker gewichtet werden als die von größeren.
Kontrovers diskutiert wurde auch der Vorschlag eines sogenannten Opt-Out bei Politikbereichen mit Mehrheitsentscheidungen. Es soll Mitgliedstaaten ermöglichen, sich daran aus Gründen des nationalen Interesses nicht zu beteiligen, was bedeute, dass die betreffenden Staaten auch nicht an die jeweiligen Entscheidungen gebunden wären, sagte von Ondarza. Seiner Ansicht nach braucht es ein „Committment auf oberster politischer Ebene, diese notwendigen Reformen parallel zum Erweiterungsprozess zu behandeln und zu vereinbaren“.