Ex-Minister Fischer berichtet über Afghanistan-Einsatz
Berlin: (hib/LL) Ehemalige Regierungsmitglieder aus den Jahren 1998 bis 2018 haben der Enquete Kommission Afghanistan („Lehren aus Afghanistan für das künftige vernetzte Engagement Deutschlands“) in der letzten öffentlichen Anhörung vor der parlamentarischen Sommerpause am Montagnachmittag Rede und Antwort gestanden.
Dabei gaben die Bundesminister a.D. Joschka Fischer, Heidemarie Wieczorek-Zeul und Dr. Thomas de Maizière sowie der ehemalige Präsident des Bundesnachrichtendienstes, Gerhard Schindler, Einblick in die damaligen politischen Verantwortungsstrukturen.
Von der Dramatik rund um die Ereignisse des 11. September 2001 und der Logik der Bündnissolidarität aus seiner Perspektive als Außenminister (1998-2005) berichtete Joschka Fischer. Ein derartiger Anschlag auf die USA als der Schutzmacht Deutschlands, deren Hintermänner zuvor auch noch in Deutschland gelebt hatten: „Es war uns klar, dass wir in voller Solidarität mit dem Bündnis zu stehen haben“, erinnerte sich Fischer. Am 12. September habe die Erklärung nach Nato-Beistands-Artikel 5 auf dem Tisch gelegen. Bundeskanzler Gerhard Schröder habe Deutschlands uneingeschränkte Solidarität mit Washington ausgesprochen. „Ein Zögern hätten wir uns nicht erlauben können“, so Fischer.
Später habe sich diese Solidarität dann auf die Beteiligung am Afghanistan-Einsatz übertragen, als klar geworden sei, dass die dortige Taliban-Führung nicht zu den Terroristen um Osama Bin Laden auf Distanz gehen wollte. „Wir waren uns in der Bundesregierung einig, dass wir in der Bündnissolidarität stehen und bleiben müssen“, so der frühere Außenminister und Vizekanzler, und fügte hinzu: Wer an der westlichen Bündnisverpflichtung und der dadurch ermöglichten europäischen Integration rüttele, setze die Existenz Deutschlands aufs Spiel. „Wenn wir nein gesagt hätten, hätten wir die Sicherheitsarchitektur der Bundesrepublik Deutschland zerdeppert.“
Man habe sich die damalige Entscheidung alles andere als leicht gemacht, sagte Grünen-Politiker. Sie sei letztlich aus übergeordnetem Bündnisinteresse gefallen und sei zwar nicht alternativlos, aber doch „unbedingt nötig“ und auch rückblickend richtig gewesen. „Heute wissen wir umso mehr, wie sehr wir von den Sicherheitsgarantien der USA abhängen.“ Das werde auch so bleiben, prognostizierte Fischer.
Während sich Deutschland dann auf einen langfristig verstandenen Stabilisierungseinsatz eingelassen habe, der aber nur zusammen mit dem militärischen Engagement der USA funktionieren konnte, habe sich die Führung in Washington schon bald dem Irak als einem neuen Interventionsschauplatz zugewandt und den Einsatz am Hindukusch heruntergestuft und heruntergefahren. Der Irak habe dann im Vordergrund der internationalen Politik gestanden. „Afghanistan war das erste Opfer des Irakkrieges“, sagte Fischer. Aber „Wir haben daran festgehalten“. Deutschland habe aufgebaut und ausgebildet.
Die Zusammenarbeit mit den USA sei weiterhin sehr gut gewesen, „aber der übereilte Abzug war ein Debakel.“ Man sei dabei auf die Amerikaner angewiesen gewesen. Afghanistan werde noch lange ein Ort der Unsicherheit bleiben. Obwohl die Taliban viele Aufbauerfolge nun wieder zunichtemachen würden, halte er das Afghanistan-Engagement zwischen 2001 und 2021 nicht für einen Fehler. „Wären wir nicht mitgegangen, hätten wir dafür einen hohen Preis bezahlen müssen im Bündnis“, so der ehemalige Außenminister.
Als Lehre, so führte Fischer aus, halte er fest: Man hätte der entscheidenden Bedeutung des Nachbarlandes Pakistan viel stärker gerecht werden müssen, das den Taliban weiterhin ein Hinterland gewesen sei. Aber im Pentagon „gab es eine Unentschiedenheit“ in Bezug auf dieses Land, „man machte die Augen zu, wo man eigentlich hätte hingucken müssen“.
Außerdem müsse Deutschland stärkere militärische Fähigkeiten für derartige Einsätze bereithalten. Durch mangelnde militärische Stärke habe man geringeren politischen Einfluss gehabt, auch gegenüber den USA. „In einer solchen Situation können Sie die besten Dinge vorschlagen. Wenn Sie das militärische Gewicht nicht haben, können sie das nicht umsetzen“, sagte Fischer. Diese Problematik zeige den engen Zusammenhang von zivilem und militärischem Engagement. „Wenn wir mehr leisten wollen, müssen wir die entsprechenden Fähigkeiten aufstellen, sonst werden das politische Absichten bleiben.“