Sportwissenschaft: Experten beklagen mangelnde Anerkennung
Berlin: (hib/HAU) Die Sportwissenschaft hat in Deutschland nicht den Stellenwert, den sie verdient und benötigt. In dieser Einschätzung waren sich die zu einer öffentlichen Sitzung des Sportausschusses am Mittwoch geladenen Sachverständigen einig. Die Attraktivität sportwissenschaftlicher Forschung müsse gestärkt werden, sagte die Direktorin des Bundesinstituts für Sportwissenschaft (BISp), Andrea Schumacher. Professor Ansgar Thiel, Rektor der Deutschen Sporthochschule Köln (DSHS), bemängelte, dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft die Sportwissenschaft „noch nicht einmal als eigenständiges Gebiet anerkennt“.
Mehr Mut zur Zentralisierung forderte Professor Gregor Hovemann, Dekan der Sportwissenschaftlichen Fakultät an der Universität Leipzig. Professor Christopher Heim, Vorsitzender des Fakultätentags Sportwissenschaft, sieht ein strukturelles Problem darin, dass die Sportinstitute an den Universitäten oftmals sehr klein seien, daher nur ganz selten eigene Fachbereiche darstellten und es daher nicht einfach sei, „sich Gehör zu verschaffen“.
Beim Bundesinstitut für Sportwissenschaft stehe die Forschung auf dem Gebiet des Leistungssports im Fokus, sagte BISp-Direktorin Schumacher. Man agiere als Partner im wissenschaftlichen Verbundsystem mit den Universitäten, aber auch der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft. Mit diesen Partnern sei es in den letzten Jahren gelungen, relevante interdisziplinäre Großprojekte auf den Weg zu bringen und auch umzusetzen.
Im Haushaltsentwurf für 2025 stünden für das BISp rund 6,5 Millionen Euro zur Verfügung, sagte Schumacher. Rund 60 Prozent der Mittel seien durch laufende Projekte gebunden. Die BISp-Direktorin verwies darauf, dass in den letzten zehn Jahren die beantragten Fördervolumina „immer über denen der bewilligten Anträge“ gelegen hätten. Daher seien auch förderungswürdige Projektanträge mangels finanzieller Mittel nicht zum Zuge gekommen. Da zudem die Drittmittelausstattung an den Universitäten im Bereich Sportwissenschaft hinter der anderer Fakultäten deutlich zurückbleibe, sei die Leistungssportforschung für den wissenschaftlichen Nachwuchs unattraktiver.
Die Mittel für die Spitzensportforschung seien im internationalen Vergleich „geradezu verschwindend gering“, sagte DSHS-Rektor Thiel. „Wie soll da auf Dauer überhaupt exzellente Forschung möglich sein“, fragte er. Thiel nannte die Lage der Sportwissenschaften in Deutschland „dramatisch“. Sie werde noch immer als ein praxisorientiertes Hobbyfach wahrgenommen. Eine solche Wahrnehmung sei fatal und basiere auf Unwissenheit.
Die Disziplin habe sich längst zu einer empirisch interdisziplinären Wissenschaft entwickelt, die genauso ernst genommen werden müsse wie Psychologie oder Physik, sagte Thiel. Ohne einen radikalen Kurswechsel und ohne massive Investitionen in Personal und Infrastruktur, so der Rektor der Deutschen Sporthochschule Köln, verschenke man ein riesiges Potenzial.
Gregor Hovemann, Dekan der Sportwissenschaftlichen Fakultät an der Universität Leipzig, sieht seine Fakultät mit Blick auf die Infrastruktur ganz gut aufgestellt. Gleichwohl müsse die Quote Professur zu Student, die in Leipzig bei 1 zu 120 liege, verbessert werden.
Hovemann sprach sich dafür aus, im Bereich des Spitzensports mehr Mut zur Zentralisierung und Profilierung aufzubringen. „Die Zerklüftetheit der Sportförderung und der Sportwissenschaft ist meines Erachtens nicht zuträglich für die im Spitzensport verfolgten Ziele“, sagte er. In Deutschland werde viel Geld in die Hand genommen. Die Gießkanne führe aber nicht dazu, dass damit ein befriedigendes Niveau erreicht werde.
Die Sportwissenschaft sei eine relativ junge Disziplin, sagte Professor Christopher Heim, von der Abteilung Sportpädagogik am Institut für Sportwissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Da es die Disziplin seit ungefähr 50 Jahren gebe, seien auch viele sportwissenschaftliche Institute an den Universitäten und Hochschulen 50 Jahre alt und daher in dem entsprechenden Renovierungsstau, sagte Heim, der zugleich Vorsitzender des Fakultätentags Sportwissenschaft ist.
Er wies zudem darauf hin, dass es historisch bedingt einen sehr großen Mittelbau bei nur wenigen Professuren gebe. Insofern müsse man sich „um viele Menschen zusätzlich kümmern“, was die zeitlichen Forschungsmöglichkeiten einschränke.