Fachkräfteeinwanderung: Zu lange Verwaltungsverfahren
Berlin: (hib/HAU) Der deutsche Arbeitsmarkt braucht mehr Fachkräfteeinwanderung aus Drittstaaten. In dieser Einschätzung waren sich die zu einer öffentlichen Anhörung des Innenausschusses am Montagnachmittag geladenen Sachverständigen einig. Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf „zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung“ (20/6500) wurde grundsätzlich als Schritt in die richtige Richtung bewertet. An den schon heute zu lange dauernden Verwaltungsverfahren bei den deutschen Auslandsvertretungen wie auch den Ausländerbehörden und Anerkennungsstellen im Inland ändere sich dadurch aber nichts, wurde kritisiert.
Laut dem Gesetzentwurf soll es künftig ausreichen, im Ausland eine zweijährige Berufsausbildung absolviert zu haben und darüber hinaus mindestens zwei Jahre Berufserfahrung nachweisen zu können, um in Deutschland arbeiten zu dürfen. Eine formale Anerkennung des im Heimatland erworbenen Abschlusses braucht es nicht, wenn ein Arbeitsvertrag vorliegt. Mit einer „Chancenkarte“ sollen Ausländer mit einem über ein Punktesystem nachgewiesenen „guten Potenzial“ auch ohne Vertrag einreisen und sich vor Ort einen Job suchen dürfen. Bei IT-Spezialisten ohne Hochschulabschluss soll es künftig reichen, wenn sie „bestimmte non-formale Qualifikationen nachweisen können“.
Die Bundesagentur für Arbeit (BA) bewerte die Intention der geplanten Änderungen zum Abbau von Zuwanderungshürden sowie die zu erwartende Arbeitsmarktwirkung positiv, sagte BA-Vertreter Steffen Sottung. Der Paradigmenwechsel, dass künftig Fachkräften die Einwanderung ermöglicht wird, auch wenn der Berufsabschluss nicht vorher formal anerkannt ist, sende das Signal nach außen, „dass Arbeits- und Fachkräftezuwanderung nach Deutschland erwünscht ist“, sagte er. Benötigt werde aber ein Personalaufwuchs in allen betroffenen Verwaltungsbereichen sowie eine bessere Abstimmung der beteiligten Behörden untereinander.
Wesentliches Hemmnis für die gezielte Erwerbsmigration seien die komplizierten und langwierigen Verwaltungsverfahren, hieß es von Seiten der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitsgeberverbände (BDA). Schon jetzt sei es der Migrationsverwaltung nicht möglich, genügend Anträge zu bearbeiten, damit alle Menschen mit Arbeitsvertrag nach Deutschland kommen können, sagte BDA-Vertreter Nicolas Keller. Zugleich forderte er die Ausweitung der sogenannten Westbalkanregelung. „Wir sollten auf Regelungen setzen, die in der Praxis gut funktionieren“, sagte er. Zudem müsse das Beschäftigungsverbot in der Zeitarbeit abgeschafft werden.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) sieht Saisonarbeit und Leiharbeit kritisch. Das Risiko der Einreise in ausbeuterische Arbeitsverhältnisse sei zuletzt ohnehin angestiegen, sagte DGB-Vertreter Gerd Wiegel. Die über die Westbalkanregelung eingereisten Arbeitskräfte seien zumeist in Bereichen tätig, die durch schlechte Arbeitsbedingungen und schlechte Entlohnung gekennzeichnet seien. Eingewanderte aus Drittstaaten sollten daher grundsätzlich zu tarifvertraglichen Bedingungen beschäftigt werden. Die Fachkräfteeinwanderung dürfe nicht zur Absenkung von Sozialstandards führen, sagte Wiegel.
Die Regelungen seien nicht weitgehend genug, kritisierte Engelhard Mazanke vom Deutschen Städtetag. „Wir brauchen schlankere Verwaltungsverfahren, längere Aufenthaltstitel, großzügigeren Familiennachzug und Fiktionsbescheinigungen“, sagte er. Es gehe darum, etwa 100.000 Menschen pro Jahr in das Verwaltungsverfahren aufzunehmen, dabei sei man „jetzt schon am Rande der Dysfunktionalität“. In den Inlandsbehörden gebe es Wartezeiten von drei bis vier Monaten - in den Auslandsvertretungen von „deutlich über einem Jahr“, sagte Mazanke.
Klaus Ritgen vom Deutschen Landkreistag forderte eine grundlegendere Reform des Aufenthaltsrechts und eine deutliche Reduzierung der Aufenthaltstitel. Der Schaffung einer zentralen Einwanderungsbehörde stehe er kritisch gegenüber, sagte Ritgen und verwies auf die damit verbundene Gefahr, „ineffiziente Doppelstrukturen“ zu schaffen. Schließlich brauche es für die Zuwanderer „Ansprechpartner vor Ort“.
Ferdinand Heinz Johann Weber vom Institut für Völkerrecht und Europarecht der Georg-August-Universität Göttingen hält indes die Übertragung der Zuständigkeiten auf eine zentrale Behörde mit echten Kompetenzen für „keine schlechte Idee“. Ansprechpartner vor Ort könne es dennoch geben. Der Gesetzentwurf führt aus seiner Sicht zu einer Überforderung der Verwaltungen. Die Chancenaufenthaltskarte etwa werde höchstens für ein Jahr erteilt. Das führe im Anschluss zu einem erheblichen Prüfaufwand.
Roman Lehner vom Institut für Öffentliches Recht der Georg-August-Universität Göttingen wies ebenso wie Weber daraufhin, dass die Regelungen für die qualifizierte Arbeitsmigration nach Deutschland schon jetzt außerordentlich liberal seien. Im Kampf um die „besten Köpfe“ erweise sich aber das Visumverfahren als echte Belastung für den Zuwanderungsstandort Deutschland. Die ernstzunehmenden Vollzugsmängeln müssten dringend angegangen werden, forderte er. Der Gesetzgeber allein könne keine Fachkräfte nach Deutschland lotsen. Jedes noch so „clevere Erwerbsmigrationsregime“ sei am Ende von nur geringem Wert, „wenn die effektive Vollziehung der materiellen Regelungen nicht gewährleistet ist“.
Die auf Ausländerbeschäftigungsrecht spezialisierte Rechtsanwältin Bettina Offer kam zu der Einschätzung, dass die Verwaltung die Mengen an benötigter Zuwanderung nicht abbilden könne. Was das Gesetz an Verwaltungsvereinfachungen enthält, sei „hinten und vorne nicht ausreichend“, urteilte sie.
Marius Tollenaere, Rechtsanwalt für Migrations- und Staatsangehörigkeitsrecht, hält die Migrationsverwaltung für nicht in der Lage, „mehr Erteilungen hinzubekommen“. Sie sei schon seit mehreren Jahren in einer Dauerkrise, sagte er. Gebraucht werde wesentlich mehr Personal, das gut geschult, gut eingruppiert und mit Karriereaussichten ausgestattet sein müsse.
Tara Käsmeier vom Paritätischen Gesamtverband sprach sich dafür aus, Übergänge von der humanitären Einwanderung zur Erwerbsmigration zu ermöglichen. Die Bereiche der humanitären Einwanderung und der Erwerbsmigration seien zwar separat zu betrachten und zu regeln. Für diejenigen, die zunächst eingereist sind, um in Deutschland Schutz zu finden, sollte es aber möglich sein, „unter bestimmten Voraussetzungen auch in die Erwerbsmigration zu wechseln, wenn sie die dort genannten Bedingungen erfüllen“, sagte Käsmeier.
Um Arbeitskräfte aus Drittstaaten zu gewinnen, müsse sich Deutschland drei Herausforderungen stellen, sagte Pau Palop-García vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung. Zum einen müssten die Menschen das Ziel haben, in Deutschland zu arbeiten und zu leben. Sie müssten aber auch in der Lage sein, hierherzukommen. Außerdem müssten die Menschen den Wunsch haben, längerfristig in Deutschland zu bleiben. Mit nur minimalen Änderungen, so Palop-García, werde man diese Herausforderungen nicht bestehen. Positiv bewertete er das Instrument der Chancenkarte. Sie sei im Entwurf aber zu bürokratisch geregelt.
Herbert Brücker, Leiter des Forschungsbereichs „Migration, Integration und internationale Arbeitsmarktforschung“ am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, nannte die Erfahrungssäule im Gesetz „sinnvoll“. So könne den Restriktionen begegnet werden, die es bei der Anerkennung beruflicher Abschlüsse gebe. Die nun angedachten Gehaltsschwellen lägen aber bei 75 Prozent der Gehälter von Fachkräften und würden damit einen großen Teil von Fachkräften ausschließen. Sinnvoller als die im Entwurf vorgesehene Abweichung für tarifgebundene Arbeitgeber wäre es aus seiner Sicht eine Regelung, die sich an Flächentarifverträgen orientiert.