Kritik an Unionsvorschlägen zu Strafverschärfungen
Berlin: (hib/SCR) Ein Gesetzentwurf der Unionsfraktion „zur Änderung des Strafgesetzbuches und weiterer Gesetze - Verbesserung des Opferschutzes, insbesondere für Frauen und verletzliche Personen“ (20/12085) ist am Mittwoch in einer Anhörung im Rechtsausschuss überwiegend auf Kritik gestoßen. Die Sachverständigen teilten zwar das grundsätzliche Anliegen der Vorlage, die konkreten Umsetzungsvorschläge stießen indes auf ein differenziertes kritisches Echo.
Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Verrohung, die ein immer größer werdendes gesellschaftliches Problem darstelle, und eines Anstiegs von Gewaltkriminalität soll der Vorlage zufolge unter anderem bei der gefährlichen Körperverletzung, dem schweren Raub und bei Mord als neues Qualifikations- beziehungsweise Mordmerkmal „unter Ausnutzung der körperlichen Überlegenheit“ eingefügt werden. Damit könnten künftig Gewalttaten insbesondere zum Nachteil von Kindern, Frauen, Senioren und Menschen mit Behinderungen angemessen bestraft werden, argumentiert die Union.
Die hib-Meldung zum Regierungsentwurf: https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-1011754
Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) hält die Vorschläge „zum größten Teil für ineffektiv, in Teilen für verfassungsrechtlich bedenklich und damit symbolhaft“, wie die Vorsitzende der Kommission Strafrecht des djb, Dilken Çelebi, ausführte. Wie auch andere Sachverständige argumentierte die von der SPD-Fraktion als Sachverständige benannte Juristin, dass Strafverschärfungen kriminologisch betrachtet keinen verstärkten generalpräventiven Effekt hätten. Auch das vorgeschlagene neue Mordmerkmal sah sie, wie etliche der übrigen Sachverständigen auch, kritisch. Verfassungsrechtlich begegne es Bedenken hinsichtlich des Bestimmtheitsgebotes. Zudem verkenne es den Wesenskern geschlechterspezifischer Gewalt. Dem Urteil von Çelebi schloss sich mit Catharina Conrad eine weitere Vertreterin des djb an. Die von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen benannte Sachverständige meinte, der Entwurf sei in „weiten Teilen ungeeignet“, das selbst gesteckte Ziel zu erreichen.
Positiver äußerte sich Professor Jörg Eisele (Universität Tübingen) zu dem Gesetzentwurf. Die vorgeschlagene Ahndung der Körperverletzung mit gefährlichen Gegenständen als Verbrechen sei zu begrüßen. Auch die vorgesehene Strafschärfung bei der Nachstellung sei überzeugend. Mit Blick auf das Merkmal „Ausnutzen der körperlichen Überlegenheit“ schlug Eisele vor, die Formulierung „Ausnutzung einer Schutzlosigkeit des Opfers“ zu nutzen. Diese wäre zielgenauer und hätte das Opfer im Blick, sagte der von der Unionsfraktion als Sachverständiger benannte Rechtswissenschaftler.
Die Beauftragte für den Opferschutz des Landes Nordrhein-Westfalen, Barbara Havliza, verwies auf die jüngst vom Bundeskriminalamt vorgelegten Zahlen zu Gewalt gegen Frauen. Sie zeigten, wie dringlich und wichtig das Thema sei. Havliza warb dafür, die Hilfs- und Beratungsangebote für Opfer stärker in den Blick zu nehmen. Zudem seien Änderungen in der Strafprozessordnung notwendig, um die überwiegend weiblichen Opfer zu schützen, etwa eine Ausweitung der psychosozialen Prozessbegleitung. Die von der Union vorgeschlagene elektronische Aufenthaltsüberwachung von Tätern sei wünschenswert, eine verfassungskonforme Regelung ohne Änderungen in Bundesgesetzen aber nur schwer umsetzbar, sagte die von der Unionsfraktion benannte Sachverständige.
Dorothea Hecht (Frauenhauskoordinierung e.V.) warb für verstärkte Prävention und Täterarbeit, um der Gewalt gegen Frauen zu begegnen. Es fehlten zudem 14.000 Frauenhausplätze sowie Standards für Gefährdungsanalysen und Gefahrenmanagement, sagte die von der SPD-Fraktion benannte Sachverständige. „Strafverschärfungen sind nicht die Antwort auf Femizide und Gewalt an Frauen. Das Strafrecht setzt viel zu spät an. Die Verurteilung zum Mord macht eine getötete Frau nicht wieder lebendig“, sagte Hecht in ihrem Eingangsstatement.
Professor Jörg Kinzig (Universität Tübingen) kritisierte, dass der Entwurf aus Sicht einer evidenzbasierten Kriminalitätspolitik sein Ziel verfehle. Er setze einseitig auf die Verschärfung von Strafrahmen. „Wie eine derart repressive Vorgehensweise zu einem besseren Opferschutz beitragen kann, wird leider nicht begründet“, so der von der FDP-Fraktion benannte Sachverständige. Eine „informierte Kriminalitätspolitik“ könne wissen, dass die Gleichung „Höhere Strafen gleich weniger Straftaten“ nicht aufgehe.
Dieser Argumentation schloss sich auch Holger-C. Rohne (Deutscher Anwaltverein) an. Strafrecht sei die Ultima Ratio, zunächst müssten erst einmal Vollzugsdefizite gestoppt werden, so der von der FDP-Fraktion benannte Sachverständige.
Undine Segebarth (Gewerkschaft der Polizei) nannte den Entwurf unzureichend. Die Einführung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung bringe nur etwas, wenn das Opfer auch über einen Annäherungsalarm gewarnt werde. „Die bloße Überwachung des Täters reicht nicht“, sagte die von der SPD-Fraktion benannte Sachverständige. Sie warb dafür, dass das von der Bundesregierung vorgelegte Gewaltschutzgesetz noch vor Ende der Legislaturperiode verabschiedet werde.
Isabella Spiesberger (Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit HG e.V.) betonte ebenfalls die Bedeutung von Prävention und Täterarbeit. Eine Erhöhung des Strafrahmens sah die von der Grünen-Fraktion benannte Sachverständige als nicht zielführend an. Schon jetzt würden Strafrahmen nicht ausgeschöpft. Die elektronische Aufenthaltsüberwachung sei nur in Kombination mit Täterarbeit eine langfristige Präventions- und Schutzmaßnahme, sagte Spiesberger.
Der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, betonte, dass man sich einig sei: „So wie es ist, kann es auf gar keinen Fall bleiben. Die Zahlen steigen und die Opferzahlen sind dramatisch.“ Die von der Union vorgeschlagenen Strafrahmenverschärfungen begrüßte Wendt. Man habe jahrzehntelang „Verständnis und Nachsicht“ mit Tätern geübt, kritisierte der von der Unionsfraktion benannte Sachverständige. Er betonte aber auch, dass Opferschutz und Prävention ausgebaut werden müssten.
Weitere Informationen zu der Anhörung auf bundestag.de: https://www.bundestag.de/ausschuesse/a06_recht/anhoerungen/1023326-1023326