Chef des VN-Flüchtlingshilfswerks fordert mehr Finanzhilfen
Berlin: (hib/SAS) Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, Filippo Grandi, hat angesichts weltweit steigender Flüchtlingszahlen mehr internationale Finanzhilfen gefordert. Im Gespräch mit den Mitgliedern des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe am Mittwochnachmittag sagte der Chef des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR), seine Organisation sei aufgrund zunehmender Konflikte und Klimakatastrophen mit „immer größeren und komplexeren“ Bevölkerungsbewegungen konfrontiert. Grandi betonte, er sei Deutschland, das nach den USA zweitgrößter Geber des VN-Flüchtlingshilfswerks sei, sehr dankbar für die bisherige Unterstützung. Gleichzeitig machte aber deutlich, dass die Not der Flüchtlinge weltweit wachse - und damit auch der Hilfsbedarf. 2021 habe das UNHCR in 40 Fällen einen Notstand ausrufen müssen. Das sei ein Rekord, sagte Grandi in der von Renata Alt (FDP) geleiteten Sitzung des Ausschusses.
Ende 2021 hatte das UNHCR bereits berichtet, dass weltweit mehr als 84 Millionen Menschen auf der Flucht seien. Fast 51 Millionen Menschen lebten dem Report zufolge als Binnenflüchtlinge. Immer häufiger müssten die Mitarbeiter des Flüchtlingshilfswerks auch mit Regierungen kooperieren, die entweder international nicht anerkannt oder aber mit Sanktionen belegt seien. Dies gestalte die Arbeit seiner Organisation oft zusätzlich schwierig, erklärte der Flüchtlingskommissar.
Ein besonderer Fall sei in dieser Hinsicht Afghanistan, so Grandi. Hier sei das UNHCR auch nach der Machtübernahme der Taliban im August 2021 im Land geblieben und habe dank internationaler Spenden im Winter „das Schlimmste verhindern können“. Dennoch bleibe die humanitäre Situation besorgniserregend: Etwa 97 Prozent der Menschen lebten unterhalb der Armutsgrenze, fast die Hälfte der Bevölkerung habe zu wenig zu essen, die Zahl der Binnenvertriebenen steige.
Jedoch gebe es auch Fortschritte: Die Sicherheitslage und der Zugang für die Helfer seien „besser als früher“, betonte Grandi. Mehr als 200.000 Menschen hätten sogar wieder in ihre Heimat zurückkehren können. Trotzdem warb der UNHCR-Chef für weitere Hilfen: Es gehe um den Aufbau der Wirtschaft und Geld, um Gehälter im öffentlichen Dienst zu zahlen. Sonst drohe das System in Afghanistan vollends zu kollabieren. Der Flüchtlingskommissar warnte in diesem Zusammenhang vor noch größeren Migrationsbewegungen. Die internationale Gemeinschaft müsse daher einen Modus Vivendi im Umgang mit den Taliban finden, mahnte Grandi.
Auch gelte es noch stärker, Länder in Krisenregionen zu unterstützen, welche die Hauptlast der Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen trügen. In diesem Zusammenhang machte UNHCR-Chef auf den gestiegenen Hilfsbedarf in der Sahelzone sowie in Syrien aufmerksam: In Westafrika brauche insbesondere der Niger größere internationale Unterstützung. Das Land liege an komplexen Migrationsrouten und sei von den Auswirkungen der Gewalt in Burkina Faso und Mali betroffen. Aber auch Klimaveränderungen führten verstärkt zu Migrationsbewegungen. Hier setze das UNHCR inzwischen auf Datenanalysen ein, um sich auf solche Entwicklungen besser einstellen zu können.
Verschlechtert habe sich auch die Lage in Syrien, erklärte Grandi. Er habe fast jährlich das Bürgerkriegsland besucht, doch nie zuvor sei das Elend so groß gewesen wie jetzt. Dafür seien auch die gegen das Regime auch seitens der EU verhängten Sanktionen verantwortlich, unterstrich der UNHCR-Chef und forderte mehr Hilfen für die Bedürftigen. Es brauche ein größeres internationales Engagement, um im Land Bedingungen zu schaffen, dass die Flüchtlinge irgendwann auch wieder zurückkehren könnten. Dafür müsse man auch mit der syrischen Regierung zusammenarbeiten.
In der anschließenden Diskussion betonten die Abgeordneten durchweg die Bedeutung der Flüchtlingshilfe und sicherten Unterstützung für die Arbeit des UNHCR zu. Deutschland sei sich seiner Verantwortung bewusst, versicherte ein Vertreter der FDP-Fraktion mit Blick auf die anstehenden Haushaltsberatungen. Die SPD-Fraktion erkundigte sich nach der Haltung des Flüchtlingskommissars zu Pushbacks an den EU-Außengrenzen, die Unionsfraktion fragte nach möglichen Ansätzen zur Stärkung des Globalen Pakts für Flüchtlinge. Die Erwartungen des UNHCR an die neue Bundesregierung in Bezug auf Resettlement-Verfahren interessierten die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, während die AfD-Fraktion die Frage aufwarf, ob Asylsuchende, die vom belarussischen Diktator Alexander Lukaschenko als Druckmittel gegen die EU eingesetzt würden, als Flüchtlinge anzusehen seien. Die Fraktion Die Linke thematisierte die Auswirkungen von Sanktionen, die nicht nur die humanitäre Lage verschlechterten, sondern auch verhinderten, dass Flüchtlinge in ihre Heimat zurückkehren könnten.