Nachbesserungsbedarf an Novelle zum Energiewirtschaftsrecht
Berlin: (hib/HAU) Die Pläne der Bundesregierung zum beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien, zur Engpass-Beseitigung bei Stromnetzen und zur Schaffung von Rechtsklarheit bei der Kündigung des Vertrags seitens des Energielieferanten in Zeiten steigender Energiepreise, stoßen bei Sachverständigen grundsätzlich auf Zustimmung. Der dazu vorgelegte Gesetzentwurf „zur Änderung des Energiewirtschaftsrechts im Zusammenhang mit dem Klimaschutz-Sofortprogramm und zu Anpassungen im Recht der Endkundenbelieferung“ (20/1599) müsse gleichwohl an einigen Stellen nachgebessert werden, wurde während einer öffentlichen Expertenanhörung des Ausschusses für Klimaschutz und Energie am Mittwoch gefordert.
Dem Entwurf zufolge soll das Ziel der Treibhausgasneutralität im Jahr 2045 unmittelbar in das Energiewirtschaftsgesetz aufgenommen und in dort geregelten Prozessen stärker verankert werden. Die Netzentwicklungsplanungen sollen um die Berechnung eines Klimaneutralitätsnetzes ergänzt und auch Planungen auf Verteilernetzebene konsequent an dem Ziel einer vorausschauenden und effizienten Bedarfsdimensionierung ausgerichtet werden. Das Energiewirtschaftsgesetz soll außerdem um die bußgeldbewährte Vorgabe ergänzt werden, dass auch eine planmäßige Beendigung der Energiebelieferung von Haushaltskunden der Bundesnetzagentur mindestens drei Monate im Voraus anzuzeigen ist und betroffene Kunden zu informieren sind. Die Bundesnetzagentur soll dem Entwurf zufolge zudem zusätzliche Aufsichtsbefugnisse gegenüber Energielieferanten erhalten.
Achim Zerres, Leiter der Abteilung Energieregulierung bei der Bundesnetzagentur, nannte die Regelungen im Sinne des Verbraucherschutzes „sehr gut“. Gleichzeitig sprach er sich für die Einführung „pauschalierter Mindestschadensersatzansprüche“ für Haushaltskunden aus. Lieferanten, die bewusst die Geschäftstätigkeit entgegen den Regelungen einstellen und die Verbraucher „im Regen stehen lassen“, könnten so auch von ihren Kunden einfacher zur Verantwortung gezogen werden, sagte Zerres.
Es seien vielfach die Stadtwerke gewesen, die Ende vergangenen Jahres und Anfang dieses Jahres die von unseriösen Energielieferanten im Stich gelassenen Endkunden aufgefangen haben, sagte Ingbert Liebing, Hauptgeschäftsführer beim Verband Kommunaler Unternehmen. Das sei mit einem Kraftakt verbunden gewesen, für den die Versorger von Medien und Verbraucherschützern als „Abzocker“ beschimpft worden seien. „Dieses Szenario aus dem Winter 2021/2022 darf sich nicht wiederholen“, sagte Liebing. Zu begrüßen sei daher die Beendigung der Gleichpreisigkeit von Ersatz- und Grundversorgung im Haushaltskundenbereich. Damit werde dem Bedürfnis von Grundversorgern Rechnung getragen, in ihrer Funktion als Interimsversorger auch preislich kurzfristig auf höhere Beschaffungskosten reagieren zu können.
Dass das Pariser-Klimaziel im wichtigsten Gesetz für die Rahmenbedingungen der Energiewirtschaft angekommen ist, sei ein Meilenstein, befand Nadine Bethge von der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Zu kritisieren sei, das die Gasnetzplanung von der Neuregelung nicht erfasst werde. Heutige Prozesse der Gasnetzplanung seien jedoch nicht geeignet, um den Übergang in ein Klimaneutralitätsnetz zu gestalten, sagte Bethge. Gut sei aus Sicht der DUH die Herstellung von Rechtssicherheit für die Höherauslastung des Bestandsnetzes. Netze könnten so optimiert und ertüchtigt werden, „dass mehr Strom als bisher mittels Übertragungsnetz transportiert wird, ohne dass sich die Grenzwerte für elektromagnetische Felder derart ändern, dass es Auswirkungen auf die Gesundheit hätte“.
Andrees Gentzsch vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft verwies darauf, dass es nicht ausreiche erneuerbare Energien auszubauen, „wenn wir die Netze nicht haben, um sie zum Kunden zu bringen“. Hier sei eine synchrone Entwicklung nötig. „Auch die Netze müssen ausgebaut werden“, so Gentzsch. Das für die erneuerbaren Energien im Gesetz festgeschriebene „überragende öffentliche Interesse“ müsse auch für den Netzausbau gelten, forderte er.
Auch wenn der Gesetzentwurf in die richte Richtung gehe, habe er aus Sicht der Regionalversorger „diverse systemische Mängel“, sagte Rainer Kleedörfer von der Städtische Werke Nürnberg GmbH. So würden beispielsweise zeitliche Abhängigkeiten zwischen dem Ausbau der erneuerbaren Energien und dem dafür erforderlichen Stromverteilnetzausbau ungenügend berücksichtigt. Es müsse damit gerechnet werden, dass neue größere lastferne Photovoltaikanlagen Gefahr laufen, über Jahre hinweg und vorrangig im Sommerhalbjahr deutlich - im Extremfall bis auf Einspeisung von Null - abgeriegelt werden. Daher müsse der Ausbau vorrangig lastnah und unter Berücksichtigung noch vorhandener Aufnahmekapazitäten in den Stromverteilnetzen gestaltet werden.
Stefan Kapferer, Vorsitzender der Geschäftsführung beim Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz, begrüßte die Abschaffung von Freileitungsprüfverlangen für neue Leitungsvorhaben zur Höchstspannungs-Gleichstrom-Übertragung, für die noch keine Antragskonferenz durchgeführt wurde. Nachbesserungsbedarf gebe es beim Thema vorzeitiger Baubeginn - auch für bereits in der Planung befindliche Projekte. Auch bei der Höherauslastung der Bestandnetze brauche es Änderungen. Wenn dafür ein Mast erhöht werden muss, dürfe das nicht neue Planungsverfahren erfordern, sagte er.
Stefan Richter vom Energieversorger EON forderte, den Fokus nicht nur auf den Ausbau der Übertragungsnetze, sondern auch auf den erforderlichen zügigen Ausbau der Verteilernetze zu richten. Die Verteilernetze seien „Massen- und Endkundennetze“ und stünden daher im Zentrum aller aktuellen und zukünftig in noch höherer Geschwindigkeit zu erfüllenden klimawendebedingten Kundenbedürfnisse, sagte er. In dem Entwurf kämen aber Verteilernetzbetreiber nicht vor. Dabei seien sie der Flaschenhals zwischen den Übertragungsnetzen und den zukünftig stark anwachsenden Photovoltaik-Anlagen.
Hans-Günter Appel vom Verein Stromverbraucherschutz warnte indes vor einer stetigen Verteuerung von Energie. Es ist nicht zu verantworten, die knappe und teure Energie durch den Bau von Wind- und Solaranlagen noch weiter zu verknappen, sagte er. Appel plädierte für einen Stopp des Baus weiterer Wind- und Solaranlagen und den Ausbau vorhandener Wärme- und Wasserkraftwerke. Die Effizienz von Wärmekraftwerken könne noch um 10 bis 15 Prozent verbessert werden durch Erhöhung der Dampftemperatur, sagte Appel. Damit werde der heutige Windstrom durch höherwertigen Regelstrom weitgehend ersetzt.