Übereinkunft mit den USA zu keinem Zeitpunkt möglich
Berlin: (hib/CRS) Der 1. Untersuchungsausschuss hat heute seine Arbeit mit der Befragung des ehemaligen Referenten der Ständigen Vertretung Deutschlands bei der Nato fortgesetzt. Im Mittelpunkt des Interesses der Ausschussmitglieder stand vor allem die Koordination zwischen den USA und den Nato-Verbündeten hinsichtlich des Doha-Abkommens, das Ende Februar 2020 den Rückzug der internationalen Truppen aus Afghanistan einleitete.
Der Zeuge erklärte dem Ausschuss, unter den deutschen Vertretern bei der Nato seien die Verhandlungen zunächst als eine Chance begriffen worden. „Wir dachten, dass die Verhandlungen zu einer politischen Lösung des andauernden militärischen Konfliktes führen könnten.“ Doch relativ bald sei klar geworden, dass sich die Taliban nicht dem Geist des Vertrages entsprechend verhalten und den Friedensprozess konstruktiv angehen würden.
Das Abkommen zwischen den USA und den Taliban sei schwammig gewesen. „Uns war bewusst, dass die Amerikaner den Text des Abkommens sehr eng ausgelegt haben.“ Viele Alliierte hätten sich gewünscht, dass die Abzugsgeschwindigkeit mit substanziellen Fortschritten im innerafghanischen Friedensprozess und der Gewaltreduzierung verbunden wird.
Die Nato-Verbündeten hätten den Text relativ kurz nach der Veröffentlichung des Abkommens einsehen können. Er sei ihnen jedoch nicht übergeben worden. Deshalb habe man den Text abschreiben müssen. Das sei außergewöhnlich bei der Nato gewesen, jedoch verständlich, befand der Zeuge. Schließlich habe es sich bei dem Abkommenstext nicht um ein Nato-Dokument, sondern um ein US-Dokument gehandelt.
Die Entscheidung alle Truppen abzuziehen, sei für ihn überraschend gewesen, erklärte der frühere Nato-Referent weiter. Das Auswärtige Amt habe seine Überraschung geteilt.
Nach der Wahl von US-Präsident Joe Biden hätte die US-Administration den Verbündeten zugesagt, ihr Vorgehen mit ihnen abzustimmen. Sie habe das Abkommen auch einer Prüfung unterzogen. In deren Zuge seien auch die Verbündeten um ihre „Sichtweise“ gebeten worden und man sei diesem Wunsch nachgekommen. Dem Zeugen zufolge sei es aber zu keinem Zeitpunkt nach der Veröffentlichung des Doha-Abkommens möglich gewesen, eine Übereinkunft mit den USA zu erreichen, um von einem zeitbasierten zu einem konditionsbasierten Ansatz des Abkommens zu kommen.
Der damalige Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) habe bei einem Außenministertreffen der Nato eine entsprechende Initiative gestartet und gefordert, keinen Automatismus beim Truppenabzug hinzunehmen. Er habe vorgeschlagen, dass die Alliierten die Lage gemeinsam bewerten und entscheiden. Die Vertreter Deutschlands hätten „durchgehend eng mit den Alliierten zusammengearbeitet“, stellte der ehemalige Referent der Ständigen Vertretung bei der Nato klar.
Er selber habe davor gewarnt, dass politische Kosten entstehen würden, sollte der Abzug schneller als in sechs Monaten vollzogen werden. Er habe befürchtet, dass ein „überhasteter Abzug ein instabiles Umfeld hinterlassen“ und zu einer chaotischen Zustand führen würde. Das wiederum hätte dem Ansehen der internationalen Gemeinschaft geschadet.
Die Zeugenbefragung wurde oft von einem Vertreter des Auswärtigen Amtes unterbrochen, der darum bat, in eine nichtöffentliche Sitzung zu übergehen, wenn aus den Dokumenten zitiert werde.
Ausländische Verbündete würden bei Gesprächen mit ihren deutschen Kollegen darauf vertrauen, dass der Inhalt vertraulich behandelt werde.
Die Befragung des Zeugen dauert noch an. Danach wird die Sitzung mit der Befragung des ehemaligen Leiters des für Afghanistan und Pakistan zuständigen Referats des Auswärtigen Amtes fortgesetzt.