Experten mahnen Entscheidungen über CO2-Abscheidung an
Berlin: (hib/PST) In einer öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Klimaschutz und Energie haben Experten auf politische Entscheidungen über die Speicherung und Nutzung von Kohlendioxid-Emissionen sowie den CO2-Entzug aus der Atmosphäre gedrängt. Gegenstand war ein Antrag der CDU/CSU-Fraktion (20/5350) mit dem Titel „CO2-Abscheidung und -Speicherung, CO2-Nutzung sowie Negativemissionen - Chancen für Klima, Industrie und Wohlstand“. Die Antragsteller gehen davon aus, dass ohne Speicherung oder Verarbeitung von Kohlendioxid-Emissionen keine Klimaneutralität bis 2045 erreichbar ist. Diese Einschätzung wurde von den meisten der geladenen Sachverständigen im Grundsatz geteilt.
Bei CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS) geht es darum, dass etwa in der Industrie entstehendes CO2 nicht in die Atmosphäre entweicht, sondern aufgefangen und in unterirdischen Lagern gespeichert wird. Bei der CO2-Nutzung (CCU) wird das aufgefangene Kohlendioxid wiederverwertet, etwa um daraus in Verbindung mit Wasserstoff Methan, also künstliches Erdgas, zu erzeugen. Mit Negativemissionen ist gemeint, dass der Atmosphäre CO2 entzogen wird, um es in Produkten zu verarbeiten oder in Form von Kohle zu lagern.
Jan-Justus Andreas, Geschäftsführer von Bellona Deutschland, einer gemeinnützigen GmbH, nannte die rechtzeitige Vorbereitung auf diese Technologien „unfassbar wichtig“. Denn auch nach 2050 werde es Industrien geben, bei denen CO2 anfällt. Beim Klimaschutz gebe es „keine niedrighängenden Früchte mehr“, deshalb müsse man sich nun auf sehr komplexe Themen vorbereiten und die Infrastruktur für den Umgang mit nicht vermeidbaren CO2-Emissionen schaffen.
Jens Schmidt, Chief Technology Officer der Firma Tree Energy Solutions, das an der Versorgung mit grünem Wasserstoff und anderen klimaneutralen Energieträgern arbeitet, warb für das Konzept eines CO2-Kreislaufs. Dabei wird aus grünem, also klimaneutral hergestelltem Wasserstoff und CO2 Methan erzeugt. Bei dessen Verbrennung oder Wiederaufspaltung entstehendes CO2 wird eingefangen und zurücktransportiert, um es wieder zur Flüssiggaserzeugung einzusetzen. Schmidt wies darauf hin, dass Deutschland trotz des Ausbaus erneuerbarer Energien weiter auf Energieimporte angewiesen sein werde. Dazu könne bei der angestrebten Lösung bereits vorhandene Infrastruktur genutzt werden.
Kay Ruge vom Deutschen Landkreistag, der auch für den Deutschen Städte- und Gemeindebund sprach, nannte die Schaffung eines solchen Kreislaufs sinnvoll. So sei bei der Verbrennung von nicht verwertbarem Restmüll unvermeidbar, dass CO2 anfällt. Den Transport und die Nutzung dieses Kohlendioxids halte sein Verband für unproblematisch.
Eine ganz andere Einschätzung gaben die beiden Sachverständigen von Umweltschutzverbänden. Nach Ansicht von Tobias Pforte-von Randow, Koordinator Politik und Gesellschaft beim Deutschen Naturschutzring, wird „das Pferd von hinten aufgezäumt“. Zunächst müsse alles getan werden, um Emissionen zu vermeiden.Dazu gehöre auch der Ersatz von Materialien, bei deren Herstellung CO2-Emissionen unvermeidbar sind, durch andere Materialien. Würde jetzt schon Infrastruktur für CCS und CCU aufgebaut, drohe ein „Pull-Effekt“, es würde also mögliche CO2-Vermeidung unterlassen, weil es diese Infrastruktur gibt.
Kerstin Meyer, Leiterin des Referats Wirtschaft und Finanzen der Umweltschutzorganisation BUND nannte Forderung nach CCU und insbesondere CCS „gefährlich“, weil sie in eine Sackgasse führe. Versuche mit der unterirdischen CO2-Speicherung in Norwegen und Australien hätten erhebliche und unerwartete Probleme hervorgerufen. CO2-Pipelines wiederum seien im Fall eines Lecks eine Gefahr für die Anwohner.
Für eine stärkere Förderung natürlicher CO2-Senken plädierte Franziska Tanneberger, Leiterin des Moor Centrum der Universität Greifswald. Sie begrüßte, dass die Bundesregierung vier Milliarden Euro für ein Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz bereitgestellt habe. Tanneberger verwies darauf, dass derzeit sieben Prozent der deutschlandweiten CO2-Emissionen aus trockengelegten Mooren entwichen. Bei der Wiederbewässerung von Mooren gehe es also zunächst darum, diese Emissionen zu stoppen.
Oliver Geden, Leiter des Forschungsclusters Klimapolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik, verwies darauf, dass das internationale Ziel einer Erderwärmung von maximal 1,5 Grad wahrscheinlich in der 2030er Jahren überschritten werde. Um sich längerfristig diesem Ziel wieder anzunähern, reichten CCS und CCU nicht aus. Vielmehr seien Negativemissionen notwendig, also der Entzug von Kohlendioxid aus der Atmosphäre.
Dem pflichtete Volker Thome vom Fraunhofer-Institut für Bauphysik bei. Er verwies auf bereits entwickelte Verfahren, unter Verwendung von CO2 Baustoffe herzustellen oder zu recyceln. Auch die Herstellung von Kunststoffen sei damit möglich. Die Anlagen dazu gebe es derzeit allerdings noch nicht im großtechnischen Maßstab.