Brigadegeneral: Abzug von langer Hand geplant
Berlin: (hib/CRS) Der Untersuchungsausschuss des Bundestages, der den Abzug aus Afghanistan untersucht, hat in seiner heutigen Sitzung den letzten Kontingentführer des deutschen Einsatzkontingents in Masar-e Scharif, Brigadegeneral Ansgar Meyer, befragt. Meyer, der den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan organisiert und geleitet hat, informierte den Ausschuss ausführlich über Vorbereitungen und Durchführung. Er habe von der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel den Auftrag bekommen, einen geordneten Abzug zu organisieren, erklärte er. Diesen Auftrag habe er erfüllt.
Bei seinem Dienstantritt in Afghanistan habe es im Norden des Landes mit Masar-e Scharif, Kunduz und Camp Scharif drei Bundeswehr-Standorte gegeben. Dort seien Informationen gesammelt worden, um sich ein Bild über die Sicherheitslage machen zu können. Dafür habe es regelmäßige Gespräche, sei es in Präsenz, sei es über Telefon, mit leitenden afghanischen Beamten gegeben. Da diese Quellen jedoch nicht immer sicher waren, habe die Bundeswehr aus alten Mitarbeitern ein Netzwerk gebildet. Außerdem habe die klassische nachrichtendienstliche Aufklärung Informationen geliefert.
Der Abzug sei von langer Hand geplant gewesen, betonte Meyer. Die Pläne seien aber immer wieder an die aktuelle Lage angepasst worden. Dabei sei man bemüht gewesen, dass deutsche Kontingent „schmal und agil zu halten“, ohne die Eigensicherung zu gefährden. Die Bundeswehr habe frühzeitig, noch Ende 2020 angefangen, Material und Personal aus Afghanistan abzuziehen.
Der endgültige Abzugsbefehl sei jedoch erst im April 2021 gekommen. Bis dahin sei nicht klar gewesen, wie die Mission weitergehen würde, ob die Bundeswehr vollkommen abziehen oder in eine Nachfolgemission eingegliedert werden würde.
Als im April 2021 der damalige Außenminister Heiko Maaß (SPD) nach Afghanistan gekommen sei, habe er ihn im Rahmen eines Lagevortrages über die kritische Sicherheitslage aufgeklärt, sagte der Zeuge. Damals hätten die Taliban enormen Druck auf die in den letzten Monaten sehr geschwächten afghanischen Sicherheitskräfte ausgeübt. Im Hauptquartier in Kabul sei man davon ausgegangen, dass die afghanischen Kräfte nach einem Abzug ohne logistische Unterstützung höchstens sechs Monate Widerstand leisten könnten. Diesen Punkt verdeutlichte der Brigadegeneral am Beispiel der afghanischen Luftwaffe. Diese sei sehr professionell, aber jede Nacht im Einsatz gewesen, und habe dementsprechend Munition eingesetzt.
Nach Abzug der internationalen Truppen habe es in der afghanischen Armee wenige Überläufer gegeben. Vielmehr hätten die Soldaten ihre Waffen niedergelegt und seien nach Hause gegangen. Die erfolgreiche Propaganda der Taliban einerseits und ihre Terrormethoden andererseits seien der Grund dafür gewesen.
Meyer betonte, dass bei langfristiger Planung und wenn zivile Maschinen zur Verfügung gestellt worden wären, auch die Ortskräfte mit der Bundeswehr hätten ausgeflogen werden können. Aber ohne diese zusätzlichen Möglichkeiten sei es nicht möglich gewesen. Er habe sich aber in einer Stellungnahme gegen die Evakuierung von 300 Ortskräften und ihrer Familien ausgeprochen. Denn zu diesem Zeitpunkt hätte eine solche Evakuierung, seiner Ansicht nach, die Eigensicherung gefährdet.
Dem Zeugen zufolge habe es zu keinem Zeitpunkt Pläne zur Evakuierung der Ortskräfte gegeben. Vielmehr sei geplant gewesen, den Ausreisewilligen die Möglichkeit anzubieten, auszureisen. Er habe die Vorgaben aus Deutschland umgesetzt.
Während der ersten Registrierung habe es ohnehin auch von Seiten der Ortskräfte keinen Druck gegeben. Dieser sei erst später, in den letzten zwei Wochen, entstanden.
Die Vernehmung des Brigadegenerals dauert noch an. Nach ihm wird der Ausschuss einen Zeugen von der „Division Schnelle Kräfte“ der Bundeswehr und in einer geheimen Sitzung einen Zeugen vom Bundesnachrichtendienst (BND) befragen.