16.06.2023 1. Untersuchungsausschuss — Ausschuss — hib 450/2023

Keine pauschale Aufnahme von Ortskräften

Berlin: (hib/CRS) Der Afghanistan-Untersuchungsausschuss hat gestern in weiteren Verlauf seiner Sitzung einen Referatsleiter im Bundesministerium des Inneren (BMI) befragt und sich dabei weiter auf das Ortskräfteverfahren konzentiert. Dem Beamten zufolge habe sich das Auswärtige Amt „relativ früh“ für eine pauschale Aufnahme der Ortskräfte eingesetzt. Das BMI habe jedoch darauf bestanden, das Einzelprüfungsverfahren beizubehalten und keine „humanitäre Geste, im Sinne von, wir nehmen alle auf, wenn wir gehen“, zu vollziehen.

Das Ortskräfteverfahren sei von allen beteiligten Ressorts gemeinsam vereinbart worden und hätte daher nur mit Einverständnis aller Ressorts geändert werden können, führte der Zeuge aus. Er ist laut eigenen Angaben für internationale grenzpolitische Angelegenheiten und die Geschäftsstelle AG Internationale Polizeimissionen zuständig.

Vor allem zwei Themen, nämlich „Visa on Arrival“, also eine Visaausstellung an der deutschen Grenze durch die Bundespolizei, und Charterflüge für die Ortskräfte, seien permanent ein Diskussionsthema gewesen. Da beides hoch politische Themen seien, habe man sich auf Arbeitsebene nicht einigen können. Dazu sei eine politische Entscheidung notwendig gewesen.

Der Staatssekretär seines Ministeriums habe betont, dass man auch „Visa on Arrival“ machen könne, wenn es notwendig werde. Das sei in Ausnahmefällen, wie im Falle der hochschwangeren Ehefrau einer Ortskraft, auch geschehen.

Nach dem Bekanntwerden des Doha-Abkommens zwischen der US-Regierung und den Taliban hätten die beteiligten Ministerien über drei Varianten diskutiert, berichtete der Zeuge. Eine sei gewesen, das Ortskräfteverfahren mit dem Abzug zu beenden. Eine andere, eine humanitäre Aufnahme aller Ortskräfte in Betracht zu ziehen. Beschlossen worden sei, das Verfahren so weiterzuführen, wie es bis dahin gehandhabt wurde - mit Einzelfallprüfungen.

Erst nachdem US-Präsident Joe Biden entschieden habe, die Truppen aus Afghanistan abzuziehen, sei Zeitdruck entstanden, sagte der Referatsleiter. Der Versuch die Internationale Organisation für Migration (IOM) als Dienstleister für die Zeit nach dem Abzug zu gewinnen, sei, seinen Schilderungen zufolge, nicht besonders erfolgreich gewesen. Ortskräfte, die das IOM kontaktiert hätten, hätten keine Antwort erhalten.

Im Falle der Ortskräfte der Bundeswehr sei eine andere und erfolgreiche Lösung gefunden worden. Die Truppe habe in Kooperation mit dem Auswärtigen Amt die Visaanträge selbst entgegengenommen. Das sei bei anderen Ressorts nicht möglich gewesen.

Auch für den Fall, dass die Sicherheitslage kritisch werden würde und die Strukturen vor Ort nicht aufrechterhalten werden könnten, habe man sich auf ein Notfallszenario geeinigt. Dann wären wegen „Visa on Arrival“ und Charterflügen politische Entscheidungen notwendig gewesen.

Auf die Frage, ob es die Linie des BMI gewesen sei, die Migration aus Afghanistan minimal zu halten, antwortete der Referatsleiter, dass die Abteilung Migration diesen Aspekt „sicherlich berücksichtigt“ habe. Die Abgeordneten fragten auch, warum das BMI auf eine Anfrage des Bundestages keine Zahlen zum Ortskräfteverfahren geliefert habe. Dazu erklärte der Zeuge, das BMI habe bis auf die Zahlen des Auswärtigen Amtes die Zahlen aller betroffenen Ressorts gehabt. Die Frage sei gewesen, wie man damit umgehe. Man habe sich dafür entschieden, die bereits bekannten Zahlen nicht weiterzugeben und zu berichten, dass die Bundesregierung die Zahlen noch eruiere. Diese Antwort stieß bei den Ausschussmitgliedern teilweise auf Unverständnis.

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