EU-Ausschüsse Deutschlands und Frankreichs beraten zusammen
Berlin: (hib/JOH) Die Mehrheit der Mitglieder im deutschen und französischen Europaausschuss hat sich am Mittwochnachmittag in einer gemeinsamen digitalen Sitzung für eine Erweiterung sowie umfassende institutionelle Reformen der Europäischen Union ausgesprochen. Beides sei nicht voneinander zu trennen, machten Abgeordnete beider Länder in dem rund zweistündigen öffentlichen Gespräch deutlich.
Die EU selbst habe ein „massives geostrategisches Interesse“ am Beitritt der sechs Westbalkanstaaten sowie der Ukraine, Moldaus und Georgiens, betonte der Vorsitzende des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union, Anton Hofreiter (Bündnis 90/Die Grünen). Es gehe darum, Stabilität und Sicherheit in der Region zu schaffen. Voraussetzung für einen Beitritt seien allerdings Reformen sowohl in den jeweiligen Ländern als auch in der EU. „Der Erweiterungsprozess muss wieder Glaubwürdigkeit bekommen“, mahnte Hofreiter. Wenn die EU die Staaten weiter warten lasse, könnten die dortigen Reformbemühungen erlahmen.
Hofreiters französischer Kollege, Pieyre-Alexandre Anglade von der Präsidentenpartei Renaissance, betonte, die Haltung in dieser Frage habe sich in Frankreich verändert, seitdem Mächte wie Russland und China versuchten, im Westbalkan massiv an Einfluss zu gewinnen. Standen die Franzosen einem Beitritt der Staaten bisher ablehnend gegenüber, sei nun der Glaube gewachsen, dass sie zur EU gehörten. Allerdings liege der Fokus in der öffentlichen Debatte derzeit auf dem Beitritt der Ukraine und Moldaus, räumte Anglade ein. In jedem Fall müsse Europa durch einen geeigneten institutionellen Rahmen „beste Bedingungen“ für den Beitritt bieten.
Brigitte Klinkert (Renaissance) stellte ebenfalls klar, Europa müsse auf die geopolitischen Veränderungen reagieren und sich auf dem Westbalkan stärker einbringen. Die deutsch-französische Zusammenarbeit spiele dabei eine besondere Rolle, auch weil sie in der Region als Vorbild gelte.
Johannes Schraps (SPD) nannte es ein wichtiges Signal, dass die nächste Tagung der von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron 2022 initiierten „Europäischen Politischen Gemeinschaft“ in Chișinău, der Hauptstadt der Republik Moldau, stattfinden soll. Es dürfe gegenüber den Westbalkanstaaten keinesfalls der Eindruck entstehen, dass der Kandidatenstatus für die Ukraine nur ein Symbol sei und nicht mit Handlungen unterfüttert werde.
Josip Miratovic (ebenfalls SPD) verwies darauf, die Westbalkanstaaten würden schon sehr lange auf einen Beitritt warten. Für sie sei es wichtig zu sehen, wie glaubwürdig die EU gegenüber Ukraine und Moldau auftrete.
Die Motivation müsse erhalten bleiben, sagte auch Gunter Krichbaum (CDU). Die Westbalkanstaaten bräuchten eine „veritable Perspektive“, verbunden mit Zwischenschritten. Denkbar sei etwa, Delegationen der Staaten eine Beobachterrolle im Europäischen Parlament und im Europäischen Rat zu ermöglichen. „Das kostet keinen Euro und keinen Cent“, sei aber eine klare Ansage in Richtung China oder Türkei, „dass diese Länder zur EU gehören“. Am Ende müsse die Vollmitgliedschaft in der EU stehen.
Auch Nicole Westig (FDP) lenkte den Blick auf China, das im Westbalkan sehr aktiv sei, etwa im Zuge der sogenannten „Seidenstraßen-Initiative“. Wenn die EU den Staaten keine europäische Perspektive biete, „ist die Gefahr groß, dass sie sich China und dessen Wertesystem weiter zuzuwenden“.
Nach Ansicht von Boris Mijatovic (Bündnis 90/Die Grünen) sollte die EU die Zusammenarbeit mit den sechs Ländern auch in Bereichen wie Klima und Energie intensivieren. „So können wir Themen jenseits von Sicherheit und Ethnizität, aufmachen, die Zukunft und Hoffnung bieten“, sagte er.
Im zweiten Teil des Gesprächs berieten die Abgeordneten über institutionelle Reformen der EU, wie sie Bürgerinnen und Bürger am Ende der „Konferenz zur Zukunft Europas“ im Mai 2022 empfohlen hatten. Hier äußerten die Abgeordneten überwiegend große Sympathien für die Vorschläge, etwa für die Einführung eines Initiativrechts für das Europäische Parlament oder die Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik.
Es gehe darum, die Entscheidungsfindung in der EU zu beschleunigen und damit mehr Schlagkraft zu gewinnen, betonte Pieyre-Alexandre Anglade. Dabei gehe es auch um die Verkleinerung der Kommission. Anglade lobte außerdem die Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am gestrigen Dienstag vor dem Europäischen Parlament. Scholz habe sich zum Ende der Einstimmigkeit in der Außen- und Sicherheitspolitik und zur Erweiterung der EU bekannt und deutlich gemacht, dass er Motor dieser Entwicklungen sein wolle.
Dass es insbesondere bei den EU-Reformen noch großen Abstimmungsbedarf gibt, wurde in der Diskussion allerdings auch deutlich. So nannte es Harald Weyel (AfD) „naiv und fahrlässig“ anzunehmen, die EU könne substanzielle Reformen vor einer neuen Erweiterungsrunde umsetzen. Eine „echte Reform“ wäre ohnehin, das sogenannte Europäische Parlament zurückführen auf eine „parlamentarische Versammlung, die jeweils national legitimiert ist“ und Deutschland als einwohnerstarkes Land und EU-Nettozahler eine Sperrminorität bei Abstimmungen auf EU-Ebene einzuräumen.
Anton Hofreiter appellierte indes daran, auch die Interessen kleinerer Mitgliedstaaten zu berücksichtigen. Sie hätten beim Wegfall des Einstimmigkeitsprinzips Sorge, übergangen zu werden. Hofreiter warb daher für „Zwischenstufen“ bei Abstimmungen in bestimmten Politikbereichen.
Während FDP-Politiker Link sich gegen qualifizierte Mehrheiten in Steuerfragen aussprach, sah Andrej Hunko (Die Linke) sie in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik kritisch. In Ländern wie Österreich, Zypern oder Malta gebe es eine „tief verankerte Neutralität“, warnte er. Diese Staaten zu übergehen, sei auch aus geopolitischen Erwägungen falsch und werde nur zu „weiteren Friktionen“ in der EU führen, warnte Hunko.