Bundesregierung: Lage in Afghanistan weiterhin dramatisch
Berlin: (hib/SAS) Die Bundesregierung zeigt sich besorgt über die weiterhin dramatische humanitäre Lage in Afghanistan. Über 24 Millionen Menschen und damit fast 60 Prozent der Bevölkerung des Landes seien von humanitärer Hilfe abhängig und von Hunger bedroht, sagte ein Vertreter des Auswärtigen Amtes im Rahmen einer Unterrichtung des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe am Mittwochnachmittag.
Als Ursache dafür sei jedoch nicht in erster Linie die Machtergreifung der radikalislamischen Taliban im August 2021 zu sehen, sondern eine starke Dürre verbunden mit den Folgen der Corona-Pandemie, die auch das Land am Hindukusch mit Wucht getroffen hätten. Die Machtergreifung der Taliban verschärfe jedoch die Lage, so der Regierungsvertreter im Gespräch mit den Abgeordneten. Das Regime kämpfe mehr mit seinen internen Differenzen als gegen die tiefe Krise.
Mit großer Sorge beobachte die Bundesregierung zudem das Erstarken dschihadistischer und terroristischer Gruppierungen. Die Not und Perspektivlosigkeit der Menschen erleichtere es ihnen, neue Anhänger zu rekrutieren. Die Folgen seien bereits sichtbar: Die Zahl der Anschläge steige, berichtete der Vertreter des Auswärtigen Amtes und verwies auf eine gerade erst in der vergangenen Woche verübte blutige Attacke auf eine Jungenschule in Kabul. Oft reklamiere die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) solche Taten für sich, häufig richteten sie sich die Anschläge gegen Angehörige der schiitischen Minderheit der Hasara.
Die organisierte Kriminalität nehme ebenfalls bedrohlich zu, sagte der Regierungsvertreter, insbesondere die Produktion und der Schmuggel von Drogen. Aber auch der Handel mit Waffen, Menschen oder menschlichen Organen wachse. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungenhabe sich auch der Migrationsdruck in Richtung Iran erhöht. Weil die meisten afghanischen Flüchtlinge die Grenze zum Nachbarland illegal überquerten, ließe sich die genaue Zahl aber nur schwer genau beziffern. Nach iranischen Angaben seien seit August 2021 mehr als 800.000 Menschen nach Iran geflohen, das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) gehe von 300.000 Flüchtlingen aus.
Die Hilfe der Bundesregierung für die Menschen vor Ort orientiere sich weiterhin an den Leitlinien des im Dezember 2021 vorgestellten Aktionsplans Afghanistan, erklärte der Vertreter des Auswärtigen Amtes: Damit habe die Ampelkoalition unter anderem 600 Millionen Euro bereitgestellt. Im Rahmen einer Geberkonferenz Ende März habe Deutschland weitere 200 Millionen Euro an humanitärer Hilfe für Afghanistan zugesagt.
Weiterhin arbeite die Bundesregierung auch daran, Schutzbedürftige außer Landes zu bringen. Von den etwa 30.000 Afghaninnen und Afghanen, die unter anderem als Ortskräfte für Deutschland im Einsatz gewesen und daher besonders bedroht seien, habe die Regierung inzwischen etwa 19.000 nach Deutschland holen können. Nicht bei allen, die auf den Listen der Bundesregierung verzeichnet gewesen seien, bestehe noch Ausreisebedarf, so der Vertreter des Auswärtigen Amtes, doch man rechne damit, noch etwa weitere 10.000 Personen nach Deutschland zu bringen.
Im anschließenden Gespräch thematisierten die Abgeordneten unter anderem die Lage von Frauen und Mädchen nach dem Schulverbot ab der siebten Klasse und der Freilassung von Gewalttätern aus Gefängnissen, sie fragten nach der Sicherheitslage als Bedrohung für die Arbeit von Hilfsorganisationen und den Auswirkungen von internationalen Sanktionen gegen das Taliban-Regime auf die humanitäre Lage am Hindukusch.