Uneinigkeit bei Umsetzung der „Farm-to-Fork-Strategie“
Berlin: (hib/NKI) Mit der EU-Strategie „Farm-to-Fork“, die unter anderem die Reduzierung der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln in der Landwirtschaft um 50 Prozent bis zum Jahr 2030 vorsieht, hat sich eine Anhörung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft am Montagnachmittag befasst. Gegenstand der Anhörung war ein Antrag (20/3487) der CDU/CSU-Fraktion, darin wird eine „nachhaltige Verwendung von Pflanzenschutzmitteln“ gefordert. Die Belastung der Umwelt soll durch Innovationen in neue Züchtungen und Pflanzenschutz „minimiert“ werden, anstatt „pauschal“ auf die Reduzierung von Pflanzenschutzmitteln zu setzen.
Unterstützt wird der Vorschlag vom Bernhard Krüsken, Generalsekretär beim Deutschen Bauernverband (DBV), und von Professor Andreas von Tiedemann, Leiter der Abteilung für Pflanzenpathologie und -schutz im Department für Nutzpflanzenwissenschaften an der Georg-August-Universität Göttingen. „Der DBV unterstützt das Ziel, die Biodiversität in der Agrarlandschaft zu erhalten und zu fördern. Entscheidend für den Erfolg und die Akzeptanz ist jedoch die Eignung der Maßnahmen, mit denen diese Ziele umgesetzt werden sollen“, sagte Krüsken. Die genannten Vorschläge der EU-Kommission seien jedoch weder praxistauglich noch verhältnismäßig. Gleichzeitig ließen die Vorschläge das Ziel der Ernährungssicherung vollkommen außer Acht. Der Deutsche Bauernverband fordert eine Überarbeitung der Brüsseler Vorschläge, vor allem eine Abkehr der pauschalen Mengenreduzierungen und dem Verbot des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln.
Professor von Tiedemann sagte: „Die vorgeschlagene Verordnung der EU-Kommission zur weiteren Einschränkung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes ist wissenschaftlich nicht begründbar.“ Sie sei ein Beispiel für eine weitere Fehlsteuerung in der Pflanzenschutzpolitik, die seit Jahren feststellbar sei und auf einer falschen Nutzen-Risiko-Bewertung des Pflanzenschutzes beruhe. Das zunehmende Auftreten invasiver oder neuer Schaderreger in der Landwirtschaft bedrohe wichtige Kulturen der heimischen Produktion und werde zukünftig einen noch effektiveren Pflanzenschutz erfordern. Ein Rückbau dieser systemrelevanten Technologie werde die Anzahl anbaubarer Kulturarten reduzieren, den Trend zu größeren Betriebsgrößen verstärken und die Importabhängigkeit Deutschlands für Agrarprodukte weiter erhöhen. Um weitere ökologische Verbesserungen zu erreichen, müssten seiner Meinung nach „sich die Maßnahmen an den tatsächlichen Kausalfaktoren orientieren“. Diese lägen in der Gestaltung der Agrarlandschaft hinsichtlich der Vielfalt der Lebensräume. Der Pflanzenschutzmitteleinsatz sei für die Regulierung der Biodiversität die falsche Stellschraube.
Frank Gemmer, Hauptgeschäftsführer des Industrieverbands Agrar, bemängelte die „fehlende wissenschaftliche Basis der Reduktionsziele für den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und die fehlende Berücksichtigung der Verfügbarkeit von Alternativen zu chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln“. Die einseitige Fokussierung auf ein „nicht zielführendes sowie nicht evidenzbasiertes Pflanzenschutz-Reduktionsprogramm“ könne schwerwiegende Konsequenzen für die Landwirtschaft und weitere Anwendungsbereiche, wie der Forstwirtschaft und der Landschaftspflege haben. Sollten die EU-Vorgaben 1:1 umgesetzt werden, wären mindesten 3,5 Millionen Hektar der Ackerfläche betroffen. Als Folge sei die Beschleunigung des Agrarstrukturwandels hin zu weniger, dafür aber größeren Agrarbetrieben und eine höhere Importabhängigkeit zu erwarten.
Tewes Tralau, Leiter der Abteilung Sicherheit von Pestiziden beim Bundesinstitut für Risikobewertung, und Professor Jens Karl Wegener, Leiter des Bundesforschungsinstituts für Kulturpflanzen am Julius-Kühnen-Institut, schlagen einen anderen Weg vor. Nach Ansicht Wegeners müsse mit dem von der EU vorgesehenen Umbau der Landwirtschaft begonnen werden, jedoch sollten mit der Umsetzung in erster Linie Großbetriebe starten. Technische Neuerungen wie das Spot-Spraying auf Feldern und der Ausbau der Digitalisierung bei Betriebsprozessen seien Großbetrieben eher möglich als kleinen landwirtschaftlichen Betrieben, darauf sollte die EU-Kommission eingehen. Tralau betonte, vor allem die kleinen und mittelständischen Betriebe seien nicht in der Lage, „von heute auf morgen auf Pflanzenschutzmittel zu verzichten“. Wegener betonte, die Absicht, innerhalb der nächsten sieben Jahre die Ziele der EU zu erfüllen, sei auch vor dem Hintergrund „ambitioniert“, weil der Ausbau der Infrastruktur für mehr Digitalisierung oftmals an Planungen und termingerechter Fertigstellung scheitere.
Eine komplett andere Auffassung haben Professorin Sonoko Dorothea Bellingrath-Kimura, Leiterin des Bereichs Landnutzung und Governance am Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) in Müncheberg, und Professor Josef Settele, Leiter der Abteilung Naturschutzforschung am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Halle/Saale. Das Potential für eine Reduktion des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln in der deutschen Landwirtschaft ist nach Ansicht von Bellingrath-Kimura bisher nicht systematisch und umfänglich untersucht worden. In einem Versuch im Landschaftskontext würden derzeit in einem Projekt des ZALF die Auswirkungen von 30 bis 50 Prozent Reduktion von Pflanzenschutzmitteln bei verschiedenen Ackerkulturen seit 2020 erforscht. Erste Erkenntnisse zeigten, dass für eine substantielle Reduktion nicht ein einzelner Schlag für eine Kultur in einer Saison betrachtet werden könne, sondern die Berücksichtigung raum-zeitlicher Beziehungen zwischen verschiedenen Fruchtarten über längere Fruchtfolgen im Landschaftskontext wichtig sei. Zudem müssten bei der Reduktion von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln vor allem Anreize und eine fachliche Unterstützung für Landwirte und Landwirtinnen damit verbunden sein, mit dem Ziel, die Applikationsmengen zu reduzieren.
Professor Settele verwies auf die Ergebnisse der UN-Artenschutzkonferenz in Montreal im Dezember vergangenen Jahres. Die Konferenz habe Vorgaben gemacht, die auch Auswirkungen auf die Landwirtschaft hätten. So sei dort das Ziel, bis 2030 mindestens 30 Prozent der weltweiten Land- und Meeresfläche unter Schutz zu stellen, formuliert worden. Solche Abkommen müssten als Wegmarken Orientierung geben.