2. Untersuchungsausschuss begann mit Zeugenvernehmungen
Berlin: (hib/HLE) Der Zweite Untersuchungsausschuss, der die Umstände des deutschen Atomausstiegs untersuchen soll, hat am Donnerstag mit der Vernehmung der ersten Zeugen begonnen. Im Mittelpunkt der vom Vorsitzenden Stefan Heck (CDU) geleiteten Sitzung stand die Vernehmung von drei Mitarbeitern des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit und Verbraucherschutz, die sich zur Erstellung verschiedener Vermerke zu einer möglichen Laufzeitverlängerung äußerten und zur Sicherheit der deutschen Kernkraftwerke.
Ein Mitarbeiter des Ministeriums schilderte, dass er im Februar 2022 einen Vermerk erstellt habe. Der Auftrag dazu sei mündlich erteilt worden. Von dem Auftrag sei er „überrascht“ gewesen. „Verschriftlicht“ habe er ihn nicht. Zum Inhalt sagte er, bei dem Vermerk habe es sich um eine Zusammenstellung bekannter Argumente gehandelt, die gegen den Weiterbetrieb der drei letzten Kernkraftwerke nach dem 31. Dezember 2022 gesprochen hätten. Am 31. Dezember sollte laut Gesetz die Abschaltung der letzten drei deutschen Atomkraftwerke erfolgen. Von Kanzler Olaf Scholz war aber eine Verlängerung der Laufzeit bis Mitte April 2023 durchgesetzt worden. Eine tiefer gehende Prüfung der Argumente habe es nicht mehr gegeben, sagte der Zeuge. Die Argumente seien bereits früher für die Ministerin zusammengestellt worden.
Angesprochen auf die aufgeführten Argumente gegen einen Weiterbetrieb schilderte der Zeuge, es seien von den Kraftwerksbetreibern bereits Verträge mit Firmen geschlossen worden, die mit dem Rückbau beginnen sollten. Auch wäre eine Periodische Sicherheitsüberprüfung (PSÜ) notwendig gewesen. Dabei werde das Kraftwerk ganzheitlich betrachtet und die Sicherheit werde bewertet.
Um die Periodische Sicherheitsüberprüfung ging es auch bei der Vernehmung des zweiten Zeugen aus dem Ministerium. Die PSÜ könne bei laufendem Betrieb erfolgen, schilderte der Zeuge. Eine PSÜ sei laut Atomgesetz alle zehn Jahre vorgeschrieben. Bei den drei letzten deutschen Atomkraftwerken sei die letzte Prüfung 2009 erfolgt. Die Betreiber hätten eine Vorschrift genutzt, dass die PSÜ entfallen könne, wenn die Abschaltung innerhalb der nächsten drei Jahre erfolgen werde. Der Zeuge wies auf Fragen darauf hin, dass die kontinuierliche Aufsicht sehr eng sei. Im Vergleich zu den laufenden Sicherheitsüberprüfungen von Kernkraftwerken spiele die PSÜ nur eine ergänzende Rolle. Die PSÜ ziehe sich über mehrere Jahre hin. Auf die Frage, ob auch ohne PSÜ ein Weiterbetrieb möglich gewesen werde, wollte sich der Zeuge nicht äußern. Er sei kein Sachverständiger. Der begrenzte Weiterbetrieb sei jedoch zu vertreten gewesen.
Von Abgeordneten konfrontiert mit Aussagen aus einem TÜV-Gutachten, dass ein Weiterbetrieb plausibel sei, sagte der Zeuge, es wären auch in diesem Fall weitere Prüfungen nötig gewesen. Was der TÜV aufgeschrieben habe, hätte überprüft werden müssen.
Ein weiterer Zeuge nahm zu einem von ihm mitverfassten Vermerk vom 1. März 2022 Stellung, in dem drei Szenarien hinsichtlich des Betriebs der Kraftwerke aufgestellt worden waren. Szenario A sei die geplante Abschaltung zum Jahresende 2022 gewesen. Szenario B sei ein begrenzter Weiterbetrieb gewesen. Szenario C habe einen längeren Weiterbetrieb der Kernkraftwerke beinhaltet. Man habe in dem Vermerk Punkte aufgeschrieben, die man sich anschauen müsse, wenn man zu einer Laufzeitverlängerung hätte kommen wollen. Eine abschließende Bewertung, ob eine Laufzeitverlängerung möglich sei, sei das nicht. Dass der Vermerk später verändert worden sei, habe er nicht gewusst.
Der Zeuge schilderte, dass er an dem gemeinsamem Vermerk von Umwelt- und Wirtschaftsministerium vom 7. März 2022, in dem ein Weiterbetrieb der Kernkraftwerke aus Gründen der nuklearen Sicherheit abgelehnt worden war, nicht beteiligt gewesen sei. Auch einen Vermerk vom 3. März 2022 aus dem Umweltministerium, in dem die Verlängerung der Laufzeiten als sicherheitstechnisch nicht vertretbar bewertet worden war, habe er erst nach der Veröffentlichung des gemeinsamen Vermerks beider Ministerien zu Gesicht bekommen.
Das Schreiben von Bundeskanzler Scholz Mitte Oktober, in dem dieser den Weiterbetrieb bis Mitte April 2023 angeordnet hatte, habe ihn überrascht, erklärte der Zeuge. Aber ein Weiterbetrieb bis Mitte April sei ihm lieber gewesen als das Vorhalten der Kernkraftwerke als Einsatzreserve. Ein kurzzeitiger Weiterbetrieb sei aus Gründen der Sicherheit die bessere Wahl gewesen.