Fachgespräch über Jugendmigrationsdienste
Berlin: (hib/LL) Individuelle Beratung, eine Öffnung des deutschen Vereinswesens, aber auch eine ausgewogene Wohnungspolitik sind wichtige Bausteine, die jungen Menschen mit Migrationshintergrund eine soziale Teilhabe ermöglichen, betonten die Sachverständigen im Fachgespräch des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am Mittwochmittag zum Thema „Förderung der sozialen Teilhabe von Jugendlichen mit Migrationshintergrund“.
Individuelle Beratung und Begleitung für junge Menschen mit Migrationshintergrund, ergänzend zur Jugendsozialarbeit, bieten die deutschlandweit rund 500 Jugendmigrationsdienste im Rahmen des Kinder- und Jugendplans des Bundes, erläuterte Christiane Goldschmidt vom Jugendmigrationsdienst Barnim-Oberhavel. Mehr als 120.000 junge Menschen aus 180 Nationen seien 2022 beraten und in der Schule, bei der Ausbildung und in Behördenangelegenheiten unterstützt worden.
„Der Schlüssel meines Erfolges in Deutschland sind die richtigen Informationen, die ich zum richtigen Zeitpunkt erhalten habe“, berichtete sie von einem 2016 nach Deutschland gekommenen jungen Syrer. Das habe diesem als Geflüchtetem Türen geöffnet und einen passenden Bildungsweg ermöglicht. Genau an der Schnittstelle zur Schule setze der Jugendmigrationsdienst an. Meist werde die Organisation von der Schulsozialarbeit wegen eines neuen Falls kontaktiert.
So sei es auch bei Lana gewesen, die in der Schule nicht mehr mitkam, oft fehlte, weil sie zu Hause den Eltern helfen, für diese bei Arztbesuchen übersetzen musste. Man habe dann für die Eltern externe Hilfe organisiert, so dass sich die Tochter ganz auf die Schule konzentrieren und erfolgreich ihren Abschluss machen konnte. Sie habe inzwischen Aufenthaltsrecht erhalten und sei mittlerweile berufstätig.
Für Schülerinnen und Schüler beispielsweise in Willkommensklassen den passenden Bildungsbaustein zu finden, darum kümmere sich der Jugendmigrationsdienst. „Jugendliche treffen zu oft auf vorgefertigte, unflexible Strukturen, rechtliche Hürden“, sagte Goldschmidt. Die Folge seien unnötige Verzögerungen im Bildungsverlauf, Motivationsverlust und Desintegration.
Die Beratung der Jugendmigrationsdienste treffe auf eine sehr hohe Nachfrage - der Jugendmigrationsdienst Barnim-Oberhavel habe im vergangenen Jahr 500 junge Menschen beraten. Die Nachfrage könne man weiterhin nur erfolgreich bedienen, wenn sich genügend Fachkräfte fänden.
Soziale Teilhabe im außerschulischen Bereich von jungen Menschen mit Migrationshintergrund „heißt für uns mehr als nur die Teilnahme an Veranstaltungen, als nur der Zugang zu Bildungsräumen, sondern muss bedeuten, diese auch mitzugestalten“, sagte Robert Werner vom Jugendverband Deutsche Jugend in Europa Bundesverband e. V. Dabei spielten die Jugendverbände eine entscheidende Rolle, wo Selbstorganisation und gemeinschaftliche Gestaltung gelebt werde.
Für Jugendliche mit Migrationsgeschichte böten sich zwei Zugänge zur Teilhabe an der Gesellschaft: Indem sich die etablierten und tradierten Jugendverbände „diversitätssensibel“ öffneten und durch den Aufbau von Migrantinnenjugendselbstorganisationen (MJSO). „Beide Wege befruchten sich.“ Es gebe viele Kooperationen.
Im Gegensatz zu den MJSO bestünden im Vereinswesen noch eine Reihe von Zugangsbarrieren. Deren Freizeitangebote verstärkten sogar oft die soziale Differenzierung, wenn nicht aktiv dagegen vorgegangen werde. Kinder mit Migrationshintergrund seien seltener in Vereinen organisiert, es fehle dazu der familiäre Hintergrund wie bei deutschen Familien. Aber auch die Vereinsstrukturen und bestimmte Traditionen könnten für Außenstehende abschreckend oder befremdlich wirken. Es gelte zu hinterfragen, was vielleicht verändert werden müsse und ob die tradierten Verbandskulturen offen genug seien, um neue Zielgruppen zu erreichen, .
Werner berichtete dagegen von regelrechten Engagementkarrieren in MJSO, wo sich junge Geflüchtete im Zeitraum von ein, zwei Jahren vom einfachen Mitglied als Sprachmittler qualifizierten, dann eine Jugendleiterausbildung absolvierten und es schließlich bis hin zu einer Vorstandsposition geschafft hätten. In den etablierten Verbänden sei dies eher die Ausnahme.
Teilhabe bedeute aus der Perspektive der Jugendverbände, den jungen Menschen tatsächlichen Einfluss auf die Ausgestaltung von Angeboten, auf inhaltliche Fragen und auf die politische Agenda zu geben. „Die Jugendverbände sind per se inklusiv“, sagte Werner. Es gelte den Kindern Jugendlichen anhand von Vorbildern ihres Alters, die es schon geschafft haben, das Gefühl zu geben: Da kann ich auch dazu gehören. Kürzungen im Kinder- und Jugendplan hätten existenzielle Folgen Auswirkungen auf die MJSO. Diese hätten überproportional von der Bundeshilfe profitiert.
Jugendliche mit Migrationshintergrund fänden sich heute in allen Bevölkerungsschichten, sagte Regina Offer vom Deutschen Städtetag, eine solche Biografie sei nicht gleichzusetzen mit prekären Lebensverhältnissen. In jeder dritten Familie sei heute ein Elternteil mit ausländischem Pass anzutreffen. Wichtige Intgrationsschritte fänden auf kommunaler Ebene, in den Schulen und Vereinen statt, der Jugendmigrationsdienst spiele eine wichtige Rolle, ebenso eine frühe Sprachförderung und Angebote für Familien.
Allerdings stellten einkommensarme Familien auch bei den Migranten ein Problem dar, das sich an städtischen sozialen Brennpunkten, und in den Schulen dort, konzentriere und verstärke. Der sozialen Segregation müsse mit einer ausgewogenen Wohnungspolitik begegnet werden. Es brauche bezahlbaren Wohnraum in allen Stadtteilen.