Plötner: Deutschland wollte Bedingungen für Doha-Abkommen
Berlin: (hib/CRS) Der ehemalige Leiter der Politischen Abteilung im Auswärtigen Amt (AA) Jens Plötner erklärte gestern bei seiner Befragung durch den 1. Untersuchungsausschuss Afghanistan, dass man einen realistischen Blick darauf haben müsse, was man mit militärischen Mitteln im Ausland bewirken könne. Der Ausschuss untersucht die Schlussphase des Afghanistan-Einsatzes, die mit dem Doha-Abkommen im Februar 2020 begann und mit der Eroberung Kabuls durch die Taliban Mitte August 2021 endete.
In Afghanistan seien alle gesetzten Ziele richtig gewesen, sagte Plötner, doch im Ergebnis seien viele davon nicht erreicht worden. Eines der Ziele in Afghanistan sei gewesen, dass von dort aus kein Terroranschlag mehr ausgeht. „Wenn wir heute nach Afghanistan schauen, macht es uns Sorge, was sich dort zusammenbraut“, sagte Plötner. Außerdem müssten sinnvolle Exit-Szenarien mitgedacht und eigene Evakuierungsfähigkeiten aufgebaut werden.
Mit Blick auf das Jahr 2021 zeichnete Plötner das Bild eines insgesamt schwierigen Jahres. Damals habe die Nato vor einer Anpassung auf ein neues Umfeld gestanden, Verhandlungen mit dem Iran über dessen Atom-Programm seien gelaufen und es habe ständige Krisen zwischen der Türkei und Griechenland gegeben. Hinzu gekommen sei die Corona-Pandemie. Unmittelbar nach dem Fall Kabuls sei das AA auf politischer Ebene besorgt darüber gewesen, wie sich diese Entwicklungen auf die Region auswirken würde. Deutschland habe deshalb versucht, mit diplomatischen Mitteln das Umfeld zu stabilisieren.
Die Beziehungen zu den USA im Untersuchungszeitraum erläuterte der ehemalige Leiter der Politischen Abteilung das AA, in dessen Verantwortung dieses Feld fiel, in drei Phasen. In der ersten Phase habe in Washington noch die Trump-Administration regiert. Unter Trump hätten die Verbündeten keinen großen Stellenwert gehabt. Niemand habe gewusst, was am nächsten Tag passieren würde. In der US-Hauptstadt habe die rechte Hand nicht gewusst, was die linke Hand tue.
In der zweiten Phase, die von Anfang 2021 bis in den Frühsommer hineinreichte, habe die neue Biden-Regierung das Doha-Abkommen neu bewertet. Es habe ein allgemeines Rätselraten gegeben, was das Ergebnis sein würde, sagte Plötner, man habe nicht mehr als unterschiedliche Gerüchte gehört. Diese Unsicherheit sei das Schlimmste gewesen.
Die dritte Phase sei die Zeit nach dem endgültigen Beschluss Bidens gewesen, die Truppen aus Afghanistan abzuziehen. Laut Plötner habe es in dieser Zeit ein „Disconnect“ zwischen dem gegeben, was er gelesen habe, was in der Nato gesagt wurde und was man in Kabul vor Ort mitbekommen habe. Er betonte, Deutschland habe versucht, die USA dazu zu bewegen, das Doha-Abkommen mit Bedingungen zu verbinden, wobei man die Chancen realistischerweise als gering eingeschätzt habe. Das Argument der Amerikaner gegen den deutschen Vorschlag sei gewesen, dass das „mit erhöhter Gewalt einhergehen würde.“ Viele in der Nato hingegen hätten die deutsche Initiative unterstützt.
Unmittelbar vor dem Fall Kabuls hätten die Amerikaner bereits gesagt, dass die Entwicklungen sich beschleunigen würden, erinnerte sich der Diplomat. Der Eindruck sei aber gewesen, dass es sich nicht um Tage, sondern um Wochen handelte. In einem Telefonat zwischen dem US-Außenminister Antony Blinken und dem damaligen deutschen Außenminister Heiko Maas, habe der Amerikaner den 31. August als Abzugstermin genannt. Doch mit dem 15. August sei alles ins Rutschen gekommen. Dass an diesem Tag Kabul in die Hände der Taliban fallen würde, sei „nicht im Bereich des Vorstellbaren“ und alles danach „ein Rennen mit der Zeit“ gewesen. Seiner Meinung nach habe damals die militärische Logik die Oberhand gewonnen: „Die Kommandeure vor Ort sagten, wenn ich nicht jetzt abziehe, wird es noch länger dauern.“ Das habe bestimmt auch die Situation mitbeeinflusst.
Auch zwischen den Ressorts in Deutschland habe es unterschiedliche Lageeinschätzungen gegeben, führte Plötner weiter aus. Das sei aber im System so vorgesehen und sehr positiv gewesen. Dramatik sei nur durch die sich überschlagenden Ereignisse im Juli und August entstanden.
Nach seinem persönlichen Eindruck sei der damalige Außenminister Maas von den Ereignissen vor und nach dem 15. August sehr mitgenommen gewesen. Afghanistan sei seine oberste Priorität und er sehr engagiert gewesen.
Die Kooperation mit den USA über die Nutzung des US-Militärstützpunktes in Ramstein bezeichnete Plötner „ein Lichtblick in dem ganzen Chaos“, weil es gut funktioniert habe, obwohl es auch nicht einfach gewesen sei. Die Amerikaner, die mit der geografischen Distanz zwischen den USA und Afghanistan ein Problem hatten, wünschten, einen Teil ihrer Ortskräfte zunächst nach Deutschland auszufliegen, um sie dort zu überprüfen: „Wir hatten aber kein Interesse, der Vorposten des amerikanischen Immigration Office zu werden.“ Schließlich gab es ein Kompromiss. Die USA habe als Gegenleistung deutsche Ortskräfte mit ausgeflogen. „Die Amerikaner waren sehr dankbar“ sagte Plötner, „und wir haben ein genuines Interesse, dass die Amerikaner ihre Präsenz in Deutschland wertschätzen“.