Lotsen-System für den Wiedereinstieg in den Beruf umstritten
Berlin: (hib/HAU) Die von der CDU/CSU-Fraktion in einem Antrag mit dem Titel „Reintegration in das Erwerbsleben verbessern - Durch Lotsen positive Effekte für den Arbeitsmarkt und die Sozialversicherungen nutzen“ (20/9738) erhobenen Forderungen werden von Sachverständigen unterschiedlich beurteilt. Das wurde bei einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am Montagnachmittag deutlich. Das individuelle Fallmanagement soll nach den Vorstellungen der Unionsfraktion über die Gesetzliche Rentenversicherung organisiert werden. Dadurch soll die „Versorgung aus einer Hand“ gewährleistet werden. Die Lotsen sollen als Leistungserbringer an die Deutsche Rentenversicherung Bund, die Regionalträger der Deutschen Rentenversicherung sowie die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See angebunden werden. Ihnen soll laut Antrag die Verantwortung für die Koordination zwischen allen Beteiligten und die individuelle Unterstützung der Patienten durch Information, Beratung und Anleitung übertragen werden.
Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) verfolgt der Antrag die richtige und wichtige Zielsetzung, „die Anzahl der Erwerbsminderungsrenten durch gezielte Maßnahmen zur Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung zu reduzieren“, wie BDA-Vertreterin Susanne Wagenmann sagte. Die vorgeschlagene Verbesserung des Fallmanagements könne bei „komplexen Versorgungssituationen“ oder bei „hohen Behandlungsbedarfen“ sinnvoll sein. Vermieden werden müsse dagegen der Aufbau von Doppelstrukturen, so die BDA.
Hugo Mennemann von der Deutschen Gesellschaft für Care und Case Management hält eine Berücksichtigung des Fallmanagements, oder auch Lotsen-Konzepts, in seiner Spezifik im SGB VI mit Blick auf nachhaltige Hilfe für die Versicherten wie auch mit Blick auf die gesellschaftlichen und politischen Effekte, einschließlich ökonomischer, für dringend empfehlenswert. Die Aufnahme des Fallmanagements im SGB VI sei notwendig, um alle in Frage kommenden Personengruppen zu adressieren und ein einheitliches Begriffs- und Konzeptverständnis der unterschiedlichen Träger der Rehabilitation sowie einen klaren Arbeitsauftrag mit Rechtsgrundlage für alle verbindlich zu etablieren, sagte er.
Der Aufbau eines Fallmanagements ist für spezielle Fälle auch aus Sicht des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) zielführend und geboten. Sowohl die Rentenversicherung wie auch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales seien hier bereits tätig, sagte DGB-Vertreter Ingo Schäfer. Auch im Rahmen des Bundesprogramms Reha-Pro würden solche Konzepte erarbeitet und getestet. Mit Blick auf die begrenzte Förderdauer der Projekte nannte es Schäfer wichtig, „erfolgreiche Konzepte und Modelle von RehaPro nachhaltig zu verstetigen“.
Stefan Flohr von der Deutschen Rentenversicherung (DRV) wies darauf hin, dass der Grundsatz „Leistungen wie aus einer Hand“ bereits im Bundesteilhabegesetz und den entsprechenden Regelungen im Neunten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB IX) verortet sei. Gleichzeitig beließen diese die Zuständigkeit für die Leistungen bei den einzelnen Reha-Trägern und setzten auf Koordination und Kooperation der Reha-Träger. Insofern sollte aus seiner Sicht auch beim Fallmanagement keine zweite Ordnungsstruktur durch die ansonsten alleinige Verantwortlichkeit der DRV implementiert werden.
Vor der Einführung von Lotsen sollten zunächst die Schwachstellen im Reha-System beseitigt werden, die Lotsen im „Irrgarten der medizinischen und beruflichen Reha“ erst notwendig machten, sagte Michael Popp vom Sozialverband VdK. Das Reha-System in Deutschland sei zu zersplittert, befand er. Der VdK fordere deshalb ein einheitliches Reha-System in dem ein einheitlicher Reha-Träger für alle Reha-Maßnahmen zuständig ist und in einem einheitlichen Verfahren und nach einem Sozialgesetzbuch über die Rehabilitationsmaßnahmen entscheidet.
Reinhard Göhner vom Nationalen Normenkontrollrat äußerte die Sorge, dass sich mit den vorgeschlagenen Maßnahmen die Komplexität des Systems weiter erhöht. „Damit könnte sich die Komplexitätsfalle, in der wir bereits stecken, noch ausweiten“, sagte er. Durch ständige, „gut gemeinte“ Ergänzungen des Systems seien die Ursachen für den erhöhten organisatorischen Beratungsbedarf geschaffen worden. Empfehlenswert sei es, in diesem Irrgarten der Vorschriften klare Wege zu schaffen, sagte Göhner. Von dem Ziel, Leistungen aus einer Hand zu schaffen, sei man derzeit meilenweit entfernt. Es brauche daher eine Vereinheitlichung des Rechts, „was leichter gesagt, als getan ist“, wie er einräumte.
Für den Sozialverband Deutschland, so deren Vertreterin Henriette Wunderlich, stelle sich die Frage, ob ein zusätzliches Instrument zu den bereits vorhandenen Strukturen sinnvoll ist oder ob es nicht besser wäre, an bestehenden Modellen, die es bei den Trägern der DRV bereits gebe, anzusetzen und diese auszubauen. Kritisch bewertete sie die von der Union geforderte Kostenneutralität. Eine kostenneutrale Ausgestaltung einer neuen Struktur sei weder realistisch noch angezeigt, befand Wunderlich.
Nach Einschätzung der Einzelsachverständigen Professor Katja Nebe von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg ist es kontraproduktiv, einen trägerspezifischen Lotsen im SGB VI zu verankern, der für Fallkonstellationen zuständig sein soll, die nicht im Trägerzuständigkeitsbereich der Rentenversicherung liegen. „Das halte ich für hochproblematisch und mit dem jetzigen Rechtssystem im SGB IX für unvereinbar“, sagte sie. Statt ein neues System zu schaffen, müssten die vorhandenen Instrumente im SGB IX gestärkt werden, verlangte sie.