Zeugin: Afghanische Ortskräfte allein gelassen
Berlin: (hib/CRS) Der 1. Untersuchungsausschuss Afghanistan hat am heutigen Donnerstag seine 18. Sitzung mit der Befragung einer Ortskraft der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) begonnen. Die Zeugin berichtete zunächst über ihre Erlebnisse im Jahr vor dem Fall der Hauptstadt Afghanistans und während ihrer Evakuierung am Flughafen Kabul.
Sie sei in Masar-e Scharif im Norden des Landes für die deutsche Organisation tätig gewesen, berichtete die ausgebildete Journalistin. Bereits ein Jahr vor der Machtübernahme der Taliban, als die Bundeswehr angefangen hatte den Abzug aus dem Land vorzubereiten, hätten auch in ihrem Büro Gespräche stattgefunden. Bei einem Treffen der Büros der KfW in Kabul und Masar mit der Zentrale in Frankfurt am Main hätten die örtlichen Büros eine Evakuierung ins Gespräch gebracht. Dieser Vorschlag sei jedoch von der Zentrale abgelehnt worden, mit dem Argument, in Afghanistan laufe alles normal.
Erst im Juni 2021, als sich die Sicherheitslage um Masar herum verschlechtert habe, habe die Organisation reagiert, berichtete die Zeugin. Sie sei nach Kabul geschickt worden und habe dort weitergearbeitet. Die Reise in die Hauptstadt sei schwierig gewesen, weil viele Menschen sich auf den Weg dorthin gemacht hätten. Schließlich sei die Entscheidung gefallen, die Mitarbeiter nach Usbekistan auszufliegen. Dort hätten sie einen Antrag auf das Ortskräfteverfahren stellen und nach der Zusage nach Deutschland weiterreisen sollen. Doch dazu sei es nicht mehr gekommen, so die Zeugin. Die Taliban marschierten in Kabul ein.
An diesem Tag seien die KfW-Ortskräfte im Büro gewesen und hätten Dokumente vernichtet, die sie hätten gefährden können. Sie sei im Anschluss bei einer Kollegin untergekommen, sagte die Zeugin. Zwei Tage später seien sie wieder ins Büro gerufen worden. Dieses mal sollten sie auch ihre Familienangehörigen mitbringen, weil ein Transport zum Flughafen geplant gewesen sei. Als sich die Mitarbeiter dort versammelten hätten die Taliban das Büro eingenommen, den Wächtern ihre Waffen und den Mitarbeitenden ihre Mobiltelefone abgenommen. Daraufhin seien die Mitarbeiter wieder in ihre Unterkünfte zurückgekehrt.
Am 18 August 2021 hätten sie sich zum militärischen Teil des Flughafens Kabul aufgemacht. Ein Teil der Beschäftigten hätte sofort beschlossen zurückzukehren, weil sie die Sicherheitslage vor dem Tor des Flughafens für ihre Familien als zu gefährlich einschätzen. Sie dagegen, ohne Familie, habe beschlossen, dort zu warten, berichtete die Zeugin. Dabei habe sie beobachtet, wie verschiedene Nationen ihre Mitarbeiter in der Stadt abholten und evakuierten. Die Afghanistan-Mission der Vereinten Nationen, UNAMA, habe dabei unterstützt.
Gegen Mitternacht habe sie auf das Flughafengelände gelangen können, berichtete die ehemalige KfW-Mitarbeiterin. Dort habe sie zwei getötete Frauen gesehen. Sie glaube, sie seien von den US-Soldaten erschossen worden, weil diese sie für Selbstmordattentäterinnen gehalten hätten.
Die Zeugin berichtete dem Untersuchungsausschuss, dass sie vier Tage auf dem Flughafen verbracht habe. In dieser Zeit habe sie versucht, ihren Kollegen und Kolleginnen und deren Familien zu helfen, ebenfalls auf das Flughafengelände zu gelangen. Sie habe keine deutsche Soldaten gesehen. Sie habe Szenen erlebt, die man sonst nur aus Kriegsfilmen kenne. Schließlich sei sie über Taschkent in Usbekistan nach Deutschland gebracht worden, sagte die Zeugin.
Die ehemalige Ortskraft sagte, dass alle Versuche gescheitert seien, nach ihrer Ausreise nach Deutschland von ihrem Vorgesetzten Unterstützung zu bekommen. Als sie hörte, dass die Taliban mehrfach die Wohnung ihrer Eltern in Afghanistan aufgesucht und nach ihr gefragt hätten, habe sie ihren Vorgesetzten um Hilfe gebeten. Daraufhin habe dieser geantwortet, dass den Eltern in Kabul durch die Risk Management Office (RMO) geholfen werde - eine Organisation, die für deutsche Entwicklungshilfeorganisationen zuständig sei. Doch habe sie dann in Telefongesprächen erfahren müssen, dass weder ihrer Familie noch anderen Ortskräften geholfen worden sei. Ihr Vorgesetzter habe aufgehört auf ihre Hilferufe zu antworten, beklagte sich die Zeugin. Sie bereue, dass sie drei Jahre für diese Organisation gearbeitet habe.
Die ehemalige Mitarbeiterin der KfW kam auch auf die Lage geflüchteter Ortskräften in Deutschland zu sprechen. Das größte Problem sei, dass viele von ihnen ihre Familienangehörigen nicht aus Afghanistan nach Deutschland holen könnten. Vor allem allein lebende Frauen würden auf enorme Schwierigkeiten stoßen.
Die Sitzung wurde nach dem Bericht der ehemaligen Ortskraft unterbrochen. Im weiteren Verlauf der Sitzung werden die Abgeordneten die Zeugin befragen. Später wird als Zeuge ein Mitarbeiter von Caritas International, das Not- und Katastrophenhilfswerk des Deutschen Caritasverbandes, erwartet.