Sachverständige fordern Härtefallfonds auch für Hochschulen
Berlin: (hib/HAU) Die steigenden Energiekosten und die damit einhergehende Inflation stellen Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen in Deutschland vor große Herausforderungen. Um diese zu bewältigen, braucht es aus Sicht von Sachverständigen kurzfristige Hilfen ebenso wie langfristige Konzepte. Das wurde bei einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung am Mittwoch deutlich.
Die Soforthilfe sei eine spürbare Entlastung und notwendige Überbrückung, bis die angekündigten Preisbremsen wirken, sagte Professor Katja Becker, Präsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Sie begrüßte ausdrücklich das Vorhaben, einen Härtefallfonds für außeruniversitäre Forschung in Höhe von 500 Millionen Euro einzurichten, um besonders energieintensive Forschung zu unterstützen. Dieser Fonds sollte aber auch für die Hochschulen geöffnet werden, an denen energieintensive Forschung stattfindet, sagte Becker. Es gehe dabei unter anderem um den Betrieb von Laser- und Bestrahlungssystemen, Hochleistungsrechner und Biodatenbanken. „Dieser Betrieb muss aufrechterhalten werden“, forderte sie.
Franziska Broer, Geschäftsführerin der Helmholtz-Gemeinschaft, sprach sich für zusätzliche Initiativen zur energetischen Sanierung der Wissenschaftseinrichtungen aus. Innerhalb der Helmholtz-Gemeinschaft seien schon Mittel in diesen Bereich umgeschichtet worden. Das gehe aber zu Lasten von wissenschaftlich induzierten Maßnahmen. Mit Blick auf die anstehenden Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst sagte Broer, es müsse klug abgewogen werden, wo bereits durch die allgemeinen Entlastungsmaßnahmen Kompensationen geschaffen wurden und wo ein Tarifabschluss zusätzlichen Ausgleich für die Beschäftigten schaffen könne. Dabei müsse ein Szenario entwickelt werden, „in dem ein akuter Abbau von Personal zur Sicherung der kurzfristigen finanziellen Stabilität in den Forschungsorganisationen vermieden wird“.
„Wir wollen nicht schließen“, machte Professor Oliver Günther, Vizepräsident der Hochschulrektorenkonferenz, deutlich. Ein vollständiger Rückfall in die Distanzlehre sei aus didaktischen und psychosozialen Gründen unbedingt zu vermeiden. Günther forderte ebenfalls eine Öffnung des Härtefallfonds für Hochschulen, „weil es dort auch viel energieintensive Forschung gibt“. Der Vizepräsident der Hochschulrektorenkonferenz verwies darauf, dass an den Hochschulen schon jetzt Energie eingespart werden. Die dazu eingeleiteten Maßnahmen hätten schon Erfolge gebracht. „Viel Luft nach oben ist da aber nicht mehr, wenn man von tiefgreifenden Umbauten und Hochschulbaumaßnahmen absieht.“
Die deutschen Hochschulen litten derzeit an einem gewaltigen Sanierungsstau, befand Thomas May, Generalsekretär des Wissenschaftsrates. „Viele Hochschulgebäude erfüllen kaum noch die Mindestanforderungen, die der Hochschulbetrieb an sie richtet“, sagte May. Sie seien veraltet, marode „und alles andere als energieeffizient, wodurch sie der Energiepreisanstieg noch einmal härter trifft“. Von einem Finanzbedarf von bis zu 60 Milliarden Euro nur für Sanierung und Instandhaltung der Gebäude sei auszugehen. Dem Hochschulbau müsse daher ein höherer Stellenwert eingeräumt werden. Eine energieeffiziente Infrastruktur werde die Hochschulen nicht nur nachhaltiger und krisensicherer machen, sie biete auch die Grundlage für wissenschaftliche Innovationen und künftigen wirtschaftlichen Erfolg, sagte der Generalsekretär des Wissenschaftsrates.
Für Professor Axel Müller-Groeling, Vorstand Forschungsinfrastrukturen und Digitalisierung der Fraunhofer-Gesellschaft, ist die Berücksichtigung des Wissenschaftssystems in den Entlastungsmaßnahmen der Bundesregierung ein ganz wichtiges Signal, für das er sich bedanken wolle. Das gelte für die Strom- und Gaspreisbremse sowie für den Härtefallfonds. Etwas präziser könne aus seiner Sicht die Information darüber sein, was bei einer Gasmangellage passiert. In Einzelfällen sollte über den Status des „geschützten Kunden“ nachgedacht werden, regte er an. Wichtig, so Müller-Groeling, sei aber auch der mittel- und langfristige Blick. Die Fraunhofer-Gesellschaft etwa habe nicht nur ein Problem mit den Kosten. Sie habe auch eine stark konjunkturabhängige Ertragslage, wo ein Rückgang drohe, auf den mit Einsparungen reagiert werden müsse. Treffen könne dies insbesondere junge Wissenschaftler, was den Fachkräftemangel weiter verschärfen würde.
Professor Karsten Neuhoff, Abteilungsleiter Klimapolitik beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), sah das ähnlich. Die Budgets der Wissenschaftseinrichtungen ließen wenig Flexibilität zu. Änderungen gingen zu Lasten der Neueinstellung junger Wissenschaftler. Daher dürften die Belastungen nicht zu stark werden, verlangte er. Zum Thema Energiesparen, sagte Neuhoff: Dazu brauche es eine Motivation und auch die Befähigung. Motiviert werden könne dadurch, dass mindestens monatlich darüber informiert wird, wie viel Energie im Vorjahresvergleich eingespart wurde und welche Kosten dadurch vermieden wurden. Denkbar sei auch die Absenkung der Vorlauftemperaturen in Heizungssystemen beziehungsweise bei Warmwasser. Aus Sicht des DIW-Vertreters dürften die benötigten energetischen Sanierungen nicht als Adhoc-Maßnahmen angegangen werden. „Wir brauchen Sanierungstöpfe, damit die Maßnahmen in den nächsten fünf bis zehn Jahren gefördert werden können“, sagte er.
Der Präsident der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften Professor, Jan Wörner, forderte, die unterschiedlichen Konsequenzen bei Einsparungen zu bedenken. Abgesenkte Raumtemperaturen seien sicherlich verkraftbar. Sehr kritisch werde es hingegen, wenn durch eine Kürzung der Energie ein Systemversagen erwartbar ist. „Wenn ich einen Glasschmelzofen unter die Schmelztemperatur des Glases herunterregle, erstarrt das Glas im Ofen und der Ofen wird irreparabel beschädigt“, sagte Wörner.
Im Wettbewerb um diese höchst qualifizierten Personen sei Deutschland durch die generelle Inflation wie insbesondere die Energiepreissteigerung ein gravierender Nachteil erwachsen, sagte der Generalsekretär der Alexander von Humboldt-Stiftung Enno Aufderheide. Die staatlich festgelegten Stipendiensätze, die seit 2011 nicht erhöht wurden, seien nicht nur nicht mehr international konkurrenzfähig. „Vor allem reichen sie nicht mehr für einen akzeptablen Lebensstandard aus, zumal neu einreisende Ausländer meist besonders teure Mieten akzeptieren müssen“, so Aufderheide. Eine Erhöhung der Stipendienmittel sei für die Alexander von Humboldt-Stiftung unverzichtbar, um die insbesondere in Folge der Energiepreissteigerungen eingetretene Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Forschung auf dem internationalen Markt rückgängig zu machen.