Vergaberecht lässt Spielraum für schnelle Beschaffung
Berlin: (hib/EMU) Der Wirtschaftsausschuss hat sich am Montag, 4. Juli 2002, mit der Beschaffung von Waffen und Ausrüstung bei der Bundeswehr befasst. Grundlage der öffentlichen Anhörung ist der Entwurf des Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetzes (BwBBG) der Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP (20/2353). Der Gesetzentwurf sieht hauptsächlich eine Änderung des Vergaberechts vor.
Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine habe nachhaltige Auswirkungen auf die gesamte europäische Sicherheitsordnung heißt es in dem Gesetzentwurf. Die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr müsse daher unverzüglich und schnellstmöglich erhöht werden. Mit Hilfe des beschlossenen Sondervermögens in Höhe von 100 Milliarden Euro werde die Bundeswehr in den kommenden Jahren umfangreiche Anschaffungen tätigen.
Die sieben geladenen Sachverständigen waren sich bei der Befragung durch die Fraktionen fast durchgehend einig, dass es bereits vor dem eigentlichen Vergabeverfahren Möglichkeiten gäbe, die Beschaffung zu beschleunigen, beispielsweise bei der Formulierung der Ausschreibung.
Hans Christoph Atzpodien, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV), sagte, die momentan geltenden Regeln des Vergaberechts ließen zwar schon einen großen Spielraum, doch eine Reform der vergaberechtlichen Mittel alleine sei dennoch nicht ausreichend. So sei es wichtig, die Forderungen an die zu beschaffenden Produkte abzusenken: „Wir haben uns im Bereich der Anforderungen in geradezu abenteuerliche Luxushöhen geschraubt“, sagte Atzpodien. Komme man davon weg, öffne dies die Tür zu den bereits auf dem Markt verfügbaren Lösungen.
Matthias Wachter, Abteilungsleiter Internationale Zusammenarbeit, Sicherheit, Rohstoffe und Raumfahrt beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), sieht das ganz ähnlich: Man müsse die Industrie und die Produkte, die sie bereits anbiete, in einer Marktanalyse eruieren. „Die großen zeitlichen Verzögerungen bei der Beschaffung entstehen bei den vorgeschalteten Prozessen.“ Es sei daher sinnvoll, zunächst zu prüfen, welche Verfügbarkeiten die Hersteller haben, bevor man Vergabeverfahren zur Entwicklung neuer Produkte aufsetze.
Kornelia Annette Lehnigk-Emden, Vizepräsidentin des Bundesamtes für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw), bewertete die Forderungslage ebenfalls als zu hoch. Es müsse geprüft werden, ob nicht auch 80 Prozent der Anforderungen reichten. Zudem dauere zum einen die Planungsphase bereits zu lange, Lehnigk-Emden sprach von teilweise vier bis fünf Jahren. Zum anderen müsse die Industrie stärker dazu angehalten werden, zu den im Vertrag festgeschriebenen Bedingungen zu liefern.
Michael Eßig, Inhaber des Lehrstuhls Beschaffungs- und Supplymanagement an der Universität der Bundeswehr München, bewertete den Start des Beschaffungsprozesses als „wichtigste Phase“. So könne der Rückgriff auf standardisierte Lösungen sehr wirksam sein, dies sei so auch bereits im Gesetzentwurf vorgesehen. Er könne sich vorstellen, so Eßig, dass viele Regelungen des BwBBG auch über einen längeren Zeitraum gut wirksam sein könnten und plädierte dafür, dass Gesetz von vorneherein länger anzusetzen. Denn selbst wenn passende Lösungen für das Bedürfnisse der Bundeswehr bereits auf dem Markt zu Verfügung stünden, müssten diese ja zunächst auch gebaut und geliefert werden.
Norbert Dippel, Fachanwalt für Vergaberecht, sagte, dass in seinen Augen die Zusammenführung von Bedarfen und Losen zu einer Verringerung des Wettbewerbs führen werde. Sollten zum Beispiel zeitliche Umstände eine Gesamtvergabe beeinflussen, so hätten mittelständische Unternehmen in diesem Fall „kaum eine Chance, in die erste Reihe zu kommen“, sagte Dippel. Das Vergaberecht lege schließlich nur den Weg fest, wie etwas beschafft werde und nicht, was. Es sei daher wichtig, genauere Kriterien an die Beschaffungskonditionen anzulegen.
Martin Burgi, Leiter der Forschungsstelle für Vergaberecht und Verwaltungskooperationen an der Ludwig-Maximilians-Universität München, sieht noch mehr Potenzial bei der Beschleunigung. Da es sich bei der Umsetzung des Sondervermögens, das ja die Grundlage für die Beschaffungsoffensive bilde, um einen Ausnahmetatbestand handele, müsse dort mit mehr Druck gearbeitet werden. Dies gebe gleichzeitig auch eine verfassungsrechtliche Rückendeckung für die Beschleunigung. Er appellierte zudem, die Gültigkeit des BwBBG direkt länger zu befristen als die bislang vorgesehenen dreieinhalb Jahre
Claudia Haydt, Mitglied im Vorstand der Informationsstelle Militarisierung (IMI), zeigte sich überzeugt, dass sich mit der Beschleunigung der Vergabe die Gefahr der Misswirtschaft noch vergrößere. Sie identifizierte zudem die Kosten, die nach der Vergabe und Vertragsunterzeichnung von Seiten der Industrie „aus dem Ruder laufen“ als Problem. Der Gesetzentwurf schmälere die rechtsstaatlichen Möglichkeiten, diesen Missbrauch zu bekämpfen. Auch die Größe des Sondervermögens in Höhe von 100 Milliarden Euro könnte den Missbrauch der Mittel ebenfalls befördern, sagte Haydt.