Kritik an geplanter Erweiterung der Lkw-Maut
Berlin: (hib/HAU) Mehrere Verbandsvertreter aus der Speditions- und Logistikbranche haben bei einer öffentlichen Anhörung des Verkehrsausschusses am Montag massive Kritik an der zum 1. Dezember 2023 geplanten Erhöhung der Lkw-Maut geübt. Die im Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung mautrechtlicher Vorschriften (20/8092) geplante Erweiterung der Lkw-Maut um eine CO2-Komponente sei ein „sinnloser Inflationstreiber inmitten einer Wirtschaftskrise ohne jede Lenkungswirkung“, sagte beispielsweise Dirk Engelhardt, Vorstandssprecher beim Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL).
Lob für den Gesetzentwurf gab es von Kim Kohlmeyer, Managerin E-Mobilität bei der Organisation Transport & Environment Deutschland. Mit dem Gesetz werde Deutschland seiner Vorreiterrolle in Europa und der Welt bei der Dekarbonisierung des Schwerlastverkehrs gerecht, befand sie. Peter Westenberger, Geschäftsführer beim Netzwerk Europäischer Eisenbahnen (NEE/DIE GÜTERBAHNEN), begrüßte, dass die Mautmehreinnahmen nicht wie in den vergangenen Jahren ausschließlich den Straßen, sondern auch der Schieneninfrastruktur zugutekommen sollen.
Mit dem Gesetzentwurf verdopple die Bundesregierung die Lkw-Maut nahezu und belaste Wirtschaft und Gesellschaft mit jährlich etwa 7,62 Milliarden Euro zusätzlich, sagte BGL-Vorstandssprecher Engelhardt. Gerade für kleine mittelständische Betriebe sei es nicht ohne Weiteres möglich, die Mehrkosten an die Auftraggeber weiterzugeben. Viele dächten daher über die Betriebsaufgabe nach, sagte der Verbandsvertreter.
Was die von der Bundesregierung erhoffte Lenkungswirkung hin zu mehr batterieelektrisch betriebenen Lkw angeht, so verwies Engelhardt darauf, dass aktuell 0,03 Prozent der täglich auf deutschen Straßen verkehrenden Lkw elektrisch unterwegs seien. Bis die Flotte von 800.000 Lkw ausgetauscht sei, brauche es noch ein paar Jahre. Aktuell seien E-Lkw auch bis zu 3,5-mal so teuer, wie ein Diesel-Lkw. Zudem gebe es aktuell keinen einzigen Mega-Charger, in der ein Lkw während der Lenkzeitunterbrechung zumindest so weit aufgeladen werden kann, dass er seine nächste Be- oder Entladestelle erreicht.
Eine „absolute Katarstrophe“ ist aus seiner Sicht der angedachte Starttermin am 1. Dezember dieses Jahres. Aufgrund bereits geschlossener Verträge könne die Mautsteigerung für den Monat Dezember vielfach nicht mehr berücksichtigt werden. Insofern sollte die CO2-Mauterhebung frühestens zum 1. Januar 2024 starten, sagte er.
Die CO2-Bepreisung erfordere realistische Alternativen für Unternehmen, ausreichende finanzielle Ressourcen für den Übergang zu emissionsfreien Technologien und einen angemessenen Planungsvorlauf für betriebliche Anpassungen, sagte Thomas Hansche, stellvertretender Vorsitzender des Bundesverbandes Logistik & Verkehr-pro. All diese Voraussetzungen seien aber gegenwärtig nicht erfüllt. Hansche forderte eine Verschiebung des Inkrafttretens der CO2-basierten Maut bis zum 1. Januar 2030 sowie die Gleichstellung biogener Kraftstoffe und E-Fuels mit emissionsfreien Fahrzeugen.
Die Mehrkosten in Höhe von 28 Milliarden Euro bis zum Jahr 2027 müssten im ersten Schritt in jedem Fall von den Transportunternehmern getragen werden, sagte Carsten Hansen, Leiter Grundsatzfragen und Innenstadtlogistik beim Bundesverband Paket und Expresslogistik (BIEK). In der Folge werde es aber eine Umlage auf die Verbraucher geben müssen. „Das ist ganz sicher“, sagte Hansen. Gleichwohl sei das gerade in der Paketbranche nicht so einfach. Gerade im Online-Handel gebe es große Handelsunternehmen, die mit dem Transport nichts verdienen müssten. Wenn nun die Bundesregierung in der Gesetzesbegründung von einer Transportkostensteigerung von lediglich 0,1 Prozentpunkten ausgehe, sei das sehr schädlich für die Bemühungen der Branche, kostengerechte Preise durchzusetzen. Beim BIEK, wie auch bei anderen Verbänden, gehe man von Kostensteigerungen in Höhe von vier statt 0,1 Prozent aus, sagte Hansen.
Frank Huster, Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband Spedition und Logistik (DSLV), verwies darauf, dass bis Ende dieses Jahrzehnts emissionsfreie Fahrzeuge flächendeckend nicht einsetzbar sein würden. Auch seien die Verladeoptionen auf das System Schiene begrenzt. Insofern werde die mit der Verdoppelung der bestehenden Mautsätze angedachte Lenkungswirkung zu diesem frühen Einführungszeitpunkt deutlich verfehlt. Huster kritisierte zudem die „einseitige technologische Festlegung auf batterieelektrische und brennstoffzellenelektrische Antriebe sowie Wasserstoffmotoren“. Der Einsatz fortschrittlicher biogener Kraftstoffe (HV100, Bio-LNG und Bio-CNG) und E-Fuels in Verbrennungsmotoren, der schnell und ohne technischen Umrüstaufwand CO2-Reduktionserfolge um bis zu 90 Prozent im Straßengüterverkehr realisieren könne, bleibe indes unberücksichtigt.
Kim Kohlmeyer von Transport & Environment Deutschland sieht den Einsatz solcher sogenannter „erneuerbaren Kraftstoffe“ als nicht mit den EU-Recht vereinbar an. Von ihrem Einsatz sei aber auch aus anderen Gründen dringend abzuraten. Erneuerbare Kraftstoffe, einschließlich fortschrittlicher Biokraftstoffe und strombasierter Kraftstoffe, würden auf absehbare Zeit knapp und teuer bleiben „und aufgrund von Nachhaltigkeitsaspekten nicht zur Verringerung der Emissionen beitragen“. Gleichzeitig würde eine Einbeziehung aus Sicht Kohlmeyers ihre dringend benötigte Verfügbarkeit für Sektoren wie die Schifffahrt, den Luftverkehr und die chemische Industrie erheblich beschränken. „Da, wo es möglich ist, muss elektrifiziert werden“, sagte sie.
Auch was die Verfügbarkeit von E-Lkw angeht, vertrat Kohlmeyer eine andere Ansicht als die Verbandsvertreter aus der Speditions- und Logistikbranche. Die europäischen Lkw-Hersteller, darunter Daimler, MAN, Scania und Volvo, konzentrierten sich darauf, Elektro-Lkw für alle Fahrzeugsegmente und ab 2024 insbesondere auch für den Fernverkehr auf den Massenmarkt zu bringen, sagte sie. Rund 30 emissionsfreie Lkw-Modelle sei bereits angekündigt, die bis 2025 in die Massenproduktion für den europäischen Markt gehen sollen.
Professor Matthias Knauff vom Lehrstuhl für Öffentliches Recht an der Friedrich-Schiller-Universität Jena bezweifelte hingegen, ob die mit dem Gesetz verfolgte Anreizwirkung kurzfristig erreicht werden kann. Eine Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene setze entsprechende Transportkapazitäten, der Einsatz emissionsfreier und damit klimafreundlicher Lkw deren Marktverfügbarkeit voraus. „Beides ist derzeit nur sehr eingeschränkt gegeben, so dass die klimapolitisch gewünschte Vermeidung höherer Mautkosten zumindest in naher Zukunft auf tatsächliche Grenzen stößt“, so Knauff. Damit erweise sich die Einführung einer CO2-Komponente zum aktuellen Zeitpunkt als „bloße Verteuerung des Gütertransports auf der Straße ohne Klimaschutzwirkungen“. Dies gelte umso mehr, als deren vorgesehene Höhe „erheblich und nicht europarechtlich bedingt ist“.
NEE-Vertreter Peter Westenberger sieht die Güterbahnen sehr wohl in der Lage, mehr Güterverkehr abzuwickeln. „Wir haben Verlagerungspotenzial“, sagte Westenberger. Schon in den vergangenen Jahren sei der Schienengüterverkehr prozentual stärker gewachsen als der Straßengüterverkehr. Seit 2010 habe es ein Wachstum von 29 Prozent gegeben, „obwohl immer gesagt wurde, die Eisenbahn kann gar nicht mehr fahren“. Westenberger sagte weiter, ein Marktanteil von 35 Prozent bis 2030 sei möglich. Heute liege der Marktanteil bei 20 Prozent. Eine solche Steigerung würde sich auch auf den Autobahnen in Form eines geringeren Anteils von Lkw bemerkbar machen, sagte er. Der limitierende Faktor für mehr und schnelleren Schienengüterverkehr sei die Infrastruktur. Daher müsse die dies betreffende Finanzierung deutlich verbessert werden.
Der Vorsitzende der Geschäftsführung des mit der Mauterhebung beauftragten Unternehmens Toll Collect, Gerhard Schulz, äußerte sich auf Nachfrage zur Möglichkeit, auch für Fahrzeuge ab 2,5 Tonnen Maut zu erheben. Die wesentliche Herausforderung für die Ausweitung sei die Beschaffung und Bereitstellung der On-Board-Units, der Lesegeräte. Mehr als eine Million solcher Geräte würden benötigt, sagte Schulz. Nach Einschätzung von Toll Collect sei die Ausweitung der Maut auf Fahrzeuge ab 2,5 Tonnen innerhalb von 24 Monaten „technisch und fachlich möglich“.