IP-Adresse oft der einzige Hinweis auf die Täter
Berlin: (hib/LL) Trotz deutlich erhöhtem Ermittlungsdruck und Erfolgen der Polizei bei der Strafverfolgung: Der Kinderschutz im digitalen Raum ließe sich weiter verbessern, würde man die Speicherdauer von IP-Adressen durch die Provider verlängern sowie Gaming-Plattformen stärker in die Pflicht nehmen und Eltern mehr Verantwortung bei dem Thema zuweisen. Darin waren sich die Sachverständigen in einem Fachgespräch des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am Mittwochmittag einig.
Mehr als 17.000 Kinder in Deutschland waren 2022 Opfer sexueller Gewalt, rief Martina Link, Vizepräsidentin des Bundeskriminalamtes, in Erinnerung. Die Zahl der Taten des sexuellen Missbrauchs verharre auf unverändert hohem Niveau. 101 Kinder verloren ihr Leben. Zusätzlich zu den bearbeiteten Fällen müsse man von einer Dunkelziffer an Vorfällen ausgehen.
Für die Ermittlungsarbeit würden sowohl IP- als auch E-Mail-Adressen sowie Telefonnummern herangezogen, um verdächtige Personen ausfindig zu machen. Dabei sei man auf eine möglichst lange Speicherung der Verkehrsdaten seitens der Provider angewiesen.
Link unterstrich die Bedeutung der IP-Adresse bei der Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen. In vielen Fällen sei die IP-Adresse der einzige Hinweis auf die Täter.
Um Übergriffe etwa bei Onlinespielen zu melden, müsse es für Kinder einen niedrigschwelligen Zugang etwa zu „Onlinewachen“ geben. Umgekehrt seien mittlerweile die Polizeidienststellen für das Thema sensibilisiert und es gebe eine Reihe spezialisierter Dienststellen.
Kerstin Claus, Unabhängige Beauftragte des Bundes für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, erläuterte den Gesetzesvorschlag der Europäischen Kommission zu dem Thema, der darauf ziele, durch ein systematisches Durchsuchen von Kommunikation und Materialien im Netz durch die Strafverfolgungsbehörden Täterstrukturen aufzudecken und Täter zu identifizieren.
Wie beim Kinderschutz in der analogen Welt müsse man auch im digitalen Raum, in dem sich Kinder und Jugendliche zunehmend bewegten, deren Schutz durch entsprechende Funktionen bei den Einstellungen in den Spiele-Apps sowie durch Beschwerdesysteme sicherstellen. Eine Risikoanalyse für Spiele-Plattformen müsse dazu führen, dass Gefahren für Kinder eliminiert würden. Der Kommissionsentwurf verpflichte die Anbieter zu einem solchen Verfahren.
Leider könne man das sogenannte Nahfeld kindlicher Kontakte heute nicht mehr wie früher völlig überblicken. Eine mit der analogen Welt vergleichbare soziale Kontrolle habe man im digitalen Raum nicht. „Daher verschärfen sich die Risiken.“ Aber es gebe Möglichkeiten, die Kinder zu schützen.
Claus plädierte dafür, die Rolle der Eltern zu stärken, ihnen mehr Verantwortung, aber auch Know-how zu geben und sie so zu befähigen, über das Nutzungsverhalten ihrer Kinder im Netz zu entscheiden. Zusätzlich müsse man die Plattformen stärker in die Pflicht nehmen, beispielsweise bei Spielen im Vorfeld auf die damit verbundenen Gefahren aufmerksam zu machen.
Für eine Gesamtstrategie für beide Bereiche sprach sich Joachim Türk, Vizepräsident des Kinderschutzbundes, aus. Man könne analoge und digitale Welt nicht trennen. „Es ist ein gesellschaftliches Problem.“ Das erfordere umfassende Änderungen in der Bildungspolitik. Es gelte die Wirtschaft ebenso wie die Eltern und die Kinder und Jugendlichen selbst in die Erarbeitung von Präventions- und Schutzkonzepten und in eine breite gesellschaftliche Debatte einzubeziehen.
Gewerbliche Angebote seien kindersicher zu gestalten, das beginne bereits beim Gerätezugang. „Der Zugang zum Internet muss grundsätzlich kindersicher gestaltet werden.“ Auch die Plattformen seien in die Pflicht zu nehmen, Warnhinweise in Kindersprache anzubringen. Die Alterserkennung der Spieler sei ein Schlüssel, aber auch die parallele Moderation und Kontrolle im Spielverlauf. Alle gewerblichen Plattformen seien kindersicher zu machen.
Momentan gebe es leider noch zu wenig Wissen über die Rolle des digitalen Raums als Teil des kindlichen Nahfeldes. Zum Kinderschutz in diesem Bereich könne das geplante europäische Zentrum beitragen. „Wir brauchen aber auch eine deutsche Einrichtung“, sagte Türk. Dort könnten Erfahrungen für alle Beteiligten gebündelt werden. Vor allem die Eltern wüssten noch zu wenig über den digitalen Raum und seine Gefahren. „Mehr als 50 Prozent der Kleinen können unbeaufsichtigt mit den Smartphones der Eltern spielen.“