Für das BMI kamen pauschale Aufnahmen nicht infrage
Berlin: (hib/CRS) Der 1. Untersuchungsausschuss Afghanistan setzte die Befragung von Zeugen am Donnerstagnachmittag und -abend mit der Vernehmung von einer ehemaligen Abteilungsleiterin beim Bundesinnenministerium (BMI) und eines Gruppenleiters beim Bundeskanzleramt (BKAmt) fort. Die Befragung konzentrierte sich hauptsächlich auf die Frage der Evakuierung der Ortskräfte und die Fehleinschätzungen des Bundesnachrichtendienstes (BND).
Der Ausschuss versucht Licht in die Ereignisse zu bringen, die nach dem Abschluss des Doha-Abkommens im Februar 2020 durch die USA und den Taliban stattfanden, das den Abzug internationaler Truppen aus Afghanistan regelte, und Mitte August 2021 mit dem Fall Kabuls und der chaotischen Evakuierung am Flughafen Kabul endeten.
Zunächst sagte Dagmar Busch aus. Sie leitete im Untersuchungszeitraum die Abteilung im BMI, die für das Polizeiprojekt in Afghanistan und im BMI für das Ortskräfteverfahren zuständig war.
Busch berichtete wie das Bundesverteidigungsministerium (BMVg) darauf gedrängt habe, den Berechtigtenkreis des OKV zu erweitern, in dem nicht nur die Mitarbeiter seit 2019 berücksichtigt werden sollten, sondern alle, die nach 2013 für deutsche Institutionen tätig gewesen sind. Das BMI habe dies abgelehnt. Denn dadurch wären auch Personen antragsberechtigt gewesen, die schon früher eine Gefährdungsanzeige gestellt hätten und abgelehnt worden waren. Erst nachdem auch die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sich für eine Erweiterung aussprach, habe der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) nachgegeben.
Das BMI habe auch das Anliegen des Auswärtigen Amtes (AA) stets zurückgewiesen, das Verfahren „Visa on arrival“ (VOA) einzuführen. Denn dadurch wäre, keine individuelle Sicherheitsprüfung im Ausland mehr möglich gewesen, führte Busch aus.
Deshalb sei man erst am 15. August, also am Tag der Eroberung Kabuls durch die Taliban, zum VOA-Verfahren übergegangen, als „Ultima Ratio“. Das Gesetz erlaube dieses Verfahren nur in Einzelfällen.
Dagmar Busch vertrat die Ansicht, der Bundesnachrichtendienst (BND) habe die Lage vor Ort falsch eingeschätzt. Aufgrund der Informationen des BND hätten alle Ressorts geglaubt, sie hätten für eine Evakuierung der Ortskräfte Zeit mindestens bis zum 11. September gehabt.
Auch der Gruppenleiter im Bundeskanzleramt (BKAmt), der für die Dienstaufsicht für den BND zuständig ist und direkt nach Busch vernommen wurde, bestätigte, dass der BND sich geirrt habe. „Grundsätzlich habe ich sehr großes Vertrauen in die Berichterstattung des BND“, sagte der Zeuge. Der BND habe jahrelang sehr realistische Analysen geliefert. Der Punkt sei jedoch, warum „in der konkreten Dynamik dieser Tage“ der Gesandte des AA eine andere Einschätzung hatte und damit recht behalten habe, der BND aber nicht: „Hatte er andere Gesprächspartner? Dieser Frage musste nachgegangen werden.“
Deshalb habe er gleich nach dem chaotischen Wochenende den Abteilungsleiter des BND zum Kanzleramt zitiert und ihn um eine Fehleranalyse gebeten. Das sei seine Pflicht gewesen, als Dienstaufsicht, aber der BND habe diese Aufforderung eigentlich nicht gebraucht. Denn zu diesem Zeitpunkt hätten diejenigen, die sich mit dem Thema beschäftigten, bereits angefangen sich selbst zu fragen, warum sie diese zeitliche Dynamik nicht gesehen hätten.
Es habe eine Fehleranalyse gegeben. „Im Rückblick hätte der BND sich mit Partnern vor Ort zusammensetzen müssen“, sagte der Beamte. Er wies zugleich darauf hin, dass sich alle internationalen Partner auch geirrt hätten.