Zusammenbruch Afghanistans durch Doha-Abkommen beschleunigt
Berlin: (hib/CRS) Im 1. Untersuchungsausschuss Afghanistan, der den Abzug aus Afghanistan und die chaotische Evakuierungsaktion nach dem Fall der Hauptstadt Kabul untersucht, haben heute in einer öffentlichen Anhörung Experten der USA und der Nato das Geschehen aus ihrer Perspektive geschildert. Sowohl der Sondergeneralinspekteur für den Wiederaufbau Afghanistans (SIGAR), John Sopko, als auch SIGAR-Teamleiter David Young betonten, der Zusammenbruch der afghanischen Regierung sei durch zwei Entwicklungen beschleunigt worden: das Doha-Abkommen zwischen der Trump-Administration und den Taliban und die spätere Entscheidung des heutigen US-Präsidenten Joe Biden, die US-Truppen abzuziehen. Der Ausschluss der afghanischen Regierung von den Verhandlungen in Doha habe die Regierung in Kabul geschwächt. Außerdem sei das Abkommen sehr schwach gewesen, die Taliban hätten sich deshalb als Gewinner des Krieges inszenieren können.
Die Experten unterstrichen jedoch auch, dass es kein anderes Ergebnis gegeben hätte, wäre die internationale Gemeinschaft länger in Afghanistan geblieben. Denn auch das Potenzial starker Staaten, wie die USA oder Deutschland, sei begrenzt. Daher müsse in Zukunft vor solchen Operationen überlegt werden, wie wichtig Länder wie Afghanistan für die eigene Sicherheit seien.
John Sopko hat zehn Jahre lang im Auftrag des US-Kongresses den Afghanistan-Einsatz der USA evaluiert. Dabei habe er systemische Herausforderungen festgestellt und diese dokumentiert, berichtete er im Ausschuss. So seien beim Aufbau der afghanischen Armee Fehler gemacht worden. „Wir haben eine moderne Armee geschaffen und sie mit hochtechnologischen Waffen ausgestattet“, sagte Sopko. „Doch als die Unterstützung aus dem Ausland beendet wurde, konnten die Afghanen diese Systeme nicht aufrecht erhalten.“
David Young sagte mit Blick auf die USA, dass man sich auf den Wiederaufbau von Staaten vorbereiten und die Konfliktdynamiken in diesen Ländern kennen müsse. „Auch die Schwäche unserer Institutionen hat zum Zusammenbruch der afghanischen Regierung geführt“, urteilte Young: „Wir haben Menschen hingeschickt, die sich in den Bereichen nicht auskannten, in denen sie eingesetzt wurden. Als sie angefangen haben, Erfahrungen zu sammeln, haben wir sie wieder ausgeflogen.“
Auf die Frage, ob eine Institution wie SIGAR auch in Deutschland nützlich sein könne, antwortete John Sopko, er würde eine unabhängige Evaluierung empfehlen. Experten, die für Regierungsinstitutionen die Arbeit evaluiert hätten, seien zu ihm gekommen und hätten sich beschwert, weil ihre Berichte nur nach einer Autorisierung weitergeleitet worden seien. Man solle niemanden in eine Lage bringen, durch die eigene Arbeit finanzielle Nachteile zu befürchten, sagte er. Das sei jedoch seine persönliche Meinung.
Die Experten der Nato, John D. Manza und Stefano Pontecorvo, informierten die Mitglieder des Ausschusses über die Ereignisse in Kabul kurz vor dem Einmarsch der Taliban. Die Schwierigkeit bei der Evakuierung sei gewesen, dass die US-amerikanischen und britischen Truppen, die für die Sicherheit der Botschaften und des Flughafens verantwortlich gewesen seien, nicht mehr unter Nato-Kontrolle gestanden, sondern ihre eigenen nationalen Befehlsstrukturen gehabt hätten, erklärte der ehemalige Zivile Repräsentant der Nato, der Italiener Pontecorvo. Man habe auch gedacht, dass bis Oktober oder November Zeit für eine Evakuierung sei. Doch dann habe sich die Sicherheitslage sehr schnell geändert. Nachdem die privaten Sicherheitsdienste und afghanischen Sicherheitskräfte ihre Posten in der Grünen Zone verlassen hätten, sei er selbst zum Flughafen gegangen und habe dort die Evakuierung organisiert. Es sei alles sehr hektisch gewesen.
Manza, als ehemaliger Sekretär der Nato verantwortlich für die Operationen, berichtete, er habe mehrmals Vorschläge gemacht, den Nato-Einsatz einzuschränken. Seiner Meinung nach sei zu viel Geld für eine nicht nachhaltige Entwicklung ausgegeben worden. Zum Zeitpunkt des Zusammenbruchs der afghanischen Regierung sei eine minimalistische und zivile Folgemission im Gespräch gewesen.
Er habe den Taliban nie vertraut, betonte Manza. Seiner Meinung nach hätten sie lediglich auf den Nato-Abzug gewartet, um dann das Land militärisch unter ihre Kontrolle zu bringen. Manche westliche Diplomaten seien optimistisch gewesen und hätten gedacht, die neue US-Administration würde eine andere Haltung einnehmen als die Regierung des damaligen US-Präsidenten Donald Trump. Manza erklärte aber, der endgültige Abzug aus Afghanistan sei in der Nato einvernehmlich beschlossen worden.
Es gebe eine alte Tradition in Afghanistan, erzählte Young. Wenn sich das Regime des Landes ändere oder die Eroberung einer Provinz durch den Feind bevorstehe, wechselten viele die Seiten. Die Taliban hätten die nicht öffentlichen Teile des Doha-Abkommens für ihre psychologische Kriegsführung benutzt und die Soldaten überzeugt, sich zu ergeben, anstatt für eine verlorene Sache ihr Leben zu lassen.