Experten: Digitalisierung der Polizeiarbeit ist notwendig
Berlin: (hib/HAU) Eine stärkere Digitalisierung der Polizeiarbeit ist notwendig, muss aber auf Akzeptanz bei den Polizeikräften in Bund und Ländern stoßen und birgt gleichwohl auch Risiken in sich. Diese Einschätzungen äußerten die zu einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Inneres und Heimat am Montag geladenen Sachverständigen. Grundlage der Anhörung war ein Antrag der FDP-Fraktion (19/27172), in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, mit den Landesregierungen einen „Digitalpakt für die Polizei“ auszuarbeiten, der die Entwicklung gemeinsamer Polizei-IT regelt. Zugleich soll eine sichere und kontrollierbare behördenübergreifende Kommunikation durch einen einheitlichen Messengerstandard ermöglicht werden. Auch soll die Regierung der Vorlage zufolge die Sicherheitsbehörden des Bundes zügig und flächendeckend mit mobilen Endgeräten ausstatten, die Zugriff auf alle dienstlich benötigten Systeme gewährleisten, und die Fahrzeuge dieser Behörden mit Computer und Internetverbindung zur einsatztaktischen Aufgabenerfüllung versehen.
Professor Hartmut Aden von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin forderte den Bundestag auf, im Zuständigkeitsbereich des Bundes stärker gestalterisch auf die Digitalisierung der Polizeiarbeit einzuwirken. Wichtig sei die grundrechtsorientierte Technikfolgenabschätzung für alle Weichenstellungen bei der Digitalisierung der Polizeiarbeit. Aden sprach sich zugleich für die Sicherstellung von transparenten Abläufen zur Schaffung von Vertrauen der Betroffenen in eine faire Polizeiarbeit aus - etwa durch die Einführung elektronisch generierter Kontrollquittungen. Benötigt würden zudem gesetzgeberische Vorgaben für automatisierte Vorkehrungen gegen den Missbrauch polizeilicher IT-Systeme, wie beispielsweise durch unberechtigte Abfragen.
Der Soziologe Simon Egbert von der Universität Bielefeld warnte vor dem Trugschluss, dass digitale Technologien per se und gleichsam automatisch eine effektivere und effizientere Polizeiarbeit ermöglichen. Vielmehr sei die erfolgreiche Implementierung abhängig von verschiedenen Voraussetzungen und berge Risiken in sich, die konsequent in Rechnung gestellt werden müssten. Egbert sagte, es sei naiv zu glauben, digitale Technologien könnten von sich aus für eine neutrale Risikobewertung sorgen. Bei der Programmierung von Algorithmen und der Auswahl der zu analysierenden Daten seien vielfältige menschliche Entscheidungen zu treffen, „die allesamt das Potenzial von Verzerrungen bergen“, befand er und forderte Transparenz. Die Bevölkerung, so der Soziologe, müsse einen hinreichend präzisen Einblick in die Arbeitsweise der polizeilich genutzten digitalen Technologien bekommen können.
Laut Holger Gadorosi, beim Bundeskriminalamt (BKA) Leiter des Programms Polizei 2020, gibt es bei der Polizei in Deutschland derzeit 400 einzelne Systeme die von 20 Teilnehmern betrieben werden. „Diese Systeme jetzt alle in einem Hauruck-Verfahren umzustellen, würde die Kolleginnen und Kollegen, die mit diesen Systemen arbeiten müssen, komplett überfordern“, sagte er. Die längste Zeit im Wandel, so Gadorosi, benötigten nicht die IT-Systeme sondern die Kolleginnen und Kollegen, die in neue Systeme eingearbeitet werden müssten. Das Programm Polizei 2020 strebe eine Vereinheitlichung der einzelnen Systeme an. Auf diesem Weg seien inzwischen schon einige Schritte gegangen worden, schätzt er ein und warnte davor, „das Kind mit dem Bade auszuschütten“. Es müsse ein Schritt nach dem anderen gegangen werden. „Evolution statt Revolution“ müsse das Motto lauten.
Die Beamten müssten in der Ausbildung für die Digitalisierung befähigt werden, verlangte Ralf Michelfelder, ehemaliger Präsident des Landeskriminalamts (LKA) Baden-Württemberg. Es brauche ein Verständnis für die Potenziale der polizeilichen Tools. Zugleich werde aber auch die Sensibilität benötigt, um digitale Spuren überhaupt zu erkennen, sagte Michelfelder. Gleichzeitig brauche es die benötigte technische Infrastruktur, zu der auch Tablets im Streifenwagen gehören sollten. „Die Analysefähigkeit der forensischen Labore muss ausgeweitet werden“, lautete eine weitere Forderung des ehemaligen baden-württembergischen LKA-Präsidenten, der sich auch für eine weitergehende Spezialisierung der Beamten aussprach. „Der Allround-Ermittler funktioniert heut nicht mehr“, sagte er.
Für Dieter Schneider, ebenfalls ein ehemaliger Präsident des LKA Baden-Württemberg, müssen „alle verfügbaren Informationen in einem Gesamtsystem für die Polizeien von Bund und Ländern nutzbar sein“. Informationen seien schließlich das Kapital der Polizei schlechthin. Die Digitalisierung dürfe aber kein Selbstzweck sein, warnte er. „Werden schlechte Prozesse einfach nur digitalisiert, sind es anschließend nur schlechte digitale Prozesse.“ Es gelte, das Informationsmanagement als Kernelement zu harmonisieren, was extrem aufwendig sei und langjährige Abstimmungen erfordere. „Dabei darf kein Teilnehmer abgehängt werden, weil wir sonst Informationslücken haben“, sagte Schneider. Erschwerend komme hinzu, dass diese Harmonisierung „am lebenden Organismus erfolgen muss“. Ein noch so kurzer Ausstieg aus dem Informationsverbund sei sicherheitstechnisch nicht zu verantworten, betonte er.