LNG-Standort Mukran auf Rügen unter Experten umstritten
Berlin: (hib/HAU) Die von der Bundesregierung geplante Novellierung des LNG-Beschleunigungsgesetzes (20/7279) ist bei einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Klimaschutz und Energie am Montag bei mehreren Sachverständigen auf Kritik gestoßen. Mit der Regelung soll ein weiterer LNG-Anlagenstandort in Mukran auf Rügen festgeschrieben werden. Für die Konkretisierung der bereits im bisherigen LNG-Beschleunigungsgesetz angelegten Nachnutzung der LNG-Importinfrastruktur mit klimaneutralem Wasserstoff und dessen Derivaten sollen zudem die Genehmigungsvoraussetzungen klarer und operationalisierbar gefasst werden. Mit einer im Omnibusverfahren angehängten Änderung des Baugesetzbuches soll außerdem der Handlungsspielraum für Kommunen zur Ausweisung von Flächen für Windenergie erweitert werden.
Auf deutliche Ablehnung stieß das Vorhaben bei Vertretern der Ostseegemeinde Binz. Dessen Tourismusdirektor Kai Gardeja sieht in den geplanten Anlagen einen Verstoß gegen das Naturschutzrecht. Zudem sei ein massiver Einfluss auf den Tourismus und auf den wirtschaftlichen Standort Rügen zu erwarten, sagte der von der CDU/CSU-Fraktion benannte Experte.
Aus Sicht von Ronald Rambow, Tourismusunternehmer aus Binz, würde die „beliebte Urlaubsregion“ erheblich durch Lärm-, Schmutz- und Lichtemissionen beeinträchtigt werden. „Es verschandelt unsere schöne Natur und führt zu irreversiblen Eingriffen in das sensible Öko-System Ostsee“, warnte der auf Vorschlag der AfD-Fraktion eingeladene Sachverständige.
Für die Option eines Off-Shore-Terminals, 18 Kilometer vor der Küste Rügens, welches dann den Knotenpunkt Lubmin beliefert, sprach sich Karsten Fach, Senior Advisor bei der Marine Services GmbH in Hamburg aus. Erfahrungen damit gebe es unter anderem in Italien und vielfach im asiatischen Raum. Der Vorteil einer solchen Lösung bestehe darin, dass die Anlagen aufgrund der Erdkrümmung vom Strand aus nicht zu sehen und zu hören seien. Die technischen Unterlagen für eine solche Off-Shore-Lösung lägen vor, sagte der von der CDU/CSU-Fraktion benannte Experte. Perspektivisch könnten dort auch Wasserstoff und Ammoniak angelandet werden.
Ulrich Ronnacker, Leiter Recht & Regulierung bei der Open Grid Europe GmbH, hält es für richtig, auch im Ostseeraum ein Terminal vorzusehen, da dort potente Leitungsstrukturen, die nach dem Ausfall der russischen Gaslieferungen nicht mehr benötigt werden, genutzt werden könnten, um bedeutende Erdgasmengen Richtung Süden transportieren zu können. Mit Hochdruck werde derzeit daran gearbeitet, das Fernleitungsnetz umzubauen, so der auf Vorschlag der SPD-Fraktion eingeladene Sachverständige. Das LNG-Gesetz spiele dabei eine wichtige Rolle. „Wir begrüßen das sehr“, sagte Ronnacker.
Jörg Selbach-Röntgen, Geschäftsführer der MET Germany GmbH, bewertete die Situation auf dem Gasmarkt nach wie vor als angespannt. Das gelte vor allem mit Blick auf die Preisstabilität. Selbach-Röntgen bemängelte den aktuell fehlenden Anteil an Langfristverträgen, die nötig seien, um Versorgungssicherheit und Preisstabilität zu erreichen. Erst durch langfristige Verträge sei es möglich, Preisvereinbarungen zwischen Produzenten, Händlern und Abnehmern zu finden, die Preisschwankungen am globalen Energiemarkt entgegenwirken, sagte der durch die SPD-Fraktion benannte Sachverständige.
Aus Sicht von Felix Heilmann vom Vereine Dezernat Zukunft überschreiten hingegen die geplanten LNG-Importkapazitäten den klimakompatiblen Importbedarf deutlich. Unregulierte Reservekapazitäten brächten jedoch Klimarisiken mit sich, „insbesondere durch die Ermöglichung neuer LNG-Exportprojekte“, sagte der auf Vorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eingeladene Experte. Die globale LNG-Versorgungssituation werde sich auch ohne Investitionen in zusätzliche Exportterminals entspannen, so Heilmann.
Auch die von der Fraktion Die Linke als Sachverständige benannte Rechtsanwältin Cornelie Ziehm sieht keinen energiewirtschaftlichen Bedarf für weitere, über die bereits jetzt in Deutschland in Betrieb befindlichen LNG-Vorhaben. „Wir haben keine Gasmangellage und werde diese auch im Winter 2023/2024 nicht haben“, sagte sie. Gesetzlich könne nicht mehr pauschal ein Bedarf „und erst recht nicht mehr gesetzlich pauschal ein beschleunigter Bedarf samt eines überragenden öffentlichen Interesses für den weiteren Neubau fossiler Gasinfrastruktur festgestellt werden“.
Johann Killinger, geschäftsführender Gesellschafter der Hanseatic Energy Hub GmbH, ging auf die geforderte Umrüstbarkeit der Anlagen auf Wasserstoff und Ammoniak ein. Das Gesetz erfordere bereits heute einen detaillierten „Ammoniak-Ready-Nachweis.“ Dies sei insofern schwierig, weil es solche Dual-Use-Terminals noch nicht gebe und auch keine entsprechenden Normen oder Best-Practice existierten, sagte der auf Vorschlag der Unionsfraktion eingeladene Experte.
Mario Ragwitz, Leiter der Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie, hält die neuen LNG-Terminals für mit den Klimazielen vereinbar, „wenn die Umrüstbarkeit auf klimaneutrale Energieträger sichergestellt werden kann“. Die Umrüstbarkeit auf klimaneutralen Wasserstoff und dessen Derivaten sei möglich, so der von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen benannte Experte. Die Umrüstbarkeit müsse daher ein ganz zentraler Bestandteil des Gesetzes sein.
Heinrich Nachtsheim, Referent für Energiepolitik beim Verband der Chemischen Industrie, befürchtet eine „De-Industrialisierung der Grundstoffchemie in Deutschland“. Zudem stelle der nichtleitungsgebundene Import von Ammoniak gegenüber der heimischen Produktion eine umwelt- und energiepolitisch ineffizientere Lösung dar, da sich der CO2-Fußabdruck über Umwandlungsprozesse von Wasserstoff in Ammoniak und retour zu Wasserstoff beziehungsweise die Logistik gegenüber der heimischen Produktion „eklatant verschlechtert“, sagte der auf Vorschlag der FDP-Fraktion eingeladene Sachverständige.
Tilman Schwencke, Geschäftsbereichsleiter Strategie und Politik beim Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) äußerte sich zur geplanten Änderung des Baugesetzbuches. Die Erweiterung des Spielraums der Gemeinden bei der Ausweisung von Windenergieflächen sei grundsätzlich begrüßenswert, sagte der von der SPD-Fraktion benannte Experte. Der in zeitlicher Hinsicht unklar begrenzte Anwendungsbereich der Regelung unterlaufe aber das Ziel, Rechtssicherheit für die Gemeinden zu schaffen. Zudem verkompliziere das vorgesehene Zielabweichungsverfahren das Verfahren unnötig. Zielführend wäre laut Schwencke eine klare gesetzliche Regelung für die Ausweisung zusätzlicher Windenergie-Flächen durch die Gemeinden als nicht zuständige Planungsträger.
Weitere Informationen zur Anhörung sowie die Stellungnahmen der Sachverständigen auf bundestag.de: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2023/kw27-pa-klimaschutz-lng-955588