Afghanistan-Ausschuss nimmt Doha-Abkommen unter die Lupe
Berlin: (hib/CRS) Mit einer öffentlichen Anhörung hat der 1. Untersuchungsausschuss Afghanistan am Donnerstag seine inhaltliche Arbeit aufgenommen. Thema war die Lage in Afghanistan zum Zeitpunkt des Doha-Abkommens über einen US-Truppenabzug aus Afghanistan. Die USA und die radikalislamischen Taliban hatten es im Februar 2020 unterzeichnet. Zunächst hörte der Ausschuss Sachverständige zur Lage der Zivilgesellschaft und der Stabilität der Institutionen in dieser Zeit an.
Der vom Deutschen Bundestag am 8. Juli 2022 eingesetzte 1. Untersuchungsausschuss der 20. Wahlperiode befasst sich unter Leitung von Ralf Stegner (SPD) mit den Geschehnissen im Zusammenhang mit dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan und der Evakuierung des deutschen Personals, der Ortskräfte und anderer betroffener Personen. Betrachtet wird der Zeitraum vom 29. Februar 2020 - dem Abschluss des Doha-Abkommens - bis zum Ende des Mandats zur militärischen Evakuierung aus Afghanistan am 30. September 2021.
Conrad Schetter vom Bonn International Center for Conflict Studies erklärte in der mehrstündigen Sitzung, das Abkommen sei aus Sicht der Friedensforschung „handwerklich miserabel“ gewesen. Es hätten verbindliche Kriterien, Instrumente zum Monitoring und ein Plan gefehlt, an den die Vertragspartner sich hätten orientieren könnten. Außerdem habe es keine Koordinierung zwischen dem Abzug der US-Militärs aus Afghanistan und der Implementierung des Abkommens gegeben. Viele Afghanen hätten nicht daran geglaubt, dass die USA und ihre internationalen Verbündeten sich tatsächlich aus dem Land zurückziehen würden und seien deshalb unvorbereitet gewesen.
Seine Kollegin Katja Mielke unterstrich, das Abkommen sei bilateral zwischen der US-Regierung und den Taliban verhandelt und viele Akteure „außen vor gelassen“ worden, etwa die damalige afghanische Regierung, die Vertreter der Zivilgesellschaft und nach ihrer Kenntnis auch die internationalen Partner der USA.
Mariam Safi von der Organization for Policy Research and Development Studies urteilte ebenfalls, die afghanische Zivilgesellschaft sei während des ganzen Prozesses umgangen worden. Sie hätte gehofft, dass Deutschland ihre Forderungen an den Verhandlungstisch herantragen würde. Doch sie seien enttäuscht worden. Deutschland, fügte sie hinzu, sei nach den USA der wichtigste internationale Akteur in Afghanistan gewesen. Die deutschen Diplomaten hätten jahrelang immer auch mit der Zivilgesellschaft gesprochen und ihre Meinung eingeholt.
Zu den entwicklungspolitischen Aspekten äußerten sich der ehemalige Regionalleiter der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, GIZ (früher GTZ), Hans-Hermann Dube, und Ellinor Zeino, die ehemalige Leiterin des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kabul. Dube berichtete, die Gelder der internationalen Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit, vor allem die der USA, seien der Korruption im Land zum Opfer gefallen. „Die Gelder wurden sofort wieder aus dem Land gebracht“, sagte Dube. Dennoch habe gerade die deutsche Entwicklungspolitik viel erreicht und genieße in Afghanistan weiterhin hohes Ansehen. Im Hinblick auf das Bestreben Chinas, seinen Einfluss in Afghanistan auszuweiten, sprach er sich für die Fortführung der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit im Land aus. Zeino hingegen vertrat die Ansicht, durch die große finanzielle Hilfe der Geberländer sei Afghanistan in Abhängigkeit zum Ausland geraten.
Thema der Anhörung waren auch die Abschiebungen aus Deutschland nach Afghanistan im Sommer 2021. Katja Mielke erklärte, dass die Sicherheitslage im Land durch das Doha-Abkommen nicht positiv beeinflusst worden sei. Die Gewalt vor allem gegen die Zivilgesellschaft habe sogar zugenommen. Sie vertrat daher die Ansicht, dass die Abschiebungen damals hätten überdacht werden sollen.
Die Anhörung wurde bis spät in den Abend fortgesetzt.